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Uhlstädt-Kirchhaseler Anzeiger
Ausgabe 8/2024
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II. Kriegserlebnisse zwischen Sewastopol, Pleskau, Partschefeld und Uhlstädt (2. Konrad, Herrmann und Renate Kralisch)

Meine Liebe zu slawischen Sprachen im Allgemeinen und der russischen im Speziellen schließt gute persönliche Erfahrungen mit Land und Leuten ausdrücklich mit ein. Dies gilt nicht nur für Tschechien, die Slovakei oder Polen, sondern auch für die baltischen Länder und Rußland.

Meinem Onkel Konrad - erst Katechet in Uhlstädt und später dann Pfarrer in Hainspitz - waren ähnlich positive Aussagen bezüglich des Sowjetreiches oder (….umgangssprachlich vereinfachend) verkürzt „Rußland“ zu keiner Zeit - auch nicht schon zu DDR-Zeiten und egal, von wem - zu entlocken. Das lag wohl noch am wenigsten daran, daß seine mit Klugheit und Talenten reichlich gesegnete Tochter Gabriele in der DDR nicht studieren durfte. Ihres Vaters wenige, kurz-einsilbigen Berichte endeten immer in dem Satz „Ich will nie wieder dahin !“

Daß er überhaupt nicht erst dahin kommen könnte, darum bemühte sich seine Mutter Thekla schon vor einer anstehenden Einberufung mittels Vorsprache(n) beim zuständigen Wehrbezirkskommando unter Verweis auf die ausgesprochen schmächtige Konstitution ihres vierten Sohnes. Leider vergeblich - und so wurde er schließlich zur Panzerwaffe einberufen, wo sich seine Kombination von wachem Verstand und zierlichem Körperbau ja noch am ehesten zweckdienlich (aus)nutzen oder gar für einen Krieg mißbrauchen ließ.

Panzersoldaten - deutsche wie sowjetische - waren in der Regel sehr stolz auf ihre Waffengattung, lernten aber recht zügig, daß so ein stählernes Ungetüm sehr schnell zu einem kochend heißen Sarg verkommen konnte.

Oder - bei einem „nur“ manövrierunfähig geschossenem Panzer in feindlicher artilleristischer und/oder infanteristischer Umgebung, daß die bis dato im Panzer (noch) Überlebenden in Todesangst den selbst nicht mehr zu verhindernden „Fangschuß“ erwarteten. Mein Onkel Konrad muß so etwas wohl erlebt haben. Außerdem berichtete er seiner Tochter davon, er sei einmal „verschüttet“ gewesen. Wo und wann wissen wir nicht. Eine mögliche Erklärung wäre Konrads Einsatz (auch) an der Westfront gewesen, wo ja Dank extremer artilleristischer Überlegenheit der Alliierten sowie deren Bombardierungen von Städten im Frontbereich schon mal ganze Häuserwände auf die deutschen Soldaten (…und auch die französischen Zivilisten) niederstürzten.

Sein Vater Martin erwähnt in einem für die Uhlstädter Kirchturmkugel erstellten Dokument neben dem (tödlichen) Schicksal von 67 Gemeindemitgliedern auch eine schwere Verwundung seines Sohnes, der nach Entlassung aus einem der berüchtigten Rheinwiesenlager dem Tode noch knapp von der Schippe gesprungen war, völlig abgemagert und mit Beinödemen beidseits. Onkel Konrad erwähnte diese schreckliche „Episode“ seines Lebens auch in einem persönlichen Gespräch mit mir. Es liegt aber schon mehr als vier Jahrzehnte zurück und ich kann mich nur noch an zwei Begebenheiten erinnern:

Zum einen berichtete er mir, wie er und seine Kameraden eines Morgens mitansehen mußten, wie - vis-a-vis zur eigenen Unterkunft - eine „russische Matka“ nach Heraustreten aus der Tür ihres Holzhäuschens offensichtlich unmittelbar vor der eigenen Schwelle ihr „Morgengeschäft“ verrichtete. Zum anderen hörte ich einen Bericht darüber, wie „wir mit nur vier Panzern ein ganzes sowjetisches Panzerrudel in einem Dorf zusammengeschossen haben“.

