Aus der Sommerpause zurück wollen wir noch einmal auf das kulturelle Schaffen in früheren Zeiten zurückblicken. Bereits in vorherigen Beiträgen konnten wir Ihnen so einiges über das kulturelle und gesellschaftliche Leben vergangener Zeiten in unserer Stadt berichten. Hieran wollen wir nun anknüpfen.
Am Ende des 2. Weltkrieges dachten die wenigsten Menschen an Frohsinn, fröhliches Singen und an das Musizieren. Einziges Ziel war bei dem allgemeinen Hunger etwas Zusätzliches zum Essen zu ergattern. Die meisten Männer waren noch nicht aus dem Krieg zurückgekehrt, viele waren gefallen oder wurden vermisst. Familien waren auseinandergerissen und suchten verzweifelt nach Angehörigen.
Trotz dieser Situation kam es zum ersten Musikabend in der Turnhalle. Mitwirkende waren u.a. eine Schrammelgruppe aus ansässigen Musikanten: Willy Philipp (Zither), Franz Fraaß (Violine), Werner Philipp (Gitarre) und Günther Philipp (Akkordeon). An diesem Abend erklangen neben klassischen Musikstücken auch Operettenmelodien und volkstümliche Schrammelmusik.
Der allgemein bekannte Dr. Schrader förderte die Fortsetzung dieser Musikabende.
Sogar im „Thüringer Hof“ musizierte an unterschiedlichen Tagen eine kleine Tanzkapelle. Jugend und auch reifere Jahrgänge strömten zu den Tanzveranstaltungen und vergaßen für einige Stunden die Misere des Lebens in dieser Zeit.
Nach 1945 gründete Willy Philipp im Auftrag der Wurzbacher Stadtverwaltung die Musikgemeinschaft neu. Viele der ehemaligen Mitglieder der Musikgruppe aus den 1930er Jahren fanden sich zusammen, aber auch jüngere Musiker kamen dazu. Alle gängigen Instrumente waren vertreten. Durch den Mut und das Können von Willy Philipp konnte das Orchester zu einer akzeptablen Klangeinheit geformt werden. Es folgten die ersten Konzerte. Schon nach kurzer Zeit umfasste das Orchester 40 Mitglieder.
Im Programm des Volksmusikorchesters waren auch Aufführungen der Tanzgruppe von Ida Blau enthalten. Schon im Jahr 1937 hatte Ida Blau (Mutter von Brunhilde Wegmann) in Wurzbach eine Tanzgruppe geleitet. Als 15jährige war sie in ihrem Geburtsort Sonneberg im „Turnverein Jahn“ aktiv gewesen. In ihrer Freizeit erlernte sie das Zither- und Geigenspielen. Bei Ausflügen der Turnerriege begleitete sie den Gesang der Gruppe mit ihrer Geige. Auch das Reigentanzen und den Solotanz hatte sie sich im Turnverband angeeignet.
Nun hat sie später den unmusikalischen Schieferdecker Hans Blau aus Wurzbach kennengelernt. Sie zog nach Wurzbach und fand hier bei den künstlerisch interessierten Frauen und Mädchen gute Bedingungen, um eine Tanzgruppe zu gründen. Zu diesen Wurzbacher Tänzerinnen gehörten Traudel Stölzel (Mutter von Marion Fröba), Inge Metzner (Hortnerin Inge Klinger) und Else Wagner (Mutter von Günter Wagner). Else Wagners Urenkel Max hat die tänzerische Ader vererbt bekommen, besonders, wenn er in der Rolle als Max Raabe leichtfüßig über das Parkett fegt.
So wie das Orchester unter Leitung von Willy Philipp nach dem Krieg wieder neu gegründet wurde, genauso gründete Ida Blau wieder eine neue Tanzgruppe.
Es bereitete schon große Freude, wenn diese talentierten Tänzerinnen in ihren schwingenden weißen Kleidern auf der Bühne ihr Können zeigten. Getanzt wurde nach Melodien der Walzerkomponisten Strauss. Ida Blau trat auch als Solotänzerin auf. Sie hatte sich selbst ein Kleid geschneidert, das am Saum einen Umfang von 11 Metern hatte. Außerdem waren Schwalben aus Papier aufgeheftet, denn ihr Solostück hieß „Dorfschwalben aus Österreich“ von Joseph Strauss. Ferdinand Koch begleitete sie auf dem Klavier.
Unsere Leser werden schon bemerkt haben, dass in den Beiträgen zur Wurzbacher Musikgeschichte zeitliche Sprünge öfters nicht zu umgehen sind, anders bei einer Chronik mit zeitlich genauer Abläufen. Wir schreiben über unsere Ortsgeschichte und Personen, die in dieser Zeit im Mittelpunkt standen. Da schwirren einem schon mal die Gedanken durch den Kopf, da die meisten Akteure vielen noch im Gedächtnis und andere heute noch unsere Wegbegleiter sind.
Das Volksmusikorchester unter Leitung von Willy Philipp hatte im Laufe der 1950er Jahre einige Höhen und Tiefen. Ein wesentlicher Grund dafür lag im Wechsel der Obhut vom Kulturbund der DDR zum FDGB. Wenn gemachte Zusagen sich als leere Versprechen offenbarten, war es immer wieder dem gewählten Vorstand des Orchesters, dem Dirigenten und den Musikanten zu verdanken, dass öffentliche Konzerte möglich wurden.
