Es gibt Menschen, bei denen es einen kurzen Moment dauert, bis man sie erkennt, wenn man ihren Namen offiziell und schwarz auf weiß liest. So geschehen bei der Traueranzeige für Lisette Hoffmann.
Dieser eine Moment... und dann: „Wie traurig, das ist ja Tante Lisette!"
Vielleicht wird es anderen ähnlich ergangen sein, denn als Kindergarten-Tante Lisette war Lisette Hoffmann eine Institution in Oberdorla. So sagte selbst die Blumenverkäuferin im Angerzentrum, die nicht ihr Kindergartenkind war: „Ach, für Tante Lisette!"
Mir ist es ein Bedürfnis, an diesen bemerkenswerten Menschen meines Heimatortes zu erinnern, uns ihr Wesen dankbar gegenwärtig zu halten. Und dieses Wesen floss über vor Güte und Warmherzigkeit - ja, vor Sanftmut.
Wenn Jesus in der Bergpredigt die Sanftmütigen als die Besitzenden des Erdreiches selig preist, dann war und ist Tante Lisette eine Auslegerin dieser Wahrheit. Ihre Person lehrt uns, dass bei Sanftmut Sanftheit und Mut gleichberechtigte Geschwister sind. Denn Sanftmut erfordert eben Mut. Den hat Tante Lisette in der kirchenfeindlichen DDR-Diktatur mit ihrem Bekenntnis zu ihrem Glauben und damit bei Inkaufnahme von Nachteilen auch zum evangelischen Kindergarten bewiesen. Dabei hat sie zugleich Verbissenheit auf der einen und profilloser Beliebigkeit auf der anderen Seite widerstanden.
Das macht wohl auch ihr Begreifen dessen deutlich, dass kindliche Zugewandtheit eines Erwachsenen nicht mit einem gewollt kindischen Verhalten gleichbedeutend ist und letztlich keine der beiden Seiten ernstnimmt. Meist durchschauen das ja Kinder als erstes. Sie hat mit Spielen und Singen (denken wir nur an die in Oberdorla vielgeliebte „Glucken-Strophe" von „Geh aus, mein Herz"), Lachen, Trösten und Da-Sein von Herzen ihren Glauben an einen gnädigen Gott gelebt und weitergegeben.
Da konnte die Sonne über einem müden Morgen vorm Kindergarten aufgehen, wenn das blaue Fahrrad am Eingang anzeigte: Tante Lisette ist da!
Nun ist sie am 26.5.2024 im Alter von 86 Jahren heimgerufen worden: eine Woche nach Pfingsten, dem Fest des Heiligen Geistes. Wenn wir diesen als das ins Herz des Menschen geschriebene Gesetz Gottes von Gnade und Barmherzigkeit begreifen, denke ich an Tante Lisette als einen wirklich geisterfüllten Menschen. Auf andere Weise mag das das Wort Authentizität einfangen.
So kann ich, können wir nur danken für das Leben von Tante Lisette, für alles, was sie uns war und was sie uns bleiben wird. Ich vertraue darauf, dass sie ihren Glauben nun von Angesicht zu Angesicht zusammen mit ihrem lieben Mann schaut und bei den Engeln im Himmel ein Lächeln sein wird, denn: „Wie schön, da ist ja Tante Lisette!"
PS: Wenn in Oberdorla einmal eine Erinnerungsbank oder ein Erinnerungsbaum den Ort verschönern sollen: Den Sanftmütigen gehört das Erdreich - Tante Lisette würde das als Erinnerungsträgerin würdig ausfüllen. Ich wäre dabei.
Johannes Zähle