begleiten Sie uns weiter auf unserer musikalischen Reise durch das Wurzbach vergangener Tage. Damit knüpfen wir an unseren vorherigen Beitrag an.
Im Jahr 1918 war der 1. Weltkrieg mit all seinem Grauen zu Ende gegangen. Das deutsche Kaiserreich mit seinen zahlreichen Fürstentümern war zerschlagen worden, die Frauen hatten durch die Weimarer Verfassung erstmals das Wahlrecht erhalten. Es änderte sich die Lebensweise der Menschen teilweise grundlegend, was sich auch in unserem Städtchen zeigte.
In den 1920er Jahren gab es in Wurzbach zeitweise zwei Gesangsvereine, den bürgerlichen (Concordia) sowie den Arbeitergesangsverein unter der Leitung von Willy Martius.
Der Arbeiter Willy Martius war ein erfahrener Chorausbilder und Dirigent. An seinen Sohn Roland erinnern wir uns noch gern, weil er ein richtiger Vollblutmusikant war und die Zuhörer immer wieder von den Plätzen reißen konnte.
In dem Arbeitergesangsverein sang man in der Besetzung Männerchor, Frauenchor, Gemischter Chor. Aber auch Theateraufführungen standen mit im Programm.
Ende der 1920er Jahre erlangte eine neuartige Tanzkapelle überall Bekanntheit. Willy Philipp war der Gründer dieser Gruppe. Der Name Philipp weckt viele Erinnerungen. Die Philipps waren eine echte Künstlerfamilie, die über Jahrzehnte das kulturelle Leben unserer Stadt prägte. Deshalb gehen wir berechtigterweise etwas näher auf deren Familiengeschichte ein.
Die Familie Philipp wohnte in der Forsthausstraße 177b.
Der Vater Heinrich Franz Hermann Philipp war der letzte Nachtwächter in Wurzbach. Die Familie und die Wurzbacher sprachen ihn nur mit seinem Rufnamen Franz an. Bei Ausbruch von Feuer blies Franz Philipp auf seiner Trompete, damit die Feuerwehrleute schnellstens zum Spritzenhaus am Markt neben der Sormitz eilten. Von dort ging es im Sturmschritt, die Feuerspritze hinter sich herziehend, zum Einsatzort.
Heinrich Franz Hermann Philipp hatte die Hulda Schade aus Heinersdorf geheiratet. Willy, der älteste Sohn des Ehepaares, wurde im Jahr 1905 geboren.
Willy hat auf dem Schieferbruch Koselstein gelernt und dabei schon als Fünfzehnjähriger die schwere Arbeit des Schieferarbeiters zu spüren bekommen.
Dem Schieferbruch Koselstein drohte in der Zeit der Weltwirtschaftskrise die Schließung. Angesichts der gefürchteten Arbeitslosigkeit schlossen die Arbeiter des Koselsteins ein Zweckbündnis. Als „Arbeitsgemeinschaft Schieferbruch Koselstein“ übernahmen sie den Bruch in Unterpacht und bildeten 1934 eine Genossenschaft. Diese Entscheidungen wurden u.a. von dem Schmied Hermann Unger vom hinteren Hasslersberg sowie dem Schieferarbeiter Willy Philipp getroffen.
Walter Philipp, der jüngere Bruder von Willy, ging als Schieferdecker nach Stolberg im Erzgebirge.
Auch Franz war ein weiterer Sohn der Familie.
Der Jüngste der vier Brüder war der Werner. Er wurde 1920 geboren und lebte bis zu seinem Tod im Jahr 2004 im Elternhaus. Werner Philipp, der den Beruf des Kaufmanns erlernt hatte, fand Anstellung in der aufstrebenden Konsumgenossenschaft im Wurzbacher Mühlenweg. Bis zum Eintritt ins Rentenalter arbeitete er im Büro der Konsumgenossenschaft Lobenstein. Viele Jahre war er auch der Vorsitzende der Schiedskommission unserer Stadt.
Werner Philipp verfügte über ein umfangreiches heimatgeschichtliches Wissen, das durch eine tiefe Naturverbundenheit geprägt war. Eine große Anzahl seiner Gedichte verdeutlicht sein Talent und diese Eigenschaft.
Dazu eine kleine Kostprobe:
Mein Sormitztal
Komm, lieber Freund, komm, lass uns wandern.
Dort, wo im Tal die Sormitz schäumt…
Von einer Mühle hin zur andern,
um die so still der Hochwald träumt…
Wir schau`n im Tal die bunten Wiesen,
und weit im Rund der Tannen Grün…
Die Heimatberge dunkel grüßen.
Wie schön am Hang die Veilchen blühn…
Wir hören leis´ die Sormitz rauschen,
wenn abends wir nach Hause zieh`n…
O Melodie, dir woll`n wir lauschen,
wenn überm Wald die Sterne glüh`n…
Als jüngster Bruder von Willy Philipp hatte Werner es nicht leicht. Der „Große“ vertrug keine Widerrede und zwang ihm das Erlernen des Zitherspielens förmlich auf. Werner tat das nur widerwillig. Später demonstrierte er gern seine Musikalität auf der Bassgitarre.
