Crawinkel - Hinter den Gärten
Crawinkel - Kirche
Crawinkel - Kirchgasse
Karl-Marx-Straße - Familie Heunemann
Karl-Marx-Straße - Familie Großgebauer
Karl-Marx-Straße
Die Tage vom 7. bis 10. April 1945 kann man ohne Übertreibung auch als die Tage des Jüngsten Gerichts von Crawinkel zusammenfassen. Das Dorf wurde sprichwörtlich zusammengeschossen und der Krieg kam an den Ort zurück, von dem aus in der Luftmunitionsanstalt 1/IV Crawinkel seit 1935 ohne Unterbrechung Fliegerbomben und weitere Munition der Luftwaffe hergestellt und gelagert wurden. Mit Beginn des 2. Weltkrieges brachten diese Munition viel Leid, Zerstörung und den Tod vieler Menschen über ganz Europa.
Am 1. April 1945 fiel die erste Bombe in der Nähe des Dorfes im Bereich des „Hopfen". Der weltberühmte Waffenstillstandswaggon wurde zum ersten Mal in Bahnhofsnähe von Schülern gesichtet - er war strengstens bewacht und sie mussten sich überstützt zurückziehen. Der Ort wurde für wenige Tage zum Zentrum des Widerstandes und von Kampfhandlungen. Das Furchtbarste, was Crawinkler je erlebten, begann an diesem Tag. Während der Geschützdonner der Front noch weit entfernt hinter Gotha zu hören war, begannen amerikanische Jagdbomber damit, sich durch den Ort zurückziehende Wehrmachtskolonnen mit Bordwaffen zu beschießen. Die Feldbahn zur Jonastal-Baustelle wurde ebenso mit Bomben angegriffen. Ab diesem Tag erfolgten täglich die Tieffliegerangriffe mit immer größer werdender Intensität. Brennende und zerstörte Wehrmachts- und weitere Transportfahrzeuge blieben auf der Fluchtroute zurück, die Tage später wiederum Ziele für Angriffe. Diese Szenarien sehen wir heute auch tagtäglich im Fernsehen durch den verbrecherischen Angriffskrieg auf die Ukraine.
In Crawinkel erfolgte zeitgleich die Vorbereitung auf die Verteidigung. Im Kirchturm wurde ein Maschinengewehrnest eingerichtet, zusätzliche Verbände aus versprengter SS und Hitler-Jugend verstärkten die Verteidigung. Die so genannten HJ-Pimpfe aus Berlin patrouillierten mit Panzerfäusten an den Ortsausgängen nach Oberhof, Luisenthal und Ohrdruf. Weiterhin bezogen Panzer Stellung sowie eine Flak-Einheit hinter dem Sägewerk Köth Stellung. Ziel war es die zu der Zeit wichtigste Fluchtroute aus dem Thüringer Wald für deutsche Soldaten über die Verbindungsstraße von der Wegscheide herunter nach Crawinkel und weiter über Frankenhain entlang der heutigen B88 zu sichern. Die Verteidigung der Jonastal-Baustelle spielte dabei entgegen der landläufigen Auffassung keinerlei Rolle.
Am 2. April erfolgten vermehrt Tieffliegerangriffe auf durchziehende deutsche Soldaten. Scheinbar galt ihnen auch bereits der erste Bombenangriff am Tag zuvor. Bis zu diesem Tag waren Frühs Häftlingskolonnen in Richtung Jonastal zu beobachten, die abends wieder zurück ins Konzentrationslager in der Muna getrieben wurden. Einen Tag später begannen die Todesmärsche der Häftlinge aus S III.
Immer mehr deutsche Verteidiger waren fluchtartig auf dem Rückzug und drängten sich in Kolonen die Waldstraße herunter von der Schmücke kommend. Amerikanische Einheiten waren ihnen dicht auf den Fersen und es bestand die Gefahr der Einkesselung der Soldaten, die eine provisorische Rennsteig-Front verteidigen sollten. Auch für den 3. April ist ein massiver Angriff amerikanischer Jagdbomber auf deutsche Truppen auf der Straße von Crawinkel nach Frankenhain verzeichnet. In Gotha wurde an diesem Tag Feindalarm gegeben - um 10:10 Uhr heulten die Sirenen für fünf Minuten im Dauerton.
