Schauberg/Judenbach. Es ist der Silvestertag 1989. Noch ist er undurchlässig und standhaft, der Grenzzaun, der die beiden benachbarten Dörfer Schauberg (Gemeinde Tettau) und Judenbach (Gemeinde Föritztal) jahrzehntelang getrennt hat. Doch mit der Grenzöffnung in Berlin am 9. November waren auch die Tage dieser deutsch-deutschen Barriere endgültig gezählt, nachdem in den Wochen zuvor bereits andere Grenzübergänge zwischen den Landkreisen Kronach und Sonneberg geöffnet worden sind: Zum Beispiel Heinersdorf/Welitsch am 19.11.1989 oder Spechtsbrunn/Tettau und Neuhaus-Schierschnitz/Burggrub am 24.11.1989. Zum Gedenken an dieses historische Ereignis, das sich mittlerweile zum 35. Mal jährt, versammelten sich zahlreiche Bürger von „Hüben“ und „Drüben“ am Silvesternachmittag am Schauberger Feuerwehrhaus zu einer Feierstunde.
Organisator Hubert Steiner aus Schauberg nutzte seine Begrüßungsansprache dazu, die geschichtsträchtigen Ereignisse zum Jahresende 1989 samt ihrer Vorgeschichte nochmal Revue passieren zu lassen. „Meine Leut‘ lassen mir keine Ruhe, wir müssen die Grenze öffnen!“, so der Appell der ehemaligen Judenbacher Bürgermeisterin Margit Trott, die am Vortag des Silvestertages 1989 auf dem Schauberger Sofa von Hubert Steiner Platz nahm. Postwendend schon schellte das Telefon des Tettauer Altbürgermeisters Alfred Schaden am späten Abend. Der Beschluss: Am Vormittag des Neujahrstages soll der Zaun im Tettautal fallen. „Dann hieß es für uns: Glühwein besorgen und Verköstigungen organisieren. Denn dieser Tag sollte einmalig werden, wir aktivierten alle verfügbaren Kräfte“, erzählt Steiner. Am Silvestertag dann begannen die Abbauarbeiten am Zaun von DDR-Seite aus - das enge Metallgeflecht wurde zunehmend löchriger und ließ die Wiedervereinigung zwischen Judenbach und Schauberg Stunde um Stunde näher rücken. Am Nachmittag dann war es soweit, der erste Besuch aus Judenbach traf am Hirscheck in Schauberg ein und wurde herzlichst mit einem Kessel Glühwein empfangen. Darunter auch die Familien Döring und Diez, die jahrzehntelang von ihrer Verwandtschaft in Schauberg getrennt waren. Der Neujahrstag 1990 stand schließlich im Zeichen der offiziellen Grenzöffnung, umrahmt von kirchlichen Andachten sowie musikalischen Darbietungen des Judenbacher Männerchors und des Schauberger Musikvereins.
Die aktuellen Äquivalente aus Politik, Musik und Kirche versammelten sich nun auch 35 Jahre später bei eisigen Temperaturen am Schauberger Feuerwehrhaus. Während die Glühwein- und Teekocher des Schauberger Frauentreffs köchelten und die Fahnenabordnung der Freiwilligen Feuerwehr Schauberg tapfer Spalier stand, stieg man musikalisch in die ökumenische Andacht ein. Sowohl der Schauberger Musikverein als auch der Judenbacher Männerchor gaben ihr Können zum Besten - zwei Traditionsvereine, die nach wie vor Bestand haben. Pfarrerin Stefanie Brudereck (Ludwigsstadt) und Pastoralreferent Josef Grünbeck feierten zusammen mit den Anwesenden eine Andacht. Hierbei stand neben dem historischen Jubiläum „Nachbarn treffen sich wieder“ auch der Rückblick auf das abgelaufene Jahr 2024 im Fokus. Unter den Gästen waren auch die beiden Altbürgermeister Alfred Schaden (Tettau) und Albrecht Morgenroth (Judenbach) zu finden, welche nach der Wende maßgeblichen Anteil am Aufbau von freundschaftlichen Beziehungen zwischen den beiden Gemeinden hatten.
Welch ungeheure Bedeutung das Ende der jahrzehntelangen Teilung vor 35 Jahren hatte, unterstrich auch Peter Ebertsch, Bürgermeister des Marktes Tettau. „Die Grenzöffnung war kein Zufall. Sie war das Ergebnis von Mut, von Hoffnung und von einem Glauben daran, dass eine bessere Welt möglich ist. Doch sie erinnert uns auch daran, dass Freiheit und Demokratie keine Selbstverständlichkeiten sind“, so Ebertsch am Altjahrestag. Dabei mahnte das Tettauer Gemeindeoberhaupt an, dass angesichts von Populismus und Desinformationen die Demokratie immer wieder aufs Neue verteidigt und mit neuen Impulsen belebt werden muss. Der Überwindung der deutsch-deutschen Teilung als Avantgardebeispiel folgend, sollen auch im neuen Jahr Mauern der Gleichgültigkeit, des Hasses und der Spaltung in der Gesellschaft überwunden werden. Auch Föritztals Bürgermeisterin Silke Fischer stimmte in diesen Reigen mit ein und betonte ebenfalls die gute Entwicklung der Zusammenarbeit der beiden Gemeinden in den letzten 35 Jahren. Nachdem sie erst vor wenigen Wochen ihr Amt antrat, war der Festakt, der nur wenige Meter von der bayrisch-thüringischen Grenze im Tettautal stattfand, ihr erster politischer Auftritt in Schauberg. Mit Blick auf die aufgestellten Schautafeln, die von Helmut Heinz zur Verfügung gestellt wurden, erinnerte man sich auch gemeinsam an das geschliffene Dorf Rottenbach und an die Schneidmühle Räppoldsburg (zu Judenbach zugehörig), welche im Zuge des Zaunbaus Anfang der 1960er-Jahre dem Erdboden gleichgemacht wurden und somit zahlreiche Familien ihr Zuhause verloren.
Der gute Zuspruch der Bürgerinnen und Bürger an der Gedenkfeier zeigt, dass man diese historische Sternstunde am Silvestertag 1989 bzw. am Neujahrstag 1990 nicht in den Geschichtsbüchern verstauben oder in den Erinnerungen der Zeitzeugen verblassen lässt, sondern die Wiedervereinigung und somit auch die freundschaftlichen Beziehungen pflegt. Die zünftige Musik der Schauberger Musikanten und die stimmgewaltigen Judenbacher Männer umspannten das Tettautal vor 35 Jahren mit einem unsichtbar-einigendem Band. Und sie tun es auch heute noch mit demselben Elan.