Was können wir nun über diese Tanzkapelle berichten, die Ende der 1920er Jahre gegründet wurde und aus einer Gruppe junger Männer unter der Leitung von Willy Philipp auftrat?
Walter Grüner war der Stehgeiger. Er kannte keine Noten, konnte aber jeden Schlager spielen. Paul Schade saß am Schlagzeug, Franz Voigt spielte die 2. Geige. Willy Philipp musizierte auf der Knopfharmonika, später dem Akkordeon und blies auf der Trompete. Der Fabrikarbeiter Kurt Wildt ließ das Saxophon und die Klarinette ertönen.
Der Schlagzeuger Paul Schade ist bestimmt noch vielen Wurzbachern in Erinnerung. Er arbeitete in den 1950er Jahren als Schieferdecker bei der Firma Kurt Philipp jun. Bis zu seinem Tod wohnte er in der zum Mehrfamilienhaus ausgebauten ehemaligen Scheune der Schieferfabrik Blank in der Forsthausstraße, unterhalb der Gerberei Müller.
Auf diesem Bild ist die ehemalige Scheune mit den großen Toren erkennbar.
Die Tanzkapelle „Philipp“ hatte sich der modernen Schlager- und Jazzmusik verschrieben, was natürlich bei der Jugend bestens ankam. Auf allen Tanzböden der Umgebung war die Kapelle sehr gefragt. Pro Spieler erhielten sie 5 RM, dazu gab es freies Essen und Trinken. Aber: Zu den Spielorten wurde damals grundsätzlich gelaufen, mit den Musikinstrumenten, Notenständern und dem Notenmaterial auf dem Rücken. Da konnte es schon mal passieren, dass der Musiker beim Überqueren eines Baches mit dem Bass in das kühle Nass fiel. Die darauffolgende Bemerkung der Musikgruppe lautete: „Jetzt ist der Bass im Arsch.“ Prompt kam als Antwort: „Nee, mein Arsch ist im Bass.“ Diese Begebenheit erzählte Willy Philipp trotz des Verlustes immer wieder gern in geselliger Runde.
Was schrieb Günther Philipp zur Geschichte des Wurzbacher Musiklebens in den 1930er Jahren auf. Wir zitieren:
„Nach der Machtübernahme Hitlers wurden zunächst die Chöre in der Kraft durch Freude (KdF) - Singgemeinschaft zusammengelegt und gleichgeschaltet. Die Leitung wurde dem erfahrenen Willy Martius übertragen. Die Kapelle „Philipp“ musste ihren Namen ablegen und sich schlicht „Wurzbacher Tanzkapelle“ nennen. Da die Nazis gern ein angeblich hohes Kulturniveau nach außen demonstrieren wollten, wurde die Gründung einer Volksinstrumentengruppe angeregt: die damalige Kdf - Musikgemeinschaft. In dieser großen Vereinigung, die sich fast ausschließlich aus ehemaligen Schülern meines Vaters zusammensetzte, waren Zithern, Mandolinen, Geigen und Gitarren vertreten, später auch Akkordeon und Klavier. Probenort war die Turnhalle, gespielt wurden volkstümliche Märsche, Polkas und Walzer, auch die ersten Kompositionen des Dirigenten Willy Philipp, wovon der Marsch „Gruß aus Wurzbach“ besonders bekannt wurde. Gemeinsam von Sing- und Musikgemeinschaft wurden 1937 bis Kriegsausbruch Urlauber-Begrüßungsabende gestaltet. Auch ich wirkte als 9jähriger Akkordeonsolist bei diesen Konzerten mit und erhielt für meine belanglosen Musikstücke rasenden Beifall. Einige Mitwirkende aus dieser Zeit sind mir noch im Gedächtnis. Chor: Lotte Martius (Meyer), ihre Schwester Irmgard (Müller), ihre Mutter Sophie Fuchs, Ferdinand Koch, Willy von Rein (Vater von Ursula Schüßler), Fritz Eich (Vater von Elisabeth Eigner), Hermann Müller (Gerbereibesitzer), Alma Pasold (Oma von Bernd Fiedler), Ida Blau (Mutter von Brunhilde Wegmann). Orchester: Lotte Martius, Irmgard und Hermann Müller, Hans und Traudel Greiner (Eltern von Annerose Schmidt aus der Heinrich-Heine-Straße), Elsbeth und Erich Müller (Zimmermannmeister), Wally Kalbskopf (Tante von Jürgen Fischer), Gerhard Neumeister, Lore Hartmann, Ilse Greiner (Mutter von den Stauch-Mädels Carola Sippel, Kerstin Sörgel).
Im Jahr 1941 mussten diese Musikgruppen ihre Arbeit einstellen.“
Ihre Brunhilde Wegmann, Sigrid Laugisch
und Steffi Walther (Bildmaterial)