Die Tiefflieger flogen knapp über die Dächer und schossen auf alles, was sich bewegte. Lange Militärkonvois kamen seit einigen Tagen täglich auch über Ohrdruf nach Crawinkel. Die Hauptstraßen waren regelrecht verstopft. Einige Einwohner wurden aus ihren Häusern und Kellern vertrieben oder bekamen deutsche Soldaten zur Einquartierung. Diese richteten sich oft gemütlich ein und schliefen in den Betten, während die Hausbesitzer notdürftig im Keller unterkamen. Die Soldaten aßen die Lebensmittelvorräte auf und tranken, was vorher nicht mehr rechtzeitig versteckt werden konnte. Um den Ort wurden weitere Stellungen zur Verteidigung angelegt und einzelne Geschütze in Stellung gebracht. Die rund 8 Kilometer zwischen den beiden Ortskernen von Ohrdruf und Crawinkel trennten ab dem Abend des 4. Aprils von nun ab Krieg und Frieden voneinander.
Auch in Crawinkel erlebten die Einwohner am 5. April 1945 weiter regelmäßige Tieffliegerangriffe auf die deutschen Truppentransporte, die sich auf dem permanenten Rückzug befanden. Jagdbomber kreisten schon vormittags im Tiefflug und schossen auf alles, was sich bewegte. Im Kiefernwald etwa 300 Meter oberhalb der letzten Häuser der Waldstraße (heute Oberhofer Straße), war ein Splitterschutzgraben angelegt. Über dem Sägewerk Köth entdeckten Jugendliche um Alfred Ballenberger eine Geschützbatterie, die dort in Stellung gegangen war - vermutlich zur Flugabwehr. Die eigene Luftwaffe trat nicht mehr in Erscheinung. Trotz der drohenden Lebensgefahr waren scheinbar die Neugier und Abenteuerlust der Jugend noch größer. Die Bevölkerung hörte vermutlich immer nur noch Durchhalteapelle der Verteidiger und der Gauleitung aus dem noch nicht besetzten Teils Thüringens über Radioaufrufe. War der Endsieg immer noch nahe? Galt es nur noch wenige Tage unter größten Entbehrungen und Opfern durchzuhalten? Zum ersten Mal erfolgte an diesem Tag ein Artilleriebeschuss auf den Ort. Das Pfeifen der Geschosse, die Einschlaggeräusche und das dadurch verursachende Elend und Leid sollten viele Einwohner danach ihr Leben lang nicht mehr vergessen.
Am 5. April wurden im Nachbarort Wölfis und in Crawinkel von Einwohnern die weißen Fahnen gehisst. Einen Tag später erfolgte am 6. April durch amerikanische Patrouillen die kampflose und problemlose Einnahme von Wölfis durch amerikanische Panzer. Die Infanterie rückte einen Tag später mit einer Vielzahl an Fahrzeugen nach. Dankmar Leffler aus Crawinkel erinnert sich, dass sich etwa 8 Mann der 6. SS-Gebirgsjägerdivision Nord im Haus seiner Eltern einquartiert hatten. Dies waren versprengte Reste der Division, die am 3. April im Südosten Hessens vollständig zerschlagen wurde. Im Garten stand ein deutscher Panzer und weitere Fahrzeuge im Hof des letzten Hauses in Richtung Wölfis - strategisch sehr günstig. Die Familie verbrachte die nächsten Tage nur noch im Keller auf Matratzen, während die SS im Haus regierte. Mit dem Fernglas konnte man die in Wölfis patrouillierenden US-Soldaten beobachten. Einige spielten auch Fußball mit Jugendlichen aus Wölfis. Die SS im Haus diskutierte derweilen, was jetzt wohl die Amis in Wölfis gerade „fressen“. Schließlich kam es zu einer Wette und einer aus der Truppe machte sich spät nachts allein auf den Weg, um die amerikanischen Fahrzeuge in Wölfis zu plündern. Am nächsten Morgen stand der Verrückte voll beladen mit Schokolade und sonstigen Lebensmitteln wieder in Crawinkel, ohne dass er bemerkt wurde.
