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Ausgabe 7/2024
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Feuer, Erde, Wasser: Lauf des Erbsenrades in Wadrill

Es ist wieder soweit: In Wadrill rollt das Erbsenrad am Sonntag, 18.02.24 um 19.00 Uhr ins Tal. Anschließend findet das traditionelle Eieressen in der Wadrilltalhalle statt. Wer erleben möchte, wie das Erbsenrad gewickelt wird, kann dies am Samstag ab 10.00 Uhr an der Harteichhütte Wadrill tun. Weitere Infos: www.hnf-wadrill.de

Feuer, Erde, Wasser

Wenn das Erbsenrad seinen Lauf nimmt

von Anika Meyer, Sonah-Magazin Heft 7/01.12.2018

Am ersten Fastensonntag, wenn sich der Winter langsam seinem Ende zuneigt, rollt in Wadrill das Erbsenrad. Einst war dieser Brauch in unserer Region und in ganz Mitteleuropa weit verbreitet, erhalten hat er sich jedoch nur in sehr wenigen Dörfern. Das brennende Rad soll symbolisch die in der eisigen Kälte erstarrte, schlafende Natur aufwecken. In Wadrill zieht die Tradition alljährlich zahlreiche Schaulustige an.

Alles ist dunkel auf dem Perscher Berg, dem Hausberg des Hochwald-Dorfes Wadrill [...]. Nur die Sterne am Himmel und die kleinen Lichter unten im Tal leuchten. Es ist eine gewisse Anspannung spürbar, alle warten auf das große Spektakel. Und dann geht es los: Laut und kräftig erklingt das Lied „Großer Gott wir loben dich“. Zwei Kerzen werden entzündet und von beiden Seiten an ein Strohkreuz gehalten bis es Feuer fängt. Dann wird das Kreuz langsam auf ein großes Strohrad herabgesenkt und plötzlich steht auch dieses in Flammen. Ein Gänsehaut-Moment. Die Musik und die brennenden Symbole erzeugen eine mystische, bedeutungsschwere Atmosphäre. Vier kräftige Männer halten das Rad an den Naben, den seitlichen Eisenstangen, und setzen es vorsichtig in Bewegung. Unter ihrer Führung rollt es nun Richtung Tal, Flammen schlagend und Funken sprühend. Unten angekommen, senkt es sich zischend und rauchend in das Wasser der Wadrill.

Diesen „Lauf des Erbsenrades“ kann man jedes Jahr am „Erbsensonntag“, dem ersten Sonntag in der Fastenzeit, in Wadrill beobachten. Die schriftlichen Zeugnisse dazu reichen zurück bis etwa 1900, der Brauch jedoch ist sehr viel älter – er stammt noch aus vorchristlicher, das heißt gallogermanischer Zeit. Die Schriftzeugnisse belegen, dass das Rad in Wadrill seit über hundert Jahren regelmäßig rollte, nur in Kriegszeiten setzte man aus. Das heißt, der Brauch wurde hier nicht etwa wie so oft wiederbelebt, sondern hat eine durchgängige Tradition.

Einst war er in ganz Mitteleuropa weit verbreitet, in dieser oder ähnlicher Form. In einem alten englischen Gedicht heißt es: „Die Leute nahmen ein verfaultes, nicht mehr benutztes Rad, umwanden es ganz und gar mit Stroh und Werg und trugen es auf den Gipfel eines Berges. Wenn es dunkel geworden war, zündeten sie es an und ließen es den Berg hinunterrollen, ein merkwürdiges und ungeheures Schauspiel, man könnte meinen, die Sonne sei vom Himmel gefallen.“ Von einem Rad, das am vierten statt am ersten Fastensonntag in Eisenach in Thüringen zu Tal gerollt wurde, berichtet Sebastian Frank im 17. Jahrhundert in seinem „Weltenbuch“. Ähnliche Berichte aus dem 17. Jahrhundert gibt es aus Schwaben und der Pfalz. Seit dem späten 19. Jahrhundert verschwand der Brauch dann zusehends, mit am längsten hielt er sich noch im Trierer Land mit dem Hochwald und der Eifel. In den 1950er Jahren gab es ihn noch in einigen Dörfern im Hochwald, bis heute überlebt hat er nur in Wadrill.

