Dr. Alexandra Finn - Chefärztin in der Notaufnahme des Elisabeth Klinikums Schmalkalden.
Seh- und Sprachstörungen, Lähmungserscheinungen, plötzliches Taubheitsgefühl und Schwindelattacken - bei diesen Anzeichen sollten wohl die Alarmglocken schrillen. Keine Minute ist zu verlieren und ärztliche Hilfe sollte dringend in Anspruch genommen werden.
Dr. Alexandra Finn ist Chefärztin in der Notaufnahme des Elisabeth Klinikums in Schmalkalden und kennt die Anzeichen eines Schlaganfalls sehr genau. Über die körperlichen Folgen eines Schlaganfalls ist vieles bekannt. Doch selten wird über die seelischen Folgen gesprochen. Am 29. Oktober war Weltschlaganfalltag. Ein wichtiger Anlass, um auf die Auswirkungen eines Schlaganfalls aufmerksam zu machen.
Ärztin Dr. Finn erklärt, dass manche Hirnareale nach einem Schlaganfall (Apoplex) nicht mehr gut durchblutet sind und das Gehirn einen strukturellen Schaden erlitten hat. Auch wenn Gehirnzellen in ihrer Funktionstüchtigkeit nicht ganz verloren gehen, sind sie auf jeden Fall leistungsschwächer. Das bedeutet, dass die Sauerstoffzufuhr gestört ist, da sie nicht gut durchblutet werden. Dies kann dazu führen, dass sich Patienten oftmals sehr müde und erschöpft fühlen. Sie können, müssen aber nicht seelische Folgen von einem Schlaganfall tragen. Bis zu 70 Prozent der Patienten haben im Nachgang eines Apoplex mit Müdigkeit und Depressionen zu kämpfen. Nach dieser Erkrankung gestaltet sich das tägliche Leben für die Betroffenen meist schwieriger als zuvor. Der Alltag fordert mehr Kraft. Die Betroffenen merken, dass ihnen die alltäglichen Dinge schwerer fallen und sie nicht mehr so leistungsstark sind. Sie empfinden eine starke Müdigkeit und eine schnellere Erschöpfung. Manche Aufgaben werden ungern angenommen, weil die Angst da ist, zu scheitern. Der Betroffene könnte sich bloß stellen, wenn er die Aufgabe nicht schaffen sollte. Das möchte er natürlich vermeiden. Dadurch kann ein minderes Selbstwertgefühl entstehen und der soziale Rückzug zieht sich voran. Symptome einer Depression machen sich bemerkbar. Dr. Finn versinnbildlicht es mit einer Art Spirale, die sich immer mehr nach oben dreht. Bei den Patienten kann sich die Spirale immer weiter zuspitzen und die negative Gedankenspirale dramatisch zunehmen bis hin zum Suizid. Deshalb ist es so wichtig, dort anzusetzen, wo die Spirale am Anfang steht. Betroffene können sich auch oft antriebslos und interessenslos fühlen. Der Schlaf- und Wachrhythmus ist gestört, es kann eine gewisse Gleichgültigkeit gegenüber dem sozialen Umfeld und der eigenen Person geben - auch eine körperliche Vernachlässigung kann eine Rolle spielen.
Deshalb sollte auf jeden Fall die Selbsthilfefähigkeit bei Schlaganfall-Patienten gestärkt werden. In Reha-Einrichtungen sollen die Patienten z.B. körperlich und mental ihre Selbsthilfekräfte aktivieren. Der Therapeut versucht z.B. bei einer Lähmung mit dem Patienten bestimmte Dinge mit der gesunden Gegenseite umzusetzen und dies zu trainieren. Probiert man es einmal selber aus, mit der Hand die Zähne zu putzen, die man eigentlich nicht dafür verwendet, dann wird man merken, wie schwer es einem fällt. Schnürsenkel zubinden oder Hosenknöpfe schließen wären weitere Beispiele. Bei solchen Alltagsdingen bekommt man vielleicht einen Eindruck, welchen Hürden ein Schlaganfallpatient im Alltag ausgesetzt ist. Die Frage ist, kann man einen Menschen, der an sich schon müde und erschöpft ist, dazu ermuntern, diese Möglichkeiten der Unterstützung und der Hilfsmittel zu nutzen.