In Crawinkel wurde im Gegensatz zu Wölfis drei Mal vergeblich von Einwohnern versucht, auf dem Kirchturm die weiße Fahne zu hissen. Dies misslang, weil verschiedene deutsche Einheiten den Abzug der Truppen aus dem Rennsteiggebiet über Crawinkel absicherten. Immer wenn die Fahne hing, wurde sie von der SS heruntergeholt. Einige Einwohner setzten dabei ihr eigenes Leben aufs Spiel, um den Ort zu retten. Neben Fahrzeugkolonnen, Infanteriezügen, Geschützen und Panzerwagen wurden nach Aufzeichnung der Feuerwehr Frankenhain auch Pferde- und Kuhherden beim Rückzug mitgeführt. Für den Abzug wurden im Ort auch weitere Pferdegespanne mit gummibereiften Langholzwagen samt Geschirrführer beschlagnahmt. Die amerikanischen Truppen griffen immer wieder an und warfen Bomben sowie die besonders gefürchteten Brandkanister von Jagdbombern ab. Deutsche Panzer waren bei solchen Angriffen an der Rumpel (Straße nach Oberhof), am Sauweg (Waldweg oberhalb Friedrichsanfang zum Kienberg) und an der Straßengabelung der heutigen B88 nach Wölfis zerstört worden. Auch im Ort selbst blieben zerschossene Panzer und Wehrmachtsfahrzeuge stehen, die dann immer wieder zur Zielscheibe wurden. Am 5. April kam es auf der Straße zwischen Oberhof und Crawinkel am Eisenberg zu einem Gefecht. Erneut wurden Brandkanister eingesetzt, die oft ihr Ziel verfehlten und unterhalb der Straße im Wald landeten. In der Nähe des bekannten Ausflugszieles „Linzens Ruh“ brannte der Wald an mehreren Stellen gleichzeitig und die Feuerwehr aus Frankenhain musste zum ersten aber nicht zum letzten Mal in diesen Kriegstagen ausrücken. Da beim Luftangriff auch ein mit Granatwerfermunition vollbeladenes deutsches Panzerfahrzeug getroffen wurde, waren die Löscharbeiten sehr erschwert und gefährlich. Stundenlang bis zum Abend detonierten die Granaten im lichterloh brennenden Panzerwagen. Das Schauspiel wiederholte sich am 6. April auf der Straße von Crawinkel nach Frankenhain. Die Fahrzeugkolonnen wurden mit Bordwaffen beschossen. Es gab viele Tote und zahlreiche zerstörte Fahrzeuge.
Am Morgen des 6. Aprils besetzten Wehrmachtseinheiten Crawinkel vollständig und gingen unter anderem mit Panzern in Stellung. Jetzt wurde deutlich, dass Crawinkel verteidigt werden sollte/musste. Am Nachmittag hatten die mutigen Crawinkler Armor Kloß und Hans Berkes nochmals auf dem Kirchturm in einem unbeobachteten Moment die weiße Fahne gehisst. Mehrere Einwohner folgten diesem Signal und hängten auch weiße Tücher und Fahnen an ihre Häuser, während Luftwaffeneinheiten durchs Dorf zogen. Frau Lisa Marwede hatte ebenfalls ein großes Leinentuch am Fenster ihres Hauses in der Ohrdrufer Straße befestigt. Der Hauptmann der Einheit hielt mit seinem Fahrzeug an und fragte die vor dem Haus stehenden Personen, wer dieses Tuch angebracht hätte. Ohne Argwohn meldete sich daraufhin Frau Marwede. Plötzlich brüllte er sie an, dass das eine Schweinerei und Verrat sei. Er befahl ihr, sich mit dem Gesicht zur Hauswand zu wenden, damit er sie abknallen könne. Nur durch das Eingreifen von Inge Ratschker wurde das Schlimmste verhindert, die schützend vor ihre Schwester trat und auf den Kirchturm zeigte, wo ebenfalls das weiße Tuch der Kapitulation und Hoffnung hing. Frau Ratschker war kurz vor der Niederkunft, was den Offizier zu der Äußerung veranlasste: „Wenn der weiße Fetzen nicht gleich verschwindet, knalle ich euch beide nieder. Da kann dich auch dein dicker Wanst nicht retten.“ Erst als die Fahne eingeholt war, fuhr der Hauptmann weiter. Was hatte nur der Nationalsozialismus und der Krieg aus den Menschen gemacht.
