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Wurzbacher Stadtkurier Amts- und Mitteilungsblatt der Stadt Wurzbach
Ausgabe 14/2023
Nichtamtliche Bekanntmachungen
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Arbeitsgruppe Stadtgeschichte

Liebe Wurzbacher!

Mit unserem Beitrag möchten, wir gemeinsam mit Ihnen, uns ein weiteres Kapitel Wurzbacher Kultur- und Musikgeschichte in Erinnerung rufen.

Unser relativ kleines Städtchen war in seinem kulturellen Schaffen bis weit über die Kreisgrenzen hinaus bekannt, denn immerhin hatten wir eine ganze Menge zu bieten. Über einiges wurde in vorherigen Beiträgen schon berichtet, doch wichtiges fehlt noch.

Viele können sich sicher noch erinnern, wenn es hieß: „Montag 6. Sunde Chorprobe!“.

Es war ein ungeschriebenes Gesetz, dass jeden Montag in der 6. Stunde im Musiksaal des alten Schulgebäudes die Chorprobe stattfand. Von den Klassen 5 - 10 machte sich fast jeder, der annähernd einen richtigen Ton traf, auf dem Weg dorthin. Stuhl an Stuhl, dicht gedrängt, saßen links vom Eingang die Sänger der 2. Stimme, in der Mitte des Raumes die 1. Stimme und rechts an den Fenstern die Sänger der 3. Stimme. Auf dem Klavier stand das Metronom, welches den Takt angab. Auch unser Chorleiter und Dirigent Günther Philipp stand schon in Position. Nun hieß es nur noch: „Ruhe, konzentrieren und los geht’s“.

Manchmal gleich gelungen, öfter daneben, zu tief, zu hoch, zu langsam oder zu laut. Es war die Chorprobe, welche uns nach 5 Stunden Unterricht noch einiges an Konzentration abverlangte. Schon am Gesichtsausdruck als auch an der Stimmung unseres Chorleiters konnten wir ahnen, wie oft wir die Stelle proben mussten. Ab und an kam dann auch der Schlüsselbund geflogen, wenn manch einer sehr unaufmerksam war. Bei ca. 100 Sängern in dem engen Raum war die Luft oft zum Schneiden, dann hieß es Fenster auf, kurz durchlüften und weiter ging’s.

Günther Philipp kannte da nichts, denn schließlich war unser Chor nicht nur eine Institution, sondern das kulturelle Aushängeschild unserer Schule. Wir wollten natürlich auch unser Bestes geben und waren stolze Chorsänger.

Wer war der Mann, der die 100 Stimmen im Griff hatte? Günther Philipp wurde am 16. Mai 1928 als Sohn der Schieferarbeiters Willy Philipp und dessen Frau Elsa Philipp (geb. Joch) geboren.

Er war es, der unsere Wurzbacher Schule mit seinem Chor und dem Volksmusikorchester weit über die Kreisgrenzen hinaus bekannt gemachte hatte und worum uns andere Schulen auch immer ein kleines bisschen beneidet hatten. Da war vor den Auftritten die Aufregung immer groß, denn wir wollten gut singen und konnten es auch.

Unser komponierender Schuldirektor bekam die Musik in die Wiege gelegt. Sein Vater war der Gründer der Musikgemeinschaft Wurzbach im Jahr 1937 und spielte selbst einige Instrumente.

Nach dem Krieg waren die Überlebenden wieder zur Stelle, denn die Musik lenkte von Hunger und Leid ab, sie war Lebenselixier. Aus der Musikgemeinschaft wurde das städtische Volksmusikorchester.

Im Jahr 1948 wurde das Orchester durch den Pionierchor ergänzt und es gab viele gemeinsame Auftritte. Günther Philipp übernahm die Leitung beider Klangkörper.

Er war ein Macher, ein ruheloser Mensch, der nicht nur mit seiner musikalischen Begabung gesegnet war, sondern auch mit Fleiß und Zielstrebigkeit.

Cello und Kontrabass spielte er genau so perfekt wie Klavier und auch komponieren konnte er. Die Ideen sprudelten nur so aus ihm heraus. Aus seiner Feder stammten der Liederzyklus „Es trägt der Strauch viele rote Rosen“ und auch seine bekannte „Schulbaukantate“. Diese komponierte er als Hommage an alle fleißigen Helfer, die das neue Schulgebäude mit ihrer Hände Arbeit geschaffen hatten.

Im Ferienlager in Crispendorf fanden die Proben für die 6. Arbeiterfestspiele statt. Dabei war die „Schulbaukantate“ der Programmhöhepunkt.

Am 9. Mai 1964 wurden seine Leistungen und auch die seines Ensembles mit dem Kunstpreis gewürdigt. Die untrennbare Einheit von Orchester und Chor, also 100 Sänger und 60 Orchestermitglieder unter einen Hut zu bringen, war eine Meisterleistung.

