Liebe Schalkauer Bürger,
auch in diesem Jahr findet wieder um das zweite Augustwochenende unser Schalkauer Vogelschießen statt. Anlass genug, Euch heute einmal an ein paar Gedanken zur Geschichte dieses Festes und dessen aktueller Situation teilhaben zu lassen.
Erstmals feierten die Schalkauer zusammen mit ihren Schützen im Jahr 1792 ein Schützen- und Volksfest, das heißt seit nunmehr sage und schreibe 233 Jahren! Der Name Vogelschießen ist aber erst seit 1838 belegt, als die Schalkauer Schützen den Ida-Platz als Austragungsort erhielten
Kein anderes Fest in Schalkau und seinen Ortsteilen kann also eine so lange Tradition vorweisen. Und nicht nur das. Vergleicht man das Schalkauer Vogelschießen mit anderen traditionsreichen Volksfesten in Thüringen, so stellt man schnell fest, dass es nur sehr wenige gibt, die noch älteren Ursprungs sind. Zu nennen sind das legendäre Kuhschwanzfest in Eisfeld, dessen Anfang im Jahr 1608 liegt und damit das älteste Volksfest Thüringens ist, oder der Weimarer Zwiebelmarkt, den es auch schon seit 1653 gibt und nicht zu vergessen Thüringens größtes Volksfest, das Rudolstädter Vogelschießen, welches seit 1722 existiert. Auch im Landkreis Sonneberg ist das Schalkauer Vogelschießen eines der ältesten Volksfeste, wenn nicht sogar das älteste.
Wenn ich auf diese lange Tradition schaue, dann versuche ich mir immer vorzustellen, wie viele gesellschaftliche Veränderungen und Umbrüche dieses Fest miterlebt und überdauert hat. Angefangen mit den gesellschaftlichen Umbrüchen, die ausgehend von der französischen Revolution (1789 bis 1799) Europa und ganz besonders auch die vielen deutschen Kleinstaaten erfasste und die in die napoleonische Fremdherrschaft hineinführte und schließlich mit den Befreiungskriegen (1813 - 1815) endete. Die Erschütterungen der Märzrevolution im Jahr 1848, die letztendlich den Anfang vom Ende der feudalen Kleinstaaterei einleitete und schließlich in der Gründung des Deutschen Kaiserreiches im Jahr 1871 ihren Abschluss fand. Und dann sind da noch die vielen katastrophalen Ereignisse und Umwälzungen des 20. Jahrhunderts: 1. Weltkrieg von 1914 bis 1918, Novemberrevolution 1918, Weimarer Republik mit Weltwirtschaftskrise, Nationalsozialismus und Drittes Reich (1933 - 1945), 2. Weltkrieg (1939-1945), Deutsche Teilung und DDR von 1949 bis 1989, bis zur Deutschen Wiedervereinigung 1990 und der Nachwendezeit.
Aufgrund des Verbots der Schützengesellschaften durch die alliierten Siegermächte nach dem 2. Weltkrieg und wegen des Fortbestehens des strikten Verbots unter sozialistischer Herrschaft innerhalb der damaligen DDR wandelte sich das Vogelschießen von einem Schützenfest zum Volksfest. Da die Schützengesellschaften im Sozialismus als reaktionär angesehen wurden, sollte nichts mehr an diese Vergangenheit erinnern. Besonders deutlich wurde dieser erzwungene Wandel an der Umbenennung des Festes. Offiziell hieß es fortan Schalkauer Volksfest, aber im Volksmund und in den Herzen der Schalkauer blieb es immer das Vogelschießen.
Mit der Wiedergründung der Schützengesellschaft 1741 Schalkau e.V. im Jahr 1990 fand das Vogelschießen wieder zu seinen Wurzeln zurück. Seither gehören auch wieder Brauchtumselemente der Schützen wie der Ausmarsch, die Königsproklamation und das Jedermannschießen zu festen Bestandteilen unseres Vogelschießens. Obwohl das Vogelschießen nach der Wende seinen ursprünglichen Charakter und seinen ursprünglichen Namen auch wieder offiziell zurückerhalten hat, ist es zum einen aufgrund seiner geschichtlichen Vergangenheit nach dem Ende des 2. Weltkriegs und zum anderen wegen seiner Größe und dem damit verbundenen organisatorischen und finanziellen Aufwand nach wie vor ein städtisches Fest geblieben.
Dieser besondere Umstand des Vogelschießens, städtisches Fest und Schützenfest in einem zu sein, führte aber in jüngster Zeit immer wieder zu kritischen Diskussionen sowohl mit anderen Vereinen als auch mit einem Teil unseres Stadtrates. Insbesondere das wirtschaftliche Defizit, mit welchem das Vogelschießen den städtischen Haushalt belastet, wird von den Kritikern des Vogelschießens beanstandet. Die Frage, ob die Stadt Schalkau sich ein Fest dieser Größenordnung noch leisten kann, ist deshalb durchaus legitim.
Als Bürgermeister der Stadt Schalkau sehe ich natürlich auch, dass die Kritik in diesem Aspekt berechtigt ist. Es muss ganz klar versucht werden, das Defizit deutlich zu reduzieren. Deswegen hat sich das Organisationskomitee, zu dem Mitarbeiter der Stadtverwaltung, der Vorstand der Schützengesellschaft, Stadträte, engagierte Bürger und Vereine gehören, ein Konzept überlegt, bei dem durch ehrenamtliche Unterstützung aus Vereinen und durch engagierte Bürger, mittels organisatorischer Verbesserungen und durch Erhöhung der Attraktivität des Festes (neue Fahrgeschäfte, freier Eintritt zu den musikalischen Veranstaltungen, abwechslungsreiche Angebote) die wirtschaftliche Bilanz des Festes verbessert wird.
Ob dieses Konzept tatsächlich aufgehen wird, hängt in aller erster Linie von uns selbst, den Bürgern der Stadt Schalkau, ab. Wenn wir möchten, dass unser Schalkauer Vogelschießen eine Zukunft hat, dann nehmen wir uns die Zeit und besuchen unser Fest, verbringen ein paar schöne Stunden in Gemeinschaft, haben gemeinsam Spaß, genießen die Musik bei einem guten Wein oder kühlem Bier mit guten Gesprächen oder freuen uns auf die Gelegenheit zum Tanzen. Und wie es sich für gute Gastgeber gehört, und solche sind wir Schalkauer ja, laden wir noch all unsere Freunde und Bekannten herzlich zum Vogelschießen ein.
Machen wir es einfach wie unsere Altvorderen, denen ihr Vogelschießen etwas bedeutete und für die es immer ein unumstößlicher Termin im Kalender war! Lassen wir es wieder zu einem einzigartigen Ereignis im Jahr und zu einem festen Bestandteil in unserem Leben als Schalkauer werden! Denn unser Vogelschießen ist mehr als nur eine Kostenstelle im Haushalt der Stadt Schalkau, es ist eine (über 200-jährige) Tradition und damit ein Teil unserer Identität und ein Stück unserer Heimat, eine Tradition, die, wurde sie erst einmal aufgegeben, nicht einfach wieder zurückgeholt werden kann.
Ich freue mich daher schon sehr auf Euer Kommen und auf die vielen guten Gespräche mit Euch!
Euer
Mark Schwimmer
Bürgermeister