Nach dem ersten Beschuss auf die Kirche räumten die MG-Schützen auf dem Turm fluchtartig ihre sprichwörtliche „Himmelfahrtsstellung“. Am alten Erfurter Weg, einer vermuteten östlichen Angriffslinie der Amerikaner in Richtung Gossel und Jonastal sowie an der Straßengabelung nach Ohrdruf - Wölfis wurden ebenfalls schwere Maschinengewehre in Stellung gebracht. Sie hatten als Schussfeld die Wiesenfläche zwischen Crawinkel und Wölfis. Die Hitlerjungen patrouillierten mit Panzerfäusten an den Ortsausgängen nach Oberhof, Luisenthal und Ohrdruf. Im Ort wechselten sich deutsche Panzer, Flak-Stellungen und Geschütze ab. Die Flugabwehrkanonen konnten auch auf Bodenziele gerichtet werden.
Am 7. April erfolgten nicht weiter nennenswerte Angriffsversuche amerikanischer Bodentruppen in Richtung Crawinkel, die von den Verteidigern ohne Mühe abgewehrt wurden. Kurz danach setzte ein verstärktes Bombardement auf den Ort ein, dass nur vom Artilleriebeschuss aus Richtung Gräfenhain/ Ohrdruf unterbrochen wurde. Es fielen die ersten Bomben am Backhausplan, auf die Quergasse, Schenksgasse und Schulgasse. Das war der Beginn einer neuen Offensive, wodurch die ersten Opfer in der Bevölkerung zu beklagen waren. Es gab von da an scheinbar keine Verschonung und Hoffnung mehr für die Einwohner. Am gleichen Tag gelang es den Alliierten Tambach zu besetzen und sie drangen bis Georgental und Gräfenhain vor. Von Ohrdruf und Oberhof aus griffen die Amerikaner gleichzeitig von Norden und Süden her auf der Hauptstraße an. Damit wuchs für die deutsche 11. Panzer-Division die Gefahr, eingekesselt zu werden. Nach dem Verlust von Friedrichroda und Dietharz musste das LXXXV. Armekorps am 8. April Finsterbergen räumen. Die in Finsterbergen frei gewordenen Kräfte wurden benötigt, um ein Eindringen der Alliierten von Ohrdruf in die Waldstücke bei Stützhaus zu verhindern.
Marianne Ballenberger aus Crawinkel erinnerte sich an den 8. April noch ganz genau. Am Morgen waren alle zeitig wach. Sie ließ nicht locker, um im Wald Unterschlupf zu suchen. Bloß raus aus dem Dorf! Sie packten eine große Menge an Proviant, etwas Wäsche sowie viele Decken auf einen Handwagen und ein Fahrrad. Frühs Viertel 8 zogen sie los. Auf Friedrichsanfang suchten sie zum ersten Mal Deckung, als Tiefflieger auftauchten. Ihr Sohn Alfred Ballenberger erinnerte sich noch an den Angriff. Er half seiner älteren Schwester mit dem Kinderwagen und dadurch waren sie etwas zurückgeblieben. Der Tiefflieger flog sehr dicht über sie hinweg und man konnte alles sehen. Sie hatten schon beide mit dem Leben abgeschlossen, hatten aber Glück, weil der Pilot nicht schoss. Danach ging es auf dem schnellsten Weg in den Wald im Bereich „Toter Mann“! Ein gutes Omen? Dort waren schon viele andere Einwohner aus Crawinkel. Die Männer bauten eine Hütte, damit die Familie etwas Schutz hatte für die Nacht. Mittels Heues aus einer Fütterung und Fichtenreisig machten sie sich ein Nachtlager. Wie lange musste man wohl hier oben bleiben und war der Wald wirklich sicher?