Hier versammeln sich Jahr für Jahr mehr Schaulustige: Die Bewohner des Dorfes, aber zunehmend auch Besucher von außerhalb. Der Verein Heimat- und Naturfreunde Wadrill richtet das Spektakel jedes Jahr aus, was stets einiges an Arbeit bedeutet – doch die ist ihnen das Rad wert. Denn den Vereinsmitgliedern ist es wichtig, dass der alte Brauch weiterlebt. Und natürlich genießen sie den großen Moment auch selbst immer wieder gerne.

Die Bedeutung hinter der Zeremonie wird dann besonders augenscheinlich, wenn am großen Tag Schnee liegt: Dort, wo das Rad seinen Lauf genommen hat, ist der Schnee dann geschmolzen und die Wiese wieder sichtbar – ein Vorzeichen auf den wiederkehrenden Frühling. In der Vorstellung der Menschen symbolisierte das Erbsenrad die Sonne und als diese schenkte es der Erde Licht und Wärme. So sollten die Lebensgeister der Natur wiedererwachen und der Frühling zurückkehren. Dadurch, dass das Rad am Ende stets in einem Bach oder einem anderen Gewässer landete, wurde auch das Element Wasser noch einbezogen. Feuer, Erde und Wasser, diese drei Elemente sollten als Urkräfte des Lebens die Vegetation gedeihen lassen und für eine reiche Ernte sorgen. Auch die teilnehmenden Menschen sollten mit Fruchtbarkeit gesegnet werden.

Doch warum Erbsenstroh? Einerseits weil es reichlich zur Verfügung stand: Die eiweißreichen Erbsen waren hierzulande lange Zeit ein Hauptnahrungsmittel, vor allem bevor sich um 1750 die Kartoffel langsam verbreitete. Andererseits hatten Erbsen und Erbsenstroh auch eine mythische Bedeutung: Beide galten als apotropäisches, also unheilabwehrendes Mittel und als Fruchtbarkeitssymbol. Erbsen waren zudem die Lieblingsspeise der Zwerge und diese waren den Menschen gegenüber meist wohlgesonnen und hilfsbereit.

Der Erbsensonntag hatte seinen Namen jedoch nicht (nur) vom Erbsenstroh: In den ausreichend begüterten Familien gab es einmal in der Woche ein Stück Fleisch, nämlich sonntags zum Mittagessen. Am ersten Fastensonntag aber gab es ein fleischloses Mittagessen und zwar traditionell einen Erbseneintopf oder Erbsenbrei.

Die Vorbereitungen für die Feierlichkeiten begannen früher bereits am Donnerstag nach Aschermittwoch mit dem Fällen einer Birke. Der Baum wurde erstens benötigt, um das Rad auf den Berg zu transportieren und zweitens, um es bei seinem Lauf sicher durch die Flur zu führen. Dass es sich bei dem Baum um eine Birke handelte, war kein Zufall: In der gallogermanischen Symbolik war sie einer hohen weiblichen Gottheit heilig und es waren eben weibliche Geisterwesen, die die Äcker und Wiesen erwecken und befruchten sollten. Noch am selben Tag wurde ein altes Wagenrad, meist ein unbrauchbar gewordenes Hinterrad eines Bauernwagens, in den Bach gelegt. So konnte es sich bis zum Sonntag mit Wasser vollsaugen, damit es nicht gleich Feuer fing, sondern die gesamte Wegstrecke durchhielt. All dies war Aufgabe der Burschenschaft, das heißt, der jungen Männer im Dorf. Eigentlich war stets der sogenannte „Ziehungsjahrgang“ (Jahrgang, der zum Militär eingezogen werden konnte) zuständig, doch oftmals waren auch ein paar Ältere dabei. Denn ein Jahrgang bot nicht immer genügend helfende Hände und sowieso konnten ein paar erfahrene Ratgeber nicht schaden.