Das geschilderte Erlebnis eher ziviler Natur hatte vermutliche gewisse Überschneidungen mit der offiziellen Nazi-Propaganda vom slawischen Untermenschen. Und derartige Berichte über erstaunliche militärische Leistungen gegen einen materiell oft weit überlegenen Gegner habe ich in den letzten dreißig Jahren sehr oft lesen können inclusive buchdicker (….auch englischer, sowjetischer oder israelischer) Analysen, warum dies so war. Irgendwelche (z.B. Selbst-) Reflexionen darüber, was die selbst miterlebten Kampfhandlungen im speziellen oder ein (von den Nazis konzipierter Vernichtungs-) Krieg im allgemeinen für die beteiligte Zivilbevölkerung besetzter Länder bedeutete, hörte und las ich deutlich seltener. Allgemein bekannte oder nachlesenswerte Gründe, Motive, Hemmnisse incl. Erklärungen können hier nicht (ausreichend differenziert) diskutiert, aber eine ganz konkrete „Geschichte“ meiner Mutter Renate wenigstens erwähnt werden : Sie erzählte mir, daß einer ihrer Brüder (welcher, weiß ich nicht mehr) ein „Beute-Geschenk“ für die Familie mitbrachte, was sonst nie der Fall war. Es handelte sich um ein Stück Schinken eines Schweines, welche die Soldaten im Rahmen situativ-notwendiger Selbstversorgung gegen den ja oft nagenden Hunger geschlachtet hatten. Dem Urlauber - offensichtlich unmittelbar vor der Heimreise stehend - war ganz kameradschaftlich auch ein Stück zugeteilt worden in der Hoffnung, durch Heraushängen des wertvollen Stücks aus dem Abteilfenster in den kalten oder wenigstens kühlenden Fahrtwind etwaiger anschwellender Verderbnis bis zum Reiseziel Uhlstädt entgegenzuwirken. Der Qualm von vermutlich gleich mehreren Dampfloks tat dann das Seinige, um Mutter Thekla zu nötigen, vor dem Braten die äußeren Teile abzuschneiden und dem Abfalleimer zu überantworten.

Wenn ich heute die Berichte meiner Mutter zu ihren Kriegserlebnissen Revue passieren lasse, dann waren Analysen / Kommentare allgemeiner Art eher selten („größenwahnsinniger Hitler“, „Sauckel, der Verbrecher“). Ihre Berichte drehten sich fast ausschließlich um das Schicksal ihrer Brüder Gottfried, Hans und Konrad sowie ihrer großen Liebe Julius Neumann aus Tangermünde (an der Ostfront gefallen 1944) sowie seines Bruders Dieter, der - schwerverwundet und seine Krücken „voranschmeißend“ - mit ihr im Urlaub in der Elbe schwamm. Aber auch um die Bombenangriffe auf Rudolstadt, die auch ihre Schule nicht verschonten. Dies war insofern besonders „makaber“, da ihre Cousine Marianne Engelbrecht extra wegen der Bombardierungen Berlins zur Verwandtschaft nach Uhlstädt evakuiert worden war und mit Renate dann gemeinsam zur Schule ging. Aber auch an Übernachtungen bekannter und fremder Menschen im Pfarrhaus um das Kriegsende herum konnte sie sich erinnern : Zum einen an einen Soldaten, der - jedenfalls verbal - noch an den Endsieg glaubte (…die “Wunderwaffenproduktion“ bei Großeutersdorf war nicht weit, Sch-----hausparolen jeglicher Couleur machten die Runde - auch solche über ein unmittelbar bevorstehendes gemeinsames Vorgehen der deutschen und amerikanischen Streitkräfte gegen „die Russen). Weiterhin an eine Flüchtlingsfrau, die es nicht mehr bis zum geplanten Ziel Katzhütte geschafft hatte. Oder an eine oder mehrere Lettinnen, die, als das Gerücht sowjetischer Besatzung Thüringens statt der amerikanischen die Runde machte, panikartig „noch in der Nacht“ sofort aufbrachen und weiter gen Westen zogen. Und ungefähr erst vier (!) Jahre nach Kriegsende sei eine Freundin von Ruth Sommer (Tochter des Bäckermeisters) vorbeigekommen, mit zwei Kindern. Die habe erzählt, daß sie vor Kriegsende als Schülerin mit der Tochter vom Gauleiter Sauckel befreundet gewesen sei. Offenbar als Folge einer Denunziation, sei sie nach Kriegsende nach Buchenwald gekommen, wo die beiden Kinder als Folge von Vergewaltigungen geboren wurden. Nicht auszudenken, wenn auch unserem Großvater Martin Schreckliches widerfahren wäre, denn er hätte wegen seiner mir aus mehreren Quellen berichteten Affinität zu den „Deutschen Christen“ auch Ziel irgendwelcher „Abrechnungen“ nach dem Machthaberwechsel sein können. Dr. Thomas Peiser - von welchem als Gemeindekirchenratsmitglied und Organist in Uhlstädt ein vertrauenswürdiges Urteil erwartbar ist - berichtete mir in einem Gespräch in seinem Haus in der Weinbergstraße über die starke Polarisierung in Uhlstädt als de facto stark „Sozi“-geprägtes Arbeiterdorf. An irgendwelche einfachen, gar monokausalen oder besonders schlüssig daherkommende Erklärungen kann ich mich nicht erinnern.