In dieser Zeit ging die Zahl der Orchestermitglieder rapide zurück, der Chor war inzwischen aufgelöst worden. Die Unterstützung durch die Kurverwaltung der Stadt Wurzbach fehlte, die Musikgruppe war einfach nicht mehr gefragt. Aber der Mut verließ den musikbegeisterten Willy Philipp nicht, auch wenn die Zahl der Musiker von 100 auf 40 geschrumpft war.
Wichtig war, dass das Volksmusikorchester ab dem Jahr 1957 wieder zur Urlauberbetreuung durch den FDGB eingesetzt wurde. Alle 2 Wochen fanden dazu Konzerte im Hammersaal statt. Die Orchestermitglieder waren jedes Mal sehr aufgeregt und das Publikum war begeistert vom Können der Musiker. Besonderen Beifall erhielt Emil Klinger für sein Violinen-Solo.
Willy Philipp hatte den Dirigentenstab inzwischen an seinen Sohn Günther übergeben und sich der Ausbildung junger Menschen in verschiedenen Musikinstrumenten gewidmet.
Der neue Dirigent des Orchesters, der Schuldirektor Günther Philipp unternahm alles, um ein modernes und anspruchsvolles Programm zusammenzustellen und einzuüben. So gehörten von nun an auch klassische Opernmelodien zum Repertoire. Günther Philipp studierte mit dem stimmbegabten Bassisten Roland Martius das damals in der ganzen Welt bekannt gewordene „Black and White“ ein, was natürlich vom Publikum mit Begeisterung gewürdigt wurde. In das Orchesterprogramm kam ein völlig neuer Schwung.
An die Übungsstunden bei Willy Philipp erinnern sich die Musikschüler heute noch mit gemischten Gefühlen. So gehörte es zum Anstand bzw. zur Tradition, dass man entweder im Orchester mitwirkte oder Fußball spielte. Viele Mütter scheuten nicht die Ausgaben für das Erlernen eines Musikinstrumentes, denn eine Zither oder Mandoline gehörte sowieso zum Familienbesitz. Die Übungsstunde kostete damals 1 Mark. Kam man in eine Lerngruppe reduzierte sich der Betrag auf 25 Pfennige. Willy Philipp begleitete das Üben der Jungen und Mädchen stets auf seiner Zither. Diese Klänge halfen den „Stümpern“ den Takt zu halten und die Melodie in sich aufzunehmen. Den Lernenden fiel es oftmals schwer, mit ihren kleinen Fingern die Basssaiten der Zither zu erreichen. Der Umgang des Musiklehrers mit den Kindern war meistens barsch, eine Erfahrung, die bereits sein jüngerer Bruder Werner als Kind gemacht hatte. Die Kinder hatten aus diesem Grund oft keine Lust zur Übungsstunde zu gehen. Aber man wollte sich ja nicht vor seinen Mitspielern blamieren und die Mütter standen sowieso auf der Seite von Willy Philipp, denn sie spielten selbst im Volksmusikorchester mit und es gehörte einfach zur Familienehre ein Musikinstrument zu beherrschen. Außerdem war es verlockend, einmal selbst Mitglied des Orchesters zu werden. Die jungen Musiker waren auch sehr stolz, wenn sie sich zu den Auftritten schick anziehen konnten: die weiße Bluse und den dunklen Rock - die Jungs natürlich im weißen Hemd und dunkler Hose.
Da nahm so mancher mit innerem Schmerz die Bemerkung von Willy Philipp hin: „Das soll Zitherspielen sein? Das klingt so als wenn ein Huhn auf den Saiten herumkratzt.“
Willy Philipp stellte den Lernenden seine selbstgeschriebenen Notenblätter zur Verfügung. Nur in seltenen Fällen mussten sie diese von ihm abschreiben.
Vom 5. - 7. Juli 1957 fand in Wurzbach das Musik-, Sport- und Heimatfest statt. Dieses Fest war ein besonderer Höhepunkt des kulturellen Lebens in unserer Stadt. Die musikalischen Darbietungen der Chöre, Orchester und Tanzgruppen waren auf dem Marktplatz zu erleben. Auf dem Sportplatz zeigten die Fußballer, Handballer und Leichtathleten ihr Können. Der „Wettergott“ hatte es an diesen Tagen besonders gut mit den Wurzbachern gemeint und so konnte man auch im Städtischen Schwimmbad bei Wassertemperaturen von 25 Grad an Wettkämpfen teilnehmen und sich obendrein noch etwas „erfrischen“.
In den Jahren seines Bestehens nahm das Volksmusikorchester an vielen Leistungsvergleichen teil und dies stets mit guten Ergebnissen. Sogar der Rundfunk wurde auf das Musikgeschehen in Wurzbach aufmerksam. Daraufhin kam am 21. April 1967 der Berliner Rundfunk in unsere Stadt, um Aufnahmen vom musikalischen Können der musikengagierten Wurzbacher zu machen.
Immer wieder wurden Orchestermitglieder für ihre langjährige Mitgliedschaft und Einsatzbereitschaft im Orchester mit Medaillen und Urkunden geehrt. Die größte Würdigung war für die Musikanten jedoch immer wieder der lang anhaltende Beifall nach den Konzerten, ob als „Heimspiel“ im Hammersaal oder bei Auftritten in Hirschberg, in Kasendorf (Oberfranken), beim Landesausscheid im Nationaltheater in Weimar sowie bei Kurkonzerten in Leutenberg.
Brunhilde Wegmann, Sigrid Laugisch und Steffi Walther