Die Hitlerjugend, die bisher am Ortsrand patrouillierte, wurde wieder abgezogen, bevor es richtig los ging. Durch die Gemeindeverwaltung wurden am 8. April morgens sieben Uhr alle männlichen Einwohner aufgefordert, sich in der Gemeindeschenke zum Volkssturm zu melden. Der „große Führer“ mobilisierte sein letztes Aufgebot in letzter Sekunde! Aber viele Einwohner ignorierten diesen Befehl ungeachtet der angedrohten Konsequenzen. Am Nachmittag löste dann der Verantwortliche für den Crawinkler Volkssturm, Forstmeister Gehrhardt, den Volkssturm offiziell auf. Er hatte wohl die Sinnlosigkeit eines weiteren Blutvergießens erkannt, da auch keine zusätzlichen Waffen vorhanden waren. Während Wehrmachtseinheiten das Dorf weiter sicherten, flohen die meisten Einwohner in die umliegenden Wälder und ins Jonastal. Die Artillerie- und Luftangriffe auf den Ort wechselten sich weiter ab. Dankmar Leffler beschreibt, dass die Kirche immer wieder getroffen wurde und die Beschießung des Marktes und des gesamten Gebietes um den Backhausplan mit Phosphorgranaten erfolgte. Auch die Kleine Bahnhofstraße und ein Teil der großen Bahnhofstraße wurden bombardiert.
Dabei gab es auch besonders tragische Schicksalsschläge. Toni Böttner verlor ihre Tochter Lisbeth Marwede. Diese war mit dem Kind und anderen Einwohnern ebenfalls ins Jonastal geflüchtet, wo die inzwischen verlassenen Baubuden genügend Möglichkeiten des Unterschlupfes boten. Während einer Beschusspause ging sie zurück ins Dorf zu ihrer Mutter, um Lebensmittel zu holen. Wenige Minuten nach Verlassen des Elternhauses wurde ihr in unmittelbarer Nähe der Kirchmauer durch einen amerikanischen Tieffliegerangriff der Kopf weggeschossen. Zwei Tage zuvor hatte sie noch Glück, als sie der Kugel eines verbohrten deutschen Hauptmanns entging, der sie schon wegen ihrer weißen Fahne am Haus hinrichten wollte. Toni Böttner bat nun einige Polen, die als Zwangsarbeiter im Ort eingesetzt und jetzt frei waren (keine ehemaligen Häftlinge), ihr fünfjähriges Enkelchen Edith aus dem Jonastal zu holen. Einer von ihnen erbarmte sich und holte das Kind zurück nach Crawinkel. Bei der Rückkehr sagte das Kind: „ Omi, im Jonastal liegen so viele Tote und immer fahren die Autos drüber.“ Diese Erlebnisse beim Anblick vermutlich von Opfern des Todesmarsches blieben mit Sicherheit ein Leben lang unvergessen.
In der Nacht zum 9. April räumte die 11. Panzer-Division den fast schon eingeschlossenen Teil des Thüringer Waldes westlich der Straße Ohrdruf - Oberhof. Es gelang ihr noch einmal, eine Sicherungslinie auf der Ostkuppe des Rennsteiges aufzubauen. Sie hatte ihren Südflügel am Ostrand des Thüringer Waldes verlängert und kam wieder zu einer geschlossenen, wenn auch dünnen Westfront. Von der Wegscheide zogen sich die letzten Truppen nach Crawinkel zurück. Von nun an war Crawinkel Hauptkampflinie und Teil der Westfront. Der Stab der 11. Panzer-Division wurde aller Wahrscheinlichkeit nach vorher in ein Ausweichquartier in Crawinkel - den heutigen Falkenhorst - verlagert. Die Front verlief nach heftigen Kämpfen in dem gebirgigen Waldgelände westlich der Linie Crawinkel - Geschwenda - Ilmenau. Am gleichen Tag drangen die Amerikaner in Arnstadt ein, räumten die Stadt aber wieder.