So gut wie sicher ist aber, daß Pfarrer Martin Kralisch spätestens zum Kriegsende im Saaletal zwischen 11. und 14. April offensichtlich Tag für Tag so ziemlich genau das Richtige getan hat : Zuerst „verbannte“ er seine Familie in den mit Abstand tiefsten Keller im Pfarrhaus - inklusive provisorisch eingerichteter Schlaf- und Aufenthaltsgelegenheiten in den anderen, höherliegenden Kellerräumen. Diese Vorsicht war angebracht, denn es gab dafür gleich mehrere Gründe : Zum einen pflegten die US-Streitkräfte auf ihrem Vormarsch grundsätzlich viele, ihnen strategisch wichtig erscheinende Ziele (ganze Orte oder „Einzelziele“ wie Brücken, Bahnhöfe u.a.) schon in einem noch relativ weiten räumlichen u./o. zeitlichen zur aktuellen Frontlinie u./o. einer späteren Einnahme der Ziele zu bombardieren. Der erzielte militärische Nutzen war oft marginal (z.B. Plauen, Pößneck,…..), der Schaden für die Gebäudesubstanz und vor allem die Zivilbevölkerung erheblich(z.B. 208 Bombenopfer in Saalfeld, davon allein 38 in den Kellern des Saaltores). Desweiteren drohte dasselbe Schicksal allen Ortschaften im unmittelbaren Frontbereich, die nicht zügig auf Aufforderung jeglichen Widerstand einstellten (regionale Beispiele dafür sind Ehrenstein; Altremda u.a.). Hier kam neben der Luftwaffe in erster Linie massiver Artillerieeinsatz zum Tragen, um das eigene (wertvolle, vor allem infanteristische) Blut zu schonen. Befohlenen Widerstand einzustellen war aber grundsätzlich schwierig, da Gauleiter Sauckel noch kurz vor seinem Absetzen aus Weimar nach Bad Klosterlausnitz allen die Todesstrafe angedroht hatte, die es wagen sollten, die weiße Fahne zu hissen. Letzteres war ohnehin durch den in den Apriltagen herrschenden Befehlswirrwarr verschiedener Dienststellen für die (im Moment der Niederlage) zahlreich vorhandenen couragierten Menschen sehr schwierig, wofür der tragische Tod des Stadtkommandanten von Gotha (Josef Ritter von Gadolla) das wohl bekannteste Beispiel ist.

In Uhlstädt ging es „glimpflich“ ab: Es wird berichtet, daß Großvater Martin die Amerikaner vor dem Pfarrhaus in vollem Ornat empfing um dann - entgegen seinen sonstigen Gewohnheiten - gemeinsam mit ihnen eine Zigarette zu rauchen. Vermutlich eine amerikanische….

