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Stadt Anzeiger
Ausgabe 25/2025
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Kultur / Tourist-Information

Carl-Walther-Platz mit „Busch-Haus“, 1939.

Die ersten Türchen im Adventskalender sind geöffnet. Was war drin? Schokolade, Kosmetik, Spielzeug oder etwa Bier? Da gibt es heute nichts, was es nicht gibt. Aber wie war das früher, zu Kriegszeiten? Unser Objekt des Monats Dezember 2025, ein handgefertigter Adventskalender, hat Vieles zu erzählen.

Bei dem Objekt handelt es sich um einen Neuzugang im Museum, einen etwa 50 × 42 × 8 Zentimeter großen Kasten zum Aufhängen. Frontal abgebildet ist eine Straßenszene auf dem Zellaer Markt, das maßstabsgetreu gezeichnete Haus Markt 5. Seine Fenster, Türen und Schaufenster können geöffnet werden. Dahinter finden sich gemalte, zumeist weihnachtliche Motive. Der Nikolaus erscheint hinter dem Fenster rechts oben, mittig in der Toreinfahrt sieht man den Weihnachtsbaum. Eine Besonderheit machte ihn wohl noch wundervoller: die Türchen, Mond, Sterne und Straßenlampen sind mit sechs Glühlämpchen zu beleuchten gewesen. Auf den 29 „Türchen“ finden sich keine Zahlen. Wahrscheinlich waren die unteren jeweils als drei Konvolute zu öffnen.

Das Haus Markt 5 - bei Fertigung des Kalenders Carl-Walther-Platz 5 und später Karl-Marx-Platz 5, heute Zellaer Markt 5 - war 1845 als Brauerei und Gasthof „Stollberger Hof“, später Gasthaus „Weißes Ross“, gebaut worden. Hier tagte zeitweise der Stadtrat von Zella St. Blasii. Nachdem 1905 das „Weiße Ross“ in das Nebenhaus umzog, erfolge der Umbau zum Wohn- und Geschäftshaus. Die Firma Busch & Co., eine Elektrikfirma, die auch am Bau des Rathauses beteiligt war, hatte über Jahrzehnte dort ihren Sitz. Das Wohn- und Geschäftshaus wurde immer wieder an- und umgebaut, umgewidmet und saniert. Just am zweiten Weihnachtsfeiertag 2009 wurde es durch einen Großbrand unrettbar beschädigt. Seit dem Abriss klafft an der Stelle eine Baulücke, die das Ensemble am Zellaer Markt empfindlich stört.

Der Betrachter des Adventskalenders wird schon beim ersten Blick in die 1940er Jahre zurückversetzt. Die Personen sind zeittypisch gekleidet, nicht das Christkind, sondern der Weihnachtsmann bringt die Geschenke. Stutzig macht die Beschriftung neben dem Hauseingang: „Öffentlicher 200 Personen Luftschutzraum“ und „Verbandstelle Rathaus“ heißt es da. Wir befinden uns eindeutig in Kriegszeiten, in denen der ehemalige Bierkeller des Gasthauses als Luftschutzraum diente. Zeitlich noch genauer lässt sich der Fertigungszeitpunkt durch Anhaltspunkte auf der Rückseite und Angaben der Familie Diem eingrenzen. Gestaltet hat ihn Karl Kreß, der 1937/38 mit seiner Frau aus Nürnberg nach Zella-Mehlis kam, um in den Walther-Werken zu arbeiten. In seiner Freizeit betätigte er sich als Maler und Grafiker und hatte laut Aussage der Familie auch Verbindung zur Dachauer Malerschule. 1939, mit der Geburt der ersten Tochter Ingeborg, spätere Diem, zog die Familie in das zweite Obergeschoss des sogenannten „Busch-Haus“. Drei Jahre darauf erblickte eine weitere Tochter das Licht der Welt. Links unten im Adventskalender sind zwei Türchen mit Fotos hinterlegt. Auf dem Kinderfoto, das zwei Mädchen im Alter von etwa vier und einem Jahr zeigt, ist mit Tinte das Datum 28.2.43 vermerkt. Der Kalender wird also im Jahr 1943, spätestens 1944 entstanden sein. Das Foto einer jungen Frau im Blumenkleid daneben, vermutlich die Mutter der Kinder und Karls Frau, ist mit „Photo Riedinger Neuhammer“ gestempelt. Recherchen ergaben, dass das Foto wohl in Neuhammer am Queis in Niederschlesien entwickelt wurde. Dort befand sich einer der größten Truppenübungsplätze des Deutschen Reichs. Photo Riedinger fertigte Andenkenbilder von Soldaten. Es ist anzunehmen, dass Karl Kreß seine Liebsten fotografierte und - wieder zurück bei der Truppe - dort Abzüge hat machen lassen. Trotz Materialknappheit gestaltete er den Adventskalender.

Im November 1943 wurden zwar noch Durchhalteparolen und der Endsieg verkündet, im Alltag der Menschen war aber bereits alles rationiert, Lebensmittel und Dinge des täglichen Bedarfs. Laut Angaben im Internet galt als Wochenration an Lebensmitteln für einen Erwachsenen im September 1943: 2425 Gramm Brot, 219 Gramm Fleisch und 218 Gramm Fett.

Reguläre Adventskalender gab es wegen der Papierrationierung so gut wie nicht mehr zu kaufen, und wenn, dann waren sie von Nazi-Propaganda geprägt. Auf dem Kalender von Karl Kreß fehlt - bis auf die oben erwähnten, zwei kleinen Hinweise - jeglicher Anklang an den Krieg und die Symbole des Dritten Reichs. Vermutlich wollte er für seine kleine Familie ein Stück heile Welt und Normalität schaffen. Liebevoll und äußerst detailreich klebte, malte und bastelte er diesen Adventskalender.

Karl Kreß war kein friedliches Ende beschieden. Er gilt seit 1945 als im Osten verschollen. Ob deshalb im Türchen neben dem der jungen Frau das hinterlegte Bild als einziges fehlt? Seine Witwe heiratete später erneut und lebte bis 1974 im Busch-Haus.

Die Kinder und Kindeskinder bewahrten den Adventskalender bis heute auf und spendeten ihn nun dem Museum. In nächster Zeit kann er im Rahmen einer Ausstellung von Neuzugängen im Stadtmuseum „Beschußanstalt“ bewundert werden.

Nehmen wir uns ein Beispiel an Karl Kreß und bereiten unseren Lieben eine schöne und friedliche Advents- und Weihnachtszeit. (ms)