Nach Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens ist zum 19.07.2024 die Neufassung der Thüringer Bauordnung (ThürBO) vom 02. Juli 2024 (GVBl. S. 298 ff.) in Kraft getreten. In den Medien und der Presse wurde dazu bereits berichtet.
Ziel der Novelle ist, die Bauwirtschaft bei der Bewältigung der enormen Herausforderungen im Bausektor in den kommenden Jahren zu unterstützen. Die Thüringer Bauordnung war zuletzt 2014 umfassend novelliert worden.
Die Neufassung der Thüringer Bauordnung war darüber hinaus notwendig, um europarechtliche Verpflichtungen erfüllen zu können. So mussten zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2018/2001 zur Förderung der Nutzung von Energie aus erneuerbaren Quellen verfahrensrechtliche Erleichterungen für die Genehmigung von Anlagen zur Nutzung erneuerbarer Energien geschaffen werden. Auch die Regelungen zur Bauvorlageberechtigung mussten für Personen mit Berufsbefähigungen aus anderen Mitgliedsstaaten geöffnet werden, um die Kompromissregelung mit der Europäischen Kommission umzusetzen und somit auch ein drohendes Vertragsverletzungsverfahren abzuwenden. Außerdem übernimmt die neue Thüringer Bauordnung die seit der letzten Novellierung beschlossenen Änderungen der Musterbauordnung. Damit greift die Bauordnung entsprechende Forderungen der am Bau Beteiligten und die Verabredung im bundesweiten Bündnis bezahlbarer Wohnraum auf. Mit dieser Änderung ist auch gewährleistet, dass sich Planerinnen und Planer, Bauherrschaft oder Bauunternehmen auf weitgehend gleiche materielle Regelungen in den Ländern verlassen können.
Folgende wesentliche Änderungen der Bauordnung sind vorgenommen worden:
Digitale Baugenehmigungsverfahren sollen ermöglicht und damit Bauverfahren beschleunigt werden. Bislang standen einem digitalen Antrag rechtliche Hürden entgegen, die mit der vorliegenden Neufassung beseitigt wurden. Schriftform- und Unterschriftserfordernisse wurden bis auf ganz wenige begründete Ausnahmen abgeschafft. Damit ist es künftig rechtssicher möglich, Bauanträge digital zu beantragen.
Darüber hinaus soll die Bauordnung einen Beitrag leisten, Treibhausemissionen zu reduzieren, indem verschiedene Maßnahmen zu Gunsten einer Energiewende umgesetzt werden. Auch dafür werden die materiellen Anforderungen fortentwickelt. Die Novelle ermöglicht es Hausbesitzerinnen und Hausbesitzern auch nachträglich, Maßnahmen zur Unterstützung der Energiewende zu ergreifen.
So werden die Errichtung von Solaranlagen auf Dächern von Doppel- und Reihenhäusern erleichtert, indem die vorgeschriebenen Abstände zu Brandwänden verringert wurden. Geräuscharme Wärmepumpen können an der Grundstücksgrenze errichten werden. Dafür müssen keine Abstandsflächen eingehalten werden.
Auf Bestandsgebäuden können bis zu 40 cm Wärmedämmung aufgebracht werden, was nach bisherigem Recht abstandsflächenrechtlich unzulässig war. Die Errichtung von Solarparks in entsprechenden Bebauungsplangebieten bzw. an Autobahnen oder übergeordneten Schienenwegen wird erleichtert. Anlagen im 200 m Abstand von Autobahnen und übergeordneten Schienenwegen werden genehmigungsfrei gestellt (unter Voraussetzung der gesicherten Erschließung und der Zustimmung der Gemeinde). Der Bau von Windenergieanlagen im Außenbereich wird durch den Wegfall von Abstandsflächen fortan leichter möglich werden. Die Abstände großer Windenergieanlagen zu Wohnsiedlungen bleiben jedoch bestehen.
Kreisfreie Städte, Große Kreisstädte und Große kreisangehörige Städte dürfen in Zukunft die Zahl der notwendigen KFZ-Stellplätze sowie der Fahrrad-Abstellplätze selbst per Satzung regeln. Dies soll es ermöglichen, gemeindliche Mobilitätskonzepte zu berücksichtigen und ggf. weniger KFZ-Stellplätze zu fordern. Andererseits müssen künftig auch geeignete Abstellplätze für Fahrräder geschaffen werden, wenn ein entsprechender Bedarf besteht.
Die neue Bauordnung ermöglicht die Nutzungsänderung von Dachgeschossen zu Wohnzwecken fortan im Rahmen der Genehmigungsfreistellung. Nutzbare Wohnflächen können so mit überschaubarem Aufwand geschaffen werden. Diese Regelung soll dazu beitragen, dass zusätzlicher Wohnraum im Gebäudebestand geschaffen, angespannte Wohnungsmärkte entlastet und dabei gleichzeitig Flächenversiegelung durch Neubau am Stadtrand vermieden werden.
Vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung wurden die Regelungen zur Barrierefreiheit in der Bauordnung erweitert, um u.a. mehr barrierefreien Wohnraum zu schaffen. Die verbesserten Regelungen der Bauordnung betreffen die Erweiterung der barrierefreien Zugänglichkeit in Wohnungen auf den Freisitz und die schwellenlose Zugänglichkeit von Abstellräumen für Mobilitätshilfsmittel. Die baulichen Anforderungen der Barrierefreiheit gelten außerdem künftig auch für Einrichtungen des Erziehungswesens. Auch künftig gilt, dass in Gebäuden mit mehr als zwei Wohnungen die Wohnungen mindestens eines Geschosses barrierefrei erreichbar sein müssen. Die Maximalforderung nach grundsätzlicher Barrierefreiheit aller Wohnungen und aller öffentlichen Gebäude ist allerdings weder kurz- noch mittelfristig umsetzbar. Eine solche Regelung würde insbesondere den Wohnungsbau in Thüringen schwer beeinträchtigen, da barrierefreies Bauen deutlich höhere Kosten verursacht. Diese können unter den derzeitigen Bedingungen von Staat, Bauwirtschaft sowie Mieterinnen und Mieter nicht getragen werden.
Hier nur beispielhaft einige interessante Neuerungen:
| - | Erteilte Baugenehmigung kann nach Ablauf der Geltungsdauer nunmehr um 3 Jahre verlängert werden, wenn mit der Bauausführung noch nicht begonnen wurde | |
| - | Unterbrechung der Bauausführung eines genehmigten Vorhabens jetzt bis zu 3 Jahre möglich | |
| - | Genehmigungsfreistellung für die Änderung und Nutzungsänderung von Dachgeschossen zu Wohnzwecken im Innenbereich (§ 34 BauGB); Errichtung und Änderung von Anlagen zur Nutzung solarer Strahlungsenergie nach § 35 Abs. 1 Nr. 8 b) BauGB sowie Modernisierung und der Ersatz von bestehenden Anlagen zur Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien, ausgenommen Sonderbauten und UVP-pflichtige Vorhaben | |
| - | Anwendung des vereinfachten Baugenehmigungsverfahrens bei allen Gebäuden der Gebäudeklasse 3, ausgenommen Sonderbauten und UVP-pflichtige Vorhaben à Beschränkung auf Wohngebäude ist entfallen | |
| - | Anwendung des vereinfachten Baugenehmigungsverfahrens bei Antennen einschließlich der Masten zur Telekommunikationsversorgung sowie Anlagen, die in den Anwendungsbereich der Richtlinie (EU) 2018/2001 vom 11.12.2018 fallen (vorrangig Windenergieanlagen mit einer Höhe von mehr als 30 m); diese Anlagen sind keine Sonderbauten mehr | |
| - | Keine Notwendigkeit der Einhaltung von Abstandsflächen bei Windenergieanlagen oder Antennen einschließlich Masten, die im Außenbereich errichtet werden sollen, mit einer Breite des Mastes von höchstens 1,50 m und einer Gesamthöhe von nicht mehr als 50 m, zu anderen Grundstücken im Außenbereich | |
| - | Keine Notwendigkeit der Einhaltung von Abstandsflächen bei Wärmepumpen mit einer Höhe bis 2 m und Gesamtlänge je Grundstücksgrenze von 3 m | |
| - | Keine neue Abstandsflächenprüfung bei bestimmten Änderungen, Nutzungsänderungen sowie Ersatz von Gebäuden in gleichen Abmessungen | |
| - | Brandwanderfordernis bei aneinander gebauten Gebäuden bzw. Gebäuden im Abstand von weniger als 5 m zueinander auf demselben Grundstück, ausgenommen Gebäude ohne Aufenthaltsräume und ohne Feuerstätten mit nicht mehr als 50 m³ Brutto-Rauminhalt | |
| - | Erweiterung und Ergänzung des Kataloges der verfahrensfeien Vorhaben: | |
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| o | Garagen und Fahrradgaragen bis 50 m² Grundfläche und 3 m mittlere Wandhöhe, außer im Außenbereich |
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| o | Solaranlagen im Geltungsbereich von Bebauungsplänen, sofern dieser Regelungen zu Solaranlagen enthält und die Festsetzungen eingehalten werden |
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| o | Windenergieanlagen bis 10 m Höhe, außer in reinen Wohngebieten sowie Landschaftsschutzgebieten (LSG) und Natura 2000-Gebieten |