Es war allerdings eine Friedenspfeife der ganz besonderen Natur, denn das Pfarrhaus wurde erstmal komplett beschlagnahmt, die Familie zumindestens für einige Tage zu Wohnzwecken in die Waschküche verbannt - und das heißgeliebte Grammophon mußte nach Aussage meiner Mutter auch „dran glauben“. Aber immerhin waren die „Amis“ eifrige Gottesdienstbesucher….

WER in UHLSTÄDT bis zum Schluß bzw. im Moment der Übergabe „das Sagen“ hatte, konnte ich nicht ermitteln. Der Chronik von Dr. K. Müller über die 87.US-Infanterie-Division im mittleren Saaletal (April 1945) ist zu entnehmen, daß sich neben einer Instandsetzungsstaffel der 11. Dt. Pz.-Div. (Bezug zur Schlosserei Grosch?) eine Kommandostelle der Luftwaffe im „Grünen Baum“ sowie eine SS-Dienstelle im ebenfalls zentral gelegenen Pfarrhaus seit dem 1.April befanden. Allein diese drei Ziele wären aus US-Sicht (….und vor allem bei US-Kenntnis!) lohnenswerte Ziele sowohl für gezielte Artillerieschläge als auch Jagdbomber-Angriffe gewesen. Zumindestens für die JaBos wäre es im Rahmen der für mehrere Tage beschriebenen „Karnickeljagd“ auf jegliche, sich bewegende Ziele im mittleren Saaletal problemlos möglich gewesen, noch weitere Ziele ins Visier zu nehmen. Zu den „stationären“ Zielen gehörten übrigens auch die auf dem Gelände der Weißenburg eingegrabenen Männer des Volkssturms, von denen einer der damals noch 15-jährige Rudolf Fleck war und der wie die anderen Jungen dort oben besonders schwere Tieffliegerangriffe miterlebte. Dem Engagement seiner Mutter und seines Onkels war es zu verdanken, daß er - nicht ohne Hindernisse - schließlich am 11. April wieder nach Hause geholt werden konnte.

Mein Onkel Herrmann Kralisch (Jahrgang 1921) hat - vermutlich nicht nur zur Freude seiner Eltern - die gesamte Kriegszeit zu Hause in Uhlstädt verbracht, denn er war durch die Folgen einer Kinderlähmung nicht kriegsverwendungsfähig. Das hinderte die Fanatiker der letzten Stunde aber nicht, ihn - trotz Orthese! - in den letzten Kriegstagen ebenfalls noch zum Volkssturm einzuziehen. Da er - äußerst vorsichtig ausgedrückt - nur sehr bedingt „fronttauglich“ und relativ zu den Schuljungen auf der Weißenburg und anderswo deutlich älter (fast 24 Jahre) war, wurde er gleich zum örtlichen Volkssturmführer ernannt - mit „Kampfposition“ vermutlich sogar an der zentralen Uhlstädter Straßenkreuzung - (fast) im Schatten der Uhlstädter Kirche, vielleicht sogar mit Gottes (und auch des eigenen Vaters) Segen. Zwar noch etliche hundert Meter vor der am 13.04. zur Hauptkampflinie ernannten Saale, aber vermutlich situativ geschützt durch dicke und vor allem auch tief gelegene Kellerwände.

Nämlich - sehr wahrscheinlich - im Pfarrhaus.

„Anderswo“ hätte ihn genauso der Tod ereilen können wie einige seiner „In-letzter-Minute--Kameraden“ bei Kampfhandlungen unmittelbar in der Nähe von Oberkrossen. Der Ort Uhlstädt schien den Amerikanern „irgendwie“ wichtig zu sein, denn sie näherten sich dem Ort gleich von drei Seiten. Wegen der am 13. April erfolgten Sprengung der Saalebrücken (inklusive der zwischen Klein- und Oberkrossen) waren umgehend provisorische Brücken sowohl saaleabwärts (Zeutsch-Niederkrossen) oder saaleaufwärts (Weißen, Saalfeld….) errichtet worden.

Aber nicht in Uhlstädt.

Ob hier die Heide mit ihrer bei Oberkrossen ja ausgeprägtesten Unzugänglichkeit ihre schützende Hand mit im „Spiel“ gehabt hat, ist nur eine Vermutung meinerseits, auf die ich in einem separaten Text eingehen werde..

