Auf eine spannende und emotionale Reise nahm am 11. Oktober der Autor Karsten Dümmel seine Zuhörerinnen und Zuhörer im Salzbrunnenhaus bei der Lesung aus seinem Roman „Strohblumenzeit“ mit. Die Stadt hatte den Autor im Rahmen des Sulzbacher Elysée-Jahrs eingeladen. Frankreichbezogene Veranstaltungen haben in der Stadt Sulzbach seit vielen Jahren ihren festen Platz im Planungskalender und grenzüberschreitende Beziehungen haben einen hohen Stellenwert.
Grenzerfahrungen und Erfahrungen, die im wahrsten Sinne „grenzüberschreitend“ sind, hat der Autor in seinem Leben selbst schon auf schwierige Weise erfahren müssen. Geboren 1960 in Zwickau wuchs Dümmel in der früheren DDR auf. Hier wurde er aufgrund seiner kritischen Haltung vom Regime der früheren DDR unterdrückt, zu schweren Arbeiten zwangsverpflichtet und immer wieder unter Arrest gestellt. Nach der Ausbildung zum Elektromechaniker erteilte man ihm nach dem Abitur Studienverbot. Außerdem wurde ihm regelmäßig Kontaktaufnahmesperre auferlegt. So wurde er zu einem Menschenrechtler und Gründer mehrerer Friedens- und Menschenrechtsgruppen in Gera.
Seine vielzähligen Anträge auf Ausreise aus der DDR waren stets abgelehnt worden. Erst als Erich Honecker 1987 während seines Staatsbesuchs in der BRD auf „Heimatbesuch“ im Saarland weilte, wurde ihm eine Liste mit vielen Namen Ausreisewilliger vorgelegt – einer davon war der Name des Schriftstellers und im Nachgang wurden er und andere freigekauft und durften ausreisen. Hier studierte er dann Germanistik und Rhetorik und promovierte.
In dem Roman, in dem es in der Lesung ging, geht es ebenfalls um die DDR, Frankreich und um Deutschland, um deutsch-deutsche und deutsch-französische Geschichte und Geschichten und Erfahrungen. Viele dieser Erfahrungen ließ er in seiner Erzählung mit einfließen. Das Buch erzählt eine abwechslungsreiche, sensibel beobachtende Geschichte über die letzten fünfzig Jahre in Deutschland, erzählt in sensibler Sprache, die nichts verklärt und nichts kommentiert. Eine junge Französin fährt von Avignon nach Berlin; sie will dorthin, weil Akten über ihren Vater gefunden worden sind. Das ist die Ausgangssituation dieses Romans, der auf drei Ebenen spielt: im Heute, im Gestern und im Morgen. Das Heute ist das Ost-Berlin der siebziger Jahre: ein junger Mann, Arno, arbeitet dort in einem Stahlwerk und ist verliebt in Marie-Sophie, eine in West-Berlin studierende Französin, die ihn in Ost-Berlin besuchen darf – bis ihr die Behörden das verbieten. Arno weiß von dem Kind, das sie erwartet, dann wird der Kontakt unterbunden. Das Gestern ist das Leben, das Arno in seiner Kindheit bei seiner Großmutter erfahren hat, einer lebenslustigen Frau, die im Dorf als Wahrsagerin bekannt ist. Sie raucht Zigarren, kann wunderbar erzählen und vermittelt die urwüchsige, warme Wildheit, an die Arno sich später klammert.
Die Tochter, in Frankreich bei ihrer Mutter aufgewachsen, weiß von ihrem Vater nur aus Erzählungen und Briefen. Sie möchte wissen, wer er wirklich war, ein Opfer, ein Feigling, ein verlorener Kämpfer für Freiheit und Phantasie? Aber ob sie die Akten über ihn wirklich sehen, sich ihnen aussetzen will, ist ihr am Ende der Fahrt nicht mehr klar …
Musikalisch umrahmt wurde die Lesung durch eine instrumentale Begleitung auf der Gitarre von Wolfgang Winkler – balladenhaft passend zu den spannend vorgetragenen Auszügen aus dem Roman. Im Anschluss an die musikalische Lesung zeigte sich das aufmerksame Publikum im Salzbrunnenhaus sehr interessiert, stellte etliche Fragen und nutzte die zum Gespräch über den Roman und Autor, der bereitwillig Auskunft gab. Trotz dass der Roman „Strohblumenzeit“ betitelt ist, kam während der Lesung das Wort „Strohblumenzeit“ gar nicht vor. Auf Nachfrage erfuhren die Gäste, dass es sich um das „Gestern“ handelte: Arno, der Protagonist des Romans, erzählt von seiner Kindheit, als seine Großmutter mit ihm Strohblumen gebastelt hatte, die die dunkle Winterzeit erhellen sollten. Der gelungene Abend wurde in gemütlicher Runde bei einem Glas Wein und in vertiefenden Gesprächen beendet.