Es gab aber auch das ein oder andere Missgeschick. So konnte es schon mal passieren, dass der Dirigent plötzlich rückwärts von der Bühne verschwand und sich neben der Pauke im Parkett wiederfand. Doch alles kein Problem, denn langsam tauchte er dirigierend wieder auf und es ging einfach weiter. Alle mussten sich das Lachen verkneifen.

Ja, Disziplin und Konzentration haben uns nicht geschadet. Er kritisierte auch offen, wenn einer einen falschen Ton von sich gab. Ganz nah kam er mit dem Ohr heran und lauschte. Ich war nicht der leiseste Sänger der 2. Stimme und so kam es, dass er mich bremste mit den Worten: „Die Soloposaune von Jericho halte sich zurück“.

Umso schöner sind meine Erinnerungen an die Zeit, als ich über einige Jahre das Ensemble ansagen und durch das Programm führen durfte. Rezitieren und Singen gehörten natürlich auch dazu. Es war mir eine Ehre!

Günther Philipp war als Schuldirektor eine Autorität. Die Anforderungen, die er an sich stellte, erwartete er auch von seinem Kollegium. Immer neue Aufgaben forderten ihn heraus.

Viele Jahre begleitete er den Chor des VEB Zellstoff- und Papierfabrik Rosenthal auf dem Klavier und dirigierte auch, wenn Not am Mann „von Thaler“ war.

Auch der kleine Chor lag ihm am Herzen.

Unter der Leitung von Carla Bartels sangen sich die Schüler der 1. - 4. Klasse in die Herzen der Menschen. Immer an ihrer Seite war die gute Seele Inge Carlsen. Sie sangen viele Kindervolkslieder, wie das „Matroschka-Lied“ und auch damals wie heute von großer Bedeutung „Die kleine weiße Friedenstaube“.

Großer und kleiner Chor gemeinsam mit dem Orchester auf der Bühne war geballte Musik und ein gewaltiger Klang, da konnte man schon mal Gänsehaut bekommen.

Solisten hatten wir selbstverständlich auch: Jutta Groß und Birgit Eisenbeiß, um nur zwei zu nennen. Es stand sogar einmal eine Oper auf dem Programm, nämlich „Die Zauberflöte“ von Mozart mit einem Gastbariton als Papageno.

Die Chöre waren ein fester Bestandteil unseres schulischen Lebens. So gab es Chorfeste, Vorbereitungslager für große Events, wie zum Beispiel das Musikfest, auch Pionierfeste und natürlich nicht zu vergessen die regelmäßigen Auftritte für die damals noch vielen Urlauber in unserem Städtchen. Diese Konzerte fanden bei schönem Wetter am Musikpavillon im Park, ansonsten im Hammersaal statt. Man kann sagen, wir waren zu allen Höhepunkten mit von der Partie. Unser Wurzbach war eine singende, klingende Kleinstadt.

Bei einem Konzert zu den 20. Arbeiterfestspielen im Jahr 1984 dirigierte Günther Philipp den kleinen und großen Chor, das Blankensteiner Chorensemble und den Frauenchor Weitisberga.

Er war ein perfekter Planer und Organisator, denn nur so konnte er dieses Pensum schaffen. Seine Frau Hanna stand ihm immer fest zur Seite und der Sohn Hannes, sein ganzer Stolz, war ein guter Chemiker, ist aber leider schon verstorben. So helfen mir nur meine Erinnerungen an eine Zeit mit viel Musik und Kultur. Zu diesem Kreis und sicher für viele unvergessen, gehörte auch die damals beste Deutschlehrerin, unsere Rosi Seidemann, die uns Rezitatoren das nötige Handwerkszeug mitgegeben hat.

Im Mittelpunkt des Lebens von Günther Philipp stand die Musik. Sie hat den Oberstudienrat, den Verdienten Lehrer des Volkes, den 2maligen Kunstpreisträger, den Schuldirektor, den Komponisten und Chronisten nie losgelassen. Im Alter kam noch die Leidenschaft zum Malen hinzu. Trotz aller Ehrungen, die ihm zu teil wurden, blieb er stets bescheiden. So half ihm die Musik auch bei der Verarbeitung von Zweifeln und Widersprüchen, welche ihn nach der Wende beschäftigten.

Zum 100jährigen Schuljubiläum war sie wieder da, die Freude am Singen. Gemeinsam mit Wolfgang Bauer und Carla Bartels stellten wir ein tolles Programm auf die Beine, in dem auch der Dank an viele Lehrer, die einige Generationen von Schülern in ihrer Dienstzeit begleitet haben, uns eine Herzenssache war.

Und hier bewahrheitet sich der Spruch: „Wo gesungen wird, da lass dich nieder - böse Menschen singen keine Lieder“. In diesem Sinne als Erinnerung an einen Menschen, der Musik gelebt hat, an Günther Philipp.

„Die Soloposaune von Jericho“