Uhlstädt verlor also innerhalb von wenigen Tagen die ihm zugedachte Bedeutung „zugunsten“ von Nachbargemeinden, von denen aus sich der beabsichtigte Vormarsch Richtung Südosten besser bewerkstelligen ließ. Zumal in Weißen couragierte Einwohner das Gros der bereitgestellten Brücken-Sprengmittel entfernt hatten, aber der verbliebene „Rest“ doch noch zu nicht unerheblichen Brückenschäden führte.

Auch in Partschefeld lief der Einmarsch konstruktiv-glimpflich ab - wie sehr oft in vielen Gemeinden.

Dies muß ausdrücklich betont werden, weil sich im kollektiven Gedächtnis der Erlebnisgeneration - nicht nur der deutschen - eher negativ erinnerte oder gar negativ-spektakuläre Vorgehensweisen des Kriegsgegners im Vergleich zu Anderem festsetzten (Vgl..z.B. Vorgehensweise der deutschen Streitkräfte in der Ukraine u./o. Weißrußland oder z.B. der sowjetischen in Ostpreußen u./o. Pommern).

Sehr für Aufregung sorgend - und wohl auch die lokale kollektive Erinnerung dominierend - war das tragische Schicksal des jungen, erst gerade achtzehn Jahre alt gewordenen Wehrmachtssoldaten Joseph Scheuermann, der noch am 15.4. (also kurz nach seinem Geburtstag und etwa zwei Tage nach lokalem „Frieden“) vom Fahrrad geschossen wurde. Zu seinem Begräbnis auf dem Partschefelder Friedhof durfte sich mein Großvater auf Antrag umgehend zu Fuß nach Partschefeld begeben und seines Amtes walten. Die Trauergemeinde war groß - die US-Bewachung mit Gewehr im Anschlag auch : Es war schließlich noch Krieg…..

Das Schicksal von Ernst Scheuermann ähnelt in tragisch-frappierender Weise dem meines (Amlacher-) Onkels Otto, der mitten in Berlin - ebenfalls achtzehnjährig und irgendwann „kurz vorher“ noch den Weg meines (Kralisch-) Onkels Hans irgendwo in Lettland kreuzend - wenige Stunden nach ausgerufenem Waffenstillstand den Tod fand - in den Morgenstunden des 2. Mai….. Ohne Grab und Begräbnisfeier.

Da war der Krieg im Saalebogen schon mehr als zwei Wochen vorbei….

Nach den Aufzeichnungen meines Großvaters „kamen die Amerikaner am 13.04. um 16.30 Uhr“ nach Uhlstädt. Das Pfarrhaus wurde nun umgehend zur Kommandeursstelle amerikanischer schwerer Artillerie, die von einem Standort nahe des Uhlstädter Bahnhofs in Richtung Rudolstadt schoß. Kurz vor dem Einmarsch (am 12.4 oder am 13.4. vormittags?) hatte der Kommandant des Stabes der „Saale-Verteidigung Mitte“ - ein schon älterer Reserveoffizier aus Uhlstädt - seine Soldaten zu deren Schutz in Richtung Heide geschickt und die HJ-Angehörigen = Volkssturm-Jugend gleich direkt nach Hause.. Sollte mein Onkel Herrmann gezwungen worden sein, seine „Führungsaufgaben“ trotz Gehbehinderung wenigstens tageweise auf der Weißenburg wahrzunehmen, so war er also beim Einmarsch der US-Streitkräfte mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit zu Hause.

Das galt übrigens für sehr viele Volkssturmangehörige in der Region : Auch jene, die von Pößneck aus in Richtung Saaletal in Bewegung gesetzt worden waren, haben - unter Vortäuschung diverser militärischer (Schein-) Aktivitäten zwischen Niederkrossen und Freienorla - noch rechtzeitig die Kurve (…die zurück in ihre Heimatdörfer rund um Pößneck) gekriegt.

