„Was du heute kannst besorgen, das verschiebe schnell auf morgen.“ Falls Sie diese Verballhornung nicht kennen, kennen Sie sicher das Phänomen. Man spricht von „Aufschieberitis“ oder „Prokrastination“. Die ursprüngliche zweite Hälfte des Spruchs „…das verschiebe nicht auf morgen“ ist eine deutsche Lesart des lateinischen „carpe diem“ des römischen Dichters Horaz: „Nutze den Tag!“, d. h. schiebe Aufgaben nicht auf, aber auch: Mach was aus deinem Tag, verplempere ihn nicht. Andernfalls drohen Terminstress, Missachtung von anderen und schlechte Laune.
Nun taucht ein neues Wort auf: „Tsundoko“. Bekanntlich haben fremde Sprachen mitunter Begriffe für Sachverhalte, die wir zwar auch kennen, für die wir im Deutschen aber keine Wörter haben, z. B. „Hygge“ im Dänischen für eine bestimmte Art des Glücklichseins oder „Saudade“ im Portugiesischen für eine bestimmte Art des Traurigseins. Das japanische Wort „Tsundoku“ setzt sich zusammen aus: tsunde = stapeln, oku = lassen, doku = lesen. Die Wochenzeitung „Die Zeit“ (No 11, 13. März 2025, Seite bzw. https://shop.zeit.de/DIE-ZEIT-11-2025/49421, aufgerufen am 17.03.2025) schreibt: „Wenn man sich Bücher kauft und nicht liest, heißt das in Japan tsundoku, wieder was gelernt. Ähnliche Trends bei uns: Wenn man einem Fitnessstudio beitritt und nie hingeht. Wenn man ein Deutschlandticket kauft und nie wegfährt. (…) Man könnte von Mannkönnte-Trends sprechen. Man könnte vieles tun und lässt es (…).“
Beispiele: Wir finden etwas Interessantes im Internet, speichern es ab oder drucken es sogar aus, um es später zu lesen, tun es aber nicht. Wir kaufen Kleider und tragen doch lieber die alten, die neuen verstauben im Schrank. Wir besorgen uns eine Jahreskarte fürs Schwimmbad und gehen kaum schwimmen. Wir kaufen immer wieder neue Lebensmittel, obwohl schon genug in der Vorratskammer sind. Obst und Gemüse werden so ansehnlich präsentiert, dass wir die Gelegenheit nutzen wollen und sogleich Gesundheits-Vorsätze fassen, aber im Kühlschrank oder auf der Obstschale vergammeln die Sachen. Oder wir sind interessiert, neue Rezepte auszuprobieren und kaufen spezielle Gewürze für ein Gericht, nach einmaliger Anwendung vergessen wir sie. Auf diese Weise findet Verschwendung von Geld, Energie und Ressourcen statt.
Sie finden sicherlich noch mehr Beispiele für Tsundoku und Prokrastination (Aufschieberitis). In beiden Fällen werden Dinge gesammelt (Bücher, Artikel, Kleider, Lebensmittel…) mit der Absicht, sich damit zu beschäftigen, man tut es aber nicht sofort - oder gar nicht. Damit verbunden ist die
Selbsttäuschung, dass man sich aktiv und innovativ fühlt, weil etwas Sinnvolles und Gutes vorhat, ohne es tatsächlich zu erledigen. Das ist übrigens ein Trick des Gehirns, um sich aktiv zu fühlen, ohne aktiv zu sein. Noch ein typisches Beispiel: Man bereitet sich gut vor, kauft Bücher, Kurse oder Apps, um eine Fremdsprache zu erlernen, aber irgendwie „kommt man nicht dazu“. Der Unterschied ist: Tsundoku ist mehr eine Form des passiven (Wissen-)Hortens, besonders von Büchern, während Prokrastination - klingt paradox - das aktive Aufschieben von Aufgaben und Vorhaben ist.
Was das mit den Stadtwerken zu tun hat? Nun ja, eigentlich gar nichts, denn wir belassen es nicht beim „Man könnte“, sondern erledigen notwendige Aufgaben möglichst schnell und effektiv und investieren z. B. in unsere Wasserversorgung zielgerichtet und nachhaltig, nicht überflüssig. Was hat das mit Ihnen zu tun? Nun ja, es kommt auf Sie an, wie Sie mit Herausforderungen, eigenen Erwartungen und dem „Man könnte“ umgehen, wann und wie Sie „in die Puschen“ kommen, was Sie verantworten können und ob Sie überlegen, was Sie wirklich nutzen, statt bloß zu horten und zu verschwenden - vorausschauend und reflektiert, lieber „cool“ statt hektisch, mit Freude statt Verkrampfung.