Am 9. April setzten sich die Luft- und Artillerieangriffe auf Crawinkel fast ununterbrochen fort. In der Bahnhofstraße und der Ohrdrufer Straße wurden weitere Häuser vernichtet. Marianne Ballenberger erinnerte sich: „Am Morgen des 9. Aprils krachte es frühs halb 10 das erste Mal. Es war ein Jagdbomberangriff. Um 13:30 Uhr erfolgte der nächste und wohl Schlimmste. Wir glaubten, was sich bisher im Ort noch lebend bewegt hat, muss nach diesem Bombardement tot sein. Abends wollten die Männer noch mal ins Dorf zurück. Aber es war nicht durchzukommen. Die Artillerie schoss ununterbrochen. In der folgenden Nacht war es im Wald nicht geheuer. Es rollte und grollte und man glaubte, Feuer und Eisen kommt den über den Berg. Der Feind schoss diese Nacht mit Brandgranaten und Crawinkel brannte lichterloh.“ In der Nacht setzten Phosphorgranaten die Erfurter Straße und Teile vom Markt in Brand. Die Häuser in der Großen und Kleinen Schenksgasse brannten ebenso wie die Häuser in der Schulgasse und der oberen Bachstraße. Es gab wenig Hilfe und keine Rettung mehr. Das Feuer lief an den Wänden der Häuser herab. Löschwasser war nicht mehr ausreichend vorhanden.
Der Wölfiser Heinz Wassermann erinnerte sich an diese Nacht. In Richtung Crawinkel sahen sie ein schauriges Flammenmeer und sie hörten das klägliche Brüllen der Rinder, die in ihren brennenden Ställen angebunden waren und umkamen. Die Häuser und das Vieh mussten die Crawinkler sich selbst überlassen. Viele waren in den Wäldern und im Jonastal. Daher kamen auch am 9. Und 10. April insgesamt „nur“ 6 Einwohner ums Leben. Dies hatten selbst die Amerikaner nach ihrem Einmarsch verwundert. Ilse Hoyer erinnerte sich ebenfalls an diese schicksalhafte Nacht. Bei Fritz Ostermann in der Hintergasse brannte der Kohlenstall. Am folgenden Tag ging es weiter. Es brannte vom Spediteur Hugo Kloß an und Fässer mit Kraftstoff knallten hoch. Den Lkw und den Traktor der Spedition hatte die Wehrmacht schon weggenommen. Alle verfügbaren Männer waren bei der Brandbekämpfung eingesetzt. Jetzt musste auch Jauche zum Löschen mit verwendet werden. Nachts gegen 1 Uhr war es dann geschafft und die Brände eingedämmt. Doch kaum eine Stunde Pause, dann brannte bei uns auf dem Markt die ganze Ecke. Sieben Häuser und weitere Nebengebäude standen in Flammen.
Kriemhild Wallendorf erlebte die Ereignisse im Alter von 10 Jahren. Ihr Elternhaus in der Erfurter Straße hatte nur einen freistehenden, kleinen Gewölbekeller im Hof. Daher war die Familie während der Angriffe im Keller bei Familie Arno Karnstädt. Als das Elternhaus brannte, kreisten und züngelten die Flamen um das ganze Haus herum. Das Feuer lief regelrecht vom Haus quer über die Straße und erfasste die Häuser auf der anderen Straßenseite. Noch am gleichen Tag beschlossen die Eltern zusammen mit der Schwester Irmtraud sowie den Großeltern Friedrich und Tilde Reinhardt nach Luisenthal zu den Großeltern Edmund und Marie Kloß zu flüchten. Weitere Einwohner wie z. B. Marta Kloß mit ihren Kindern Lore und Günter schlossen sich an und so bestand der Flüchtlingszug aus 11 Leuten. Auf einem Handwagen wurde das Nötigste verstaut und seitlich am Handwagen baumelte der damals übliche Nachttopf aus emailliertem Blech. Den brauchten wir für Günter Kloß, der ausgerechnet an diesem 9. April 1945 zwei Jahre alt wurde. Auf dem Waldmüllersweg kamen uns scharenweise deutsche Soldaten und Hitlerjungen entgegen. Die waren entsetzt, dass wir in die entgegengesetzte Richtung zogen. „Ihr lauft doch dem Feind direkt in die Arme!“, sagte einer zu uns. An den Wegrändern lagen tote Soldaten.