Am Erbsensonntag dann, nach dem Gottesdienst, begannen die Burschen mit der Vorbereitung des Rades: Sie umflochten und stopften es mit Erbsenstroh. Dabei musste das Stroh fest gewickelt werden, damit das Rad selbst kein Feuer fing und auch keine brennenden Strohteile davonflogen. Das Flechten mit dem Erbsenstroh war problemlos möglich, denn beim Mähen mit der Sense blieben die langen Halme erhalten. Anschließend gingen die Buben von Haus zu Haus und sammelten Eier. Diese kamen abends nach dem Lauf des Erbsenrades zum Einsatz: Man setzte sich zusammen, aß gebratene Eier und feierte bis in die Nacht. Auch das gibt es noch in Wadrill, nur dass die Eier nicht mehr bei den Einwohnern gesammelt werden.

Am nächsten Tag gingen die Menschen noch einmal zu dem Wagenrad, holten sich Stücke des angesengten Strohs und trugen sie nach Hause. Das Stroh sollte dem eigenen Garten den gleichen Segen bringen wie das Rad der gesamten Natur. Außerdem setzte man an dem Bach, in den das Rad gelaufen war, essbare wie auch heilkräftige Pflanzen. Einige Kräuter wurden dann am Gründonnerstag für die Neunerleikräutersuppe verwendet und sollten Segen spenden.

Wie die meisten heidnischen Bräuche wurde auch das Erbsenrad ein Stück weit christianisiert. Die alten, heidnischen Vorstellungen vermischten sich mit christlichen Denkweisen, außerdem versuchte die Kirche, aktiv gegen die alten Bräuche vorzugehen. Von Wadrill ist etwa überliefert, dass ein Pfarrer Schulz sich vehement gegen das Erbsenrad wehrte. So musste das Fest in einen christlichen „Deckmantel“ gehüllt werden. Davon zeugt etwa das Erklingen des Liedes „Großer Gott wir loben dich“, das heute selbstverständlicher Bestandteil ist und stets vom Musikverein des Dorfes gespielt wird. Außerdem wurden dem Rad die Kerzen und das Kreuz „vorgeschaltet“: Das Kreuz symbolisiert nun den christlichen Gott, der als Ursprung des Lebens das Feuer, das heißt seine lebensspendende Kraft, an das Rad weitergibt.

Ein „echtes“ Erbsenrad hat übrigens kein heutiger Wadriller je gesehen: Um 1900 wurde das Erbsenstroh durch „Koorstroh“ („Kornstroh“, gemeint ist Roggenstroh) ersetzt. Die Kartoffel als Feldfrucht und die vermehrte Fleischproduktion hatten die Erbse verdrängt. Sie war nun kein Hauptnahrungsmittel mehr. Auch stehen heute keine ausrangierten Wagenräder mehr zur Verfügung, deshalb hat man ein Rad aus Eisen von zwei Metern Durchmesser anfertigen lassen, sowie Eisenkonstruktionen für das Kreuz und die Kerzen. Das Rad wird nun nicht mehr mit Stroh umflochten, sondern gestopft und umwickelt. Denn bei der heutigen Ernte mit dem Mähdrescher werden die Halme zerkleinert. Das Stroh wird dann noch mit 150 Metern Draht gesichert und mit eigens angefertigten Nadeln von etwa einem Meter Länge vernäht. Es ist in diesem fertigen Zustand rund fünf Zentner schwer. Bis auf diese kleinen, unumgänglichen Anpassungen an unsere Zeit wird der Brauch bei den Heimat- und Naturfreunden Wadrill jedoch noch immer in seiner hergebrachten Form zelebriert.