Wieder zu Hause zu sein bedeutete aber für viele Volkssturmangehörige nicht, dauerhaft in Sicherheit zu sein. Nach „Übernahme“ von Thüringen durch die Sowjets entwickelte sich die - bildlich-makaber ausgedrückt - „Karnickeljagd“ der Amerikaner zu einer schon in den deutschen Ostgebieten breit praktizierten „Hasenjagd“ auf - von den Nazis breit propagierte und vom NKWD nur allzugern geglaubte - „Werwölfe“. Statt geglückter „Selbstentlassung“ hätte es also auch - unter Nutzung der „zum Speziallager umetikettierten deutschen Konzentrationslager“ …. „bis zur Zwangsverschleppung nach Kasachstan oder Sibirien gereicht, mit vielfach erlebtem Tod von Kameraden in Gefängnissen und Gefangenenlagern oder durch willkürliche Erschießungen, Mißhandlungen, Folter, Hunger und Krankheiten“ (Zitat K. Müller).

Aber auch bei Gefangenschaft wären mit - gleich im doppelten Sinne - ziemlich tödlicher Sicherheit die Rheinwiesenlager eine schreckliche Alternative gewesen.

Und die (möglicherweise vermutete bzw. gern unterstellte) Tatsache, daß ein am Körper versehrter junger Deutscher - sogar mit Beinschiene! - im Volkssturm mitkämpfen „wollte“ - und das noch in einer „Führungsposition“ - hätte ein gefundenes Fressen für die NKWD-Häscher sein können.

Manchmal braucht man halt im Leben etwas Glück. Und den „richtigen“ Vater.

Einen, der im richtigen Moment auch als Nichtraucher eine angebotene Zigarette nicht verschmäht.

Und einen, der - bekannt für sein, auch seinem Sohn Herrmann innewohnendes, ausgesprochen ausgeglichen-friedfertiges Wesen - offensichtlich (zu) wenig Stoff für irgendwelche Denunziationen hergab.

Onkel Herrmann hatte das Glück, dem Krieg wirklich dauerhaft entronnen zu sein und - bis zu seinem viel zu frühen (Krebs-) Tod 1983 - eine berufliche Karriere in verschiedenen Positionen des DDR-Hotel- und Gaststättenwesens hinzulegen. Gern schnappte er sich dabei in den 1950-iger Jahren schon mal seinen Neffen Reinhard, um in der Uhlstädter Bahnhofsgaststätte ein Bier zu trinken.

Vielleicht legte er hier den Grundstein zu meiner schon erwähnten Eisenbahnliebe….

Aber meine unstillbare Liebe zur Heide - der Uhlstädter Heide - verdanke ich meiner Mutter Renate. Und meinem - ebenfalls Heideliebhaber - Onkel Winfried, der den Krieg als einziger Kralisch-Sohn als (dauerhaft Tbc-geschädigter) Zivilist er- und auch überlebte.

Doch das ist schon wieder eine ganz andere „Geschichte“.

P.S.: Aus dem Nachlaß von Winfried Kralisch wurde im Jahr 2014- in Abstimmung mit Herrn Pfarrer Thiel - eine Spende für die Erhaltung des Gefallenendenkmals für die Kriegstoten auf dem Uhlstädter Kirchhof auf den Weg gebracht. Wenigstens im Geiste schloß sie alle Toten dieses schrecklichen Krieges ein.

Danksagung

Für die herzliche und tatkräftige Unterstützung bei meinen Recherchen danke ich den Herren Peter Schröter, Eberhard Hofmann, Dr. Thomas Peiser +, Wolfgang Grosch, Manfred Rabe sowie Frau Gudrun Conrad.

Last but not least gilt mein Dank meiner Cousine Gabriele Venbrocks, meinem Cousin Thomas Kralisch sowie meinem Bruder Dr. Hans Amlacher, die mir mit zielführenden persönlichen Erinnerungen/Informationen halfen.

Keinen Dank mehr aussprechen kann ich für das viele Aufgeschriebene und mündlich Übermittelte meinen Großeltern, Eltern und weiteren, mittlerweile Verstorbenen der Kriegs-Erlebnisgeneration.

Vor diesen Menschen kann ich mich nur noch verneigen.

Literatur beim Verfasser (reinhard-amlacher@gmx.de)