Im besten Falle werden Schlaganfallpatienten sehr gut über ihre Erkrankung informiert und sind mit den therapeutischen und medikamentösen Möglichkeiten vertraut.
Ein depressiver Patient leidet oft auch an Schlafstörungen, weil er z.B. immer wieder darüber nachdenkt: was kann ich alles nicht mehr machen; was ist, wenn das wieder passiert; wie hilflos bin ich dann; muss ich eventuell ins Pflegeheim? In diesem Fall hätte ein Antidepressivum eine schlafanstoßende Wirkung und damit könnte der Tag- und Nachtrhythmus stabilisiert werden. Dadurch würde die Depression in der Negativ-Spirale nicht weiter angetrieben werden.
Die Palette der Antidepressiva ist sehr breit. Allerdings sollten alle anderen Optionen wahrgenommen werden, bevor man zu einer medikamentösen Therapie greift, so die Empfehlung von Dr. Finn. Es gibt viele Menschen, die mit der Unterstützung eines Gesprächstherapeuten und beispielsweise mit einer Licht- und Aromatherapie eine gewisse Erleichterung und weniger empfundenen Druck verspüren. Damit möchte Dr. Alexandra Finn den Blick weiten.
Die klassische Aromatherapie beruht auf der Wirkung naturreiner ätherischer Öle. Diese haben einen positiven Effekt auf Körper, Geist und Seele, indem sie beispielsweise entspannend, stimmungsaufhellend, vitalisierend und schlaffördernd auf den Patienten wirken. Bei der Lichttherapie schauen die Patienten mit offenen Augen zum Lichttherapiegerät, welches möglichst 10.000 Lux stark sein sollte. Durch das Licht wird das körpereigene Hormon Serotonin gebildet, was eine positive Wirkung auf die Stimmung hat. Gerade der Lichtmangel im Herbst und Winter können auf das Gemüt schlagen. Zudem gibt es die Möglichkeit einer Farb- und Typberatung, die häufig zunächst beschmunzelt werden, jedoch auch ihre positive Wirksamkeit auf die Stimmung entfalten können. Es gibt Farbkombinationen, die eine gewisse Leichtigkeit und Lebensfreude vermitteln.
Dieses Gesamtpaket kann ein Anschub für mehr Lebensfreude im Alltag sein und kann den Betroffenen helfen, aus dem Strudel der Depression besser heraus zu kommen. Wichtig ist, dass Patienten erst einmal Hilfe zulassen und Einsicht in ihre Krankheit haben. Gesprächstherapien oder Selbsthilfegruppen können auch unterstützend helfen. Dabei ist eine Gesprächstherapie oft ein individuelles Gespräch zwischen dem Patienten und dem Therapeuten und es geht vorranging um das Hören und nicht das Werten. In einer Selbsthilfegruppe werden Erfahrungsschätze und Werte ausgetauscht - die Teilnehmer geben ihre subjektive Note weiter und damit auch ihre Wertung. Sie treffen bei jeder Zusammenkunft wieder die Vereinbarung: Komm doch bitte nächste Woche wieder und dadurch wird sich über eine Verbindlichkeit, ein Plan und ein Ziel für kommende Treffen verständigt. In der Gruppe entstehen Bindungen, die einen hohen Wert haben, weil sich die Teilnehmer gegenseitig halten. Zudem versprechen sie sich gegenseitig zu helfen. Selbsthilfegruppen sind sicherlich regelmäßiger und schneller greifbar als Termine bei einem Gesprächstherapeuten.
Noch zum Schluss ein wichtiger Tipp von Dr. Finn für die Angehörigen. Sie sollten das konkrete Gespräch mit dem Betroffenen suchen, wenn sie merken, dass es dem Betroffenen nicht gut geht und auf keinen Fall sollte etwas weggeschwiegen werden. Nichts ist schlimmer, als sich später zu sagen: hätte ich nur nachgefragt. Die sich hochwindende Spirale sollte versucht werden, aufzuhalten, denn aus einer Depression ist es schwierig wieder allein herauszukommen. Die soziale Isolation ist ein wesentlicher Verstärker der Depression.