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Stadt Anzeiger
Ausgabe 23/2025
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Kultur / Tourist-Information

Objekt des Monats November - Ölgemälde „Mehliser Kirmes 1906“

Lange schon gehört ein farbkräftiges Ölgemälde zum Inventar des Stadtmuseums Zella-Mehlis. Es zeigt die feiernde Mehliser Kirmes-Gesellschaft im Jahre 1906. Ein junger Maler schuf das Bild jedoch erst lange Zeit danach. Auch deshalb soll es Objekt des Monats November 2025 sein.

1906 prosperierte das Deutsche Kaiserreich. Man spricht von der wilhelminischen Ära, der Gründerzeit und von der Belle Époque (Schöne Epoche), einer Zeit des relativen Friedens, kulturellen Aufschwungs, technischer Innovationen und des Wohlstands. Auch Zella St. Blasii und Mehlis profitierten von dieser Dynamik. 1906 wurde mit der Mercedes Modell 1 in Berlin der Grundstein für die weltweit beachtete Schreib- und Büromaschinenproduktion gelegt. 1906 ging Heinrich Ehrhardt mit dem ersten „echten“ Zellaer Ehrhardt-Automobil erfolgreich an den Start. Der Fußballverein SC Germania 06 Mehlis wurde gegründet und stach als Paradebeispiel für die Entstehung eines bürgerlich geprägten Vereinslebens sowie als Teil einer neuentdeckten Freizeitkultur hervor. Und 1906 erfuhr die Herzoglich-Sächsische Beschuss-Anstalt, das heutige Stadtmuseum, eine bauliche Erweiterung als unverkennbares Zeichen deutlich erhöhten Produktions-Aufkommens. Der Aktivismus des Alltags schlug sich auch in den Feierlichkeiten nieder.

Hoch im Kurs stand die Kirmes. Das einstmals zur Weihe einer Kirche angedachte Fest, das in Mehlis bereits ab 1548 nachweisbar ist, hatte um 1906 längst seinen religiösen Ursprung verloren und war zum Volksfest säkularisiert. Überdies war es ab etwa 1850 mit dem Erntedankfest auf den ersten Sonntag im Oktober zusammengelegt worden. Das Fest diente der Förderung des Zusammenhalts, der Heimatverbundenheit und des Brauchtums. Die Kirmes-Gesellschaften waren stets bestrebt, das vergangene Jahr jedes Mal aufs Neue in den Schatten zu stellen, was mit einer wachsenden Zahl an Bratwurstständen, Schießbuden und Karussellen auch gelang. In geschlossenen Lokalitäten wie dem Hotel „Stadt Wien“, dem „Thüringer Hof“ und dem Gasthof „Bellevue“ wurde gefeiert. Den größten Saal im Ort fanden Feiernde in der Gastwirtschaft „Zur Post“ an der Ecke Schönauer Straße/Hirtenstraße vor.

Zentrale Figuren im heute nicht mehr existenten Etablissement waren Gastwirt Julius Wahl mit seiner Frau Emma. Gerade in den Tagen der Kirmes war das Paar gefordert. Zahlreiche Gäste wurden begrüßt, es musste zum Tanz geläutet und der Ausschank gesichert werden. Es wurde gesungen, getanzt, getrunken, geflirtet, gelacht und gerne auch mal über die Stränge geschlagen. An behördliche Anordnung, etwa aus dem Jahr 1881, wonach „… Kinder in öffentlichen Tanzsälen keinen Zutritt und auch nicht im Mantel mitgebracht werden dürfen …“ erinnerte man sich an diesem Tag nur vage. Es sollte eben ein Fest für alle und die „Post“ eine Hochburg der guten Laune sein.

Dieses Treiben hat Walter Fleischer im Alter von 18 Jahren in Öl festgehalten. Warum der Maler dafür ausgerechnet das Jahr 1906 wählte, ist in der Familiengeschichte begründet. Walter Fleischer wurde erst 1924 geboren und malte das Bild in den Jahren 1942/43. Für ihn war es eine Erinnerung an fröhliche Jahre, die einen besonderen Eindruck hinterlassen haben musste. Aufschluss darüber gab er - hochbetagt - im Jahr 2009 mittels Brief an die städtischen Museen. Darin beschreibt Fleischer, dass er, inspiriert durch Fotovorlagen, ein Familienbild seiner Vorfahren, den Schübels, im Porträt-Stil schaffen wollte. Die lustigen Geschichten seiner Großtanten Ida und Berta rund um die Mehliser Kirmes 1906 hätten ihn dazu veranlasst, die Kirmes-affine Familie mitten in eine lebendige Szenerie hinein zu komponieren. Dass er beides geschickt zu verbinden verstand, ist am Gemäldeaufbau nachvollziehbar. Bewusst ließ er zahlreiche Akteure, zuvorderst die Schübels, in nahezu gerader Richtung zum Betrachter schauen. Vorne links etwa wurden die „Lieblingstanten“ verewigt. Gut ausgeleuchtet an der Theke neben dem Bierfass hat Emma Schübel Platz gefunden, deren Enkelin Hilda (Fleischers Mutter) steht obenauf und Schübels Jul, wie man den Gastwirt und Urgroßvater Walter Fleischers nannte, läutete, zentral ins Geschehen gestellt, mit der Glocke zum Tanz. Und auch sich selbst hat der Maler als einen der ihren in Szene gesetzt, so, als wäre er dabei gewesen.

Entstanden ist ein beschwingtes Familien-Erinnerungsstück als Sinnbild einer dynamischen Zeitepoche. Ein Gemälde, das wie ein Genrebild die Thematik der Kirmes repräsentieren könnte. Das Stadtmuseum Zella-Mehlis hält es in Ehren.