Irmtraut Böttner aus Crawinkel erinnerte sich: „Die letzten 4 Kriegstage vom 7. bis 10. April hatten unserem Heimatort den Todesstoß versetzt. Es gab ringsum nur noch Schutt und Asche. Ein sehr trauriges Ereignis habe ich persönlich erlebt uns das macht mich heute noch betroffen. Der serbische Kriegsgefangene Michael, der bei Arno Kloß an der Schwemme als Hilfe in der Landwirtschaft zugeteilt war, wollte zu seinen Kameraden zu Alexander Großgebauer an der Ecke Lämchenplan. Auf Höhe der Schmiede in der Ohrdrufer Straße ist er in den Beschuss der Tiefflieger geraten, wodurch er am Bein verwundet wurde. Er hat sich trotz Verletzung bis zum Haus der Familie Karnstädt gerobbt. Unser Großvater Reinhardt und mein Cousin Dankmar Karnstädt hatten ihn zu uns hereingeholt und in der Stube auf das Sofa gelegt. Im Pfarrhaus war noch ein Notlazarett der Wehrmacht untergebracht. Mein Cousin hat dort Hilfe geholt und Michael wurde von den Sanitätern behandelt. Das Bein musste aller paar Stunden behandelt werden, damit er überleben konnte. Als die Sanitäter mit den letzten Soldaten des Rückzuges abgezogen waren, gab es für ihn keine Hilfe mehr. Kurz vor dem Einzug der Amerikaner ist er an seiner Verwundung gestorben. Sein Grab befindet sich auf dem Crawinkler Friedhof neben dem Mahnmal.“ Frau Ratschker flüchtete vor den amerikanischen Angriffen zusammen mit anderen Einwohnern in die Keller der Familie Hermann Beck im Friedrichsanfang. Am 10. April, dem letzten Kriegstag in Crawinkel, erblickte dort auch ihr Kind das Licht dieser geschundenen Welt. Der 10. April war es auch, der das letzte zivile Opfer in Crawinkel forderte: Elisa Hofmann, geb. Mey, wollte während eines Luftangriffes unbedingt noch das Klavier aus ihrem Haus retten. Ein Bordwaffengeschoß zerfetzte die Lungenschlagader und sie verblutete. So hielt der Tod in vielen Familien Ernte und so eng fügte sich das Schicksal auch Tod und Geburt am letzten Kriegstag zusammen! Am Morgen trafen sich immer mehr Menschen im Wald über dem Ortsteil Friedrichsanfang. Ihr Aussehen spiegelte wider, was sie erlebte hatten. Erschöpft und übernächtigt erzählten sie, dass es furchtbare Stunden und Tage gewesen sind, die sie nie wieder erleben möchten. Gegen 13:30 Uhr begannen die Einwohner wieder zurück ins Dorf zu gehen. Die Gefechte verlagerten sich mittlerweile in den umliegenden Wald. Während Crawinkel weiter beschossen wurde, kehrten viele Einwohner an den Rand des Dorfes in die Häuser zurück. Am Abend des 10. Aprils endete gegen 22 Uhr plötzlich der Artilleriebeschuss auf Crawinkel. Kurze Zeit später rückte eine erste alliierte Vorhut in der Bahnhofsgegend sowie vom Kienberg aus auf Crawinkel vor.
Marianne Ballenberger war zusammen mit anderen im Keller der Familie Hermann Beck im Friedrichsanfang. Hier pochten gegen 23 Uhr die ersten Amerikaner eines Vorauskommandos an die Türe. Die Frauen hatten vor allem Angst um die wenigen anwesenden Männer im wehrfähigen Alter und befürchteten deren Verhaftung. Onkel Paul wurde daher schnell unter einem Haufen Decken versteckt. Die Vorhut hatte sich aber nur auf wenige Häuser beschränkt und es passierte nichts weiter. Dr. med. Charlotte Berkes kam am 12. März 1945 im Alter von 27 Jahren als Landärztin von Breslau nach Crawinkel. Sie war es auch, die am 10. April zusammen mit der Hebamme in einem Keller ein Kind zur Welt brachte. Sie erinnerte sich, dass alle trotz des Elends in euphorischer Stimmung waren, aßen und tranken munter drauf los, als ob nichts geschehen wäre und es nichts Wichtigeres gäbe - ein kleines Stück Normalität. Sie erinnerte sich weiter, dass die Amerikaner einen Tag später schwer bewaffnet in unser Dorf in Zweierreihen kamen. Am Morgen des 11. Aprils wurde Crawinkel vollständig besetzt und gleichzeitig befreit.