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| o | Diverse Anlagen zur Erzeugung und Nutzung von Wasserstoff |
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| o | Antennenmasten bis 15 m Höhe bzw. 20 m freistehend im Außenbereich |
Zu den verfahrensfreien Vorhaben in § 63 ThürBO (2024) ist Folgendes anzumerken:
Auf die im Katalog des § 63 ThürBO genannten verfahrensfreien Vorhaben soll im Einzelnen hier nicht weiter eingegangen werden, da dies den Rahmen der Information sprengen würde. Es muss aber klargestellt werden, dass die Verfahrensfreistellung in der Auslegung eng zu fassen und kein „genereller Freibrief“ ist. Die Bauwilligen werden vor allem nicht von der Einhaltung der materiellen Vorschriften der ThürBO und der sonstigen öffentlich-rechtlichen Vorschriften entbunden. Durch die Bauherrschaft sind wie bisher die materiellen Vorschriften, insbesondere der Thüringer Bauordnung aber auch anderer Bauvorschriften (wie z. B. der Thüringer Garagenverordnung, Thüringer Feuerungsverordnung etc.), die Einhaltung der Anforderungen an den bautechnischen Brandschutz (z. B. Rettungswege, Brandschutzabstände zu Grundstücksgrenzen, Feuerwiderstandsdauer von Bauteilen etc.), das öffentliche und private Nachbarrecht sowie Belange der Standsicherheit (z. B. Berücksichtigung der für den jeweiligen Standort anzusetzenden Schneelast) zu beachten und einzuhalten.
Es ist durchaus auch denkbar, dass der Standort eines verfahrensfreien Verfahrens innerhalb einer örtlichen Bauvorschrift (z. B. einer gemeindlichen Gestaltungssatzung), im Überschwemmungsgebiet, in einem naturschutzrechtlich bedeutsamen Gebiet, in unmittelbarer Gewässernähe, direkt an einer öffentlichen Straße, auf einer Altlastenverdachtsfläche oder in einem ausgewiesenen Denkmalensemble bzw. im Umgebungsschutzbereich eines Kulturdenkmals liegt. Vielleicht soll in Zusammenhang mit einem verfahrensfreien Vorhaben auch ein Gewerbe ausgeübt werden. Dann sind diese Fragen und Belange ausschließlich in Eigenverantwortung der Bauherrschaft mit den jeweils zuständigen Behörden zu klären und möglicherweise nach anderen Vorschriften erforderliche Genehmigungen, Zustimmungen, Erlaubnisse oder Bewilligungen (z. B. Städtebaurecht, Wasserrecht, Naturschutzrecht, Lebensmittelrecht, Gewerberecht, Abfallrecht, Straßenrecht etc.) rechtzeitig vor Baubeginn / Nutzungsaufnahme einzuholen.
Zum Vollzug des neuen Baurechts gehören jedoch auch ordnungsrechtliche Maßnahmen gegen Bauvorhaben, die nicht in Einklang mit den Vorschriften des öffentlichen Baurechts stehen. Diese reichen je nach Schwere des Verstoßes vom Baustopp über Nutzungsuntersagung bis hin zur Beseitigungsanordnung. Insbesondere durch nachbarliche Hinweise wird die Bauaufsichtsbehörde immer wieder über entsprechende Verstöße in Kenntnis gesetzt und ist somit zur Überprüfung hinsichtlich der Einhaltung der formellen aber auch materiellen Anforderungen des öffentlichen Baurechts angehalten. Ordnungswidrigkeitsverfahren und nachträgliche Baugenehmigungsverfahren, im schlimmsten Fall eine Nutzungsuntersagung oder die Beseitigung einer unrechtmäßig errichteten Anlage sind für die Bauherrschaft meist unangenehme Angelegenheiten, verbunden mit intensiven Kosten. Um solche Verfahren möglichst auszuschließen, wird deshalb darauf hingewiesen, sofern bei Bauherrinnen oder Bauherrn Unsicherheiten oder Zweifel bei der Beurteilung von verfahrensfreien Bauvorhaben nach § 63 ThürBO bestehen, hier rechtzeitig den entsprechenden Kontakt mit der Bauaufsichtsbehörde im Landratsamt Sonneberg aufzunehmen, um Konflikte (z. B. mit den Nachbarn oder mit anderen öffentlich-rechtlichen Belangen) zu vermeiden.
Für Fragen und Auskünfte zur neuen Thüringer Bauordnung 2024 stehen die Mitarbeitenden des Bauverwaltungsamtes im Landratsamt Sonneberg (Tel.: 03675/871-479; E-Mail: bauverwaltung@lkson.de) gerne zur Verfügung.