Ab 6 Uhr in der Früh rückten amerikanische Truppen in Kompaniestärke in das Dorf. Während die Amerikaner zuerst den Ortsteil oberhalb der Bahnlinie besetzten, flüchteten die letzte deutschen Soldaten in Richtung Frankenhain. Noch während der Besetzung kam es zu einem seltsam komischen Ereignis. Während das Oberdorf schon besetzt war, kam ein deutsches Fahrzeug mit mehreren Soldaten plötzlich aus dem Wald und war auf der Suche nach der Truppe und der Fluchtroute. Einwohner wiesen ihnen den Weg querfeldein nach Frankenhain vorbei an den amerikanischen Truppen.
Marianne Ballenberger erinnerte sich: „Wir waren am Morgen des 11. April inzwischen aus den Kellern in das gegenüberliegende Haus unserer Verwandten, Paul Ostermann (ehemaliges Cafe Langenhan), umgesiedelt. Die Amerikaner kamen ins Haus, schnüffelten überall herum und versuchten, mit den jüngeren Frauen Kontakt aufzunehmen. Bis zum Mittag war dann das ganze Dorf besetzt. Die Amis vermieden jegliches Risiko. Sie gingen äußerst vorsichtig vor und sicherten jedes Haus und jeden Winkel.“ Frau Dr. Berkes hatte den Eindruck, dass auch die amerikanischen Soldaten Angst hatten, mehr als die Einwohner, die das Schlimmste nun scheinbar überstanden hatten. Sie schrieb in ihren Erinnerungen „Alles Gelingen ist Gnade“: “Wir Deutschen säumten schweigend die Straße. Die Ängste waren nun vorbei! Das Schießen der Bordwaffen, die Flieger! Endlich Ruhe! Frieden und hoffentlich Freiheit! Das Dorf war beschädigt, aber die Anzahl der Toten war nur gering, so dass sich die Amerikaner über diese Geringfügigkeit wunderten.“ Erst nach der Besetzung war das ganze Ausmaß der Verwüstung so langsam zu erfassen. Einige besaßen nur noch das, was sie am Leibe trugen, erinnerte sich Helmut Sommer. Es waren 76 % der rund 1.000 Gebäude und Wohnhäuser in Crawinkel beschädigt oder zerstört. Die Opferzahlen unter der Bevölkerung und den Soldaten waren vergleichsweise zu anderen Dörfern und Städten gering, die ebenfalls zum Kampfgebiet erklärt wurden. Ein großer Unterschied war, dass es hier keine erbitterten Kämpfe Mann gegen Mann, Haus um Haus während der Hauptangriffe vom 7. bis 10 April gab. Nur 12 Crawinkler und weitere Zwangsarbeiter starben durch die Angriffe. Es grenzt daher an ein Wunder, dass nicht noch mehr Opfer zu beklagen waren. Obwohl sich in den letzten Kriegstagen abwechselnd nur noch pro Tag 50 bis 60 „Durchhaltekämpfer“ in Crawinkel festgesetzt hatten, war die wehrlose Bevölkerung machtlos gegen diesen Wahnsinn, was die mehrfach gescheiterten Versuche zur kampflosen Übergabe gezeigt hatten. Auch über 60 Kühe und Kälber waren in den Flammen und durch Beschuss umgekommen. Die Familie von Marianne Ballenberger zählte allein über 75 kleine und große Löcher in ihrem Wohnhaus, die mutmaßlich durch die Einschläge von Bordwaffen entstanden waren. Überall lagen die Splitter umher. Fenster, Türen, Möbel, das Sofa und vieles andere mehr wurde beschädigt oder zerstört. Es sah sehr wüst aus in den Gassen und Straßen. Auch die Kirche wurde beschädigt. In der Großen Bahnhofstraße, vor dem Bahnübergang, hatte eine Bombe einen großen Trichter hinterlassen. Dort gingen ebenfalls vier Häuser verloren.
Am 11. April traten die Alliierten im Bereich des deutschen LXXXV. Armeekorps auf breiter Front zum Angriff an. Die deutsche 11. Panzer-Division zog sich am gleichen Tag hinter den Gera-Abschnitt zurück. Der Angriff war Teil der amerikanischen Offensive in das industrielle Herz Mitteldeutschlands.
Klaus-Peter Schambach
Förderverein Alte Mühle e.V.