Schülerinnen und Schüler des Are-Gymnasiums lauschen aufmerksam den Erzählungen der Holocaust-Überlebenden Tamar Dreifuss während ihres Besuchs in der Schulbibliothek
GRAFSCHAFT. Ende Mai besuchte die Holocaust-Überlebende Tamar Dreifuss das Are-Gymnasium und erzählte einer Gruppe von 13- bis 17-jährigen Schülerinnen und Schülern in der Schulbibliothek ihre Lebensgeschichte.
Mit 87 Jahren sprach sie ruhig, klar und eindringlich – über eine Kindheit im Versteck, über Mut, Verzweiflung und das nackte Überleben.
„Gott sei Dank bist du noch am Leben.“ Mit diesen Worten wandte sich ein jüdischer Rotarmist am Ende des Zweiten Weltkriegs an Tamars Mutter. Beide hatten das Unfassbare überlebt: den Holocaust.
Nach tagelanger qualvoller Fahrt in einem Viehwaggon täuschte ihre Mutter bei der Ankunft im Durchgangslager Tauroggen Normalität vor: Sie schminkte sich, kleidete sich ordentlich – und verließ mit ihrer Tochter unbehelligt das Lager. Ein waghalsiger, aber erfolgreicher Fluchtversuch.
Die damals vierjährige Tamar und ihre Mutter überlebten den Rest der Kriegszeit versteckt auf verschiedenen Bauernhöfen. Stets auf der Hut, nicht entdeckt, verraten oder ermordet zu werden, hielten sie sich mit einfachen Diensten über Wasser.
Die Jugendlichen hörten aufmerksam zu und stellten im Anschluss viele Fragen. Offen beantwortete Tamar Dreifuss sie. So fragte ein Schüler, ob so etwas wieder geschehen könne. „Ja“, antwortete sie entschieden. In der Holocaust-Gedenkstätte in Berlin, dem „Denkmal für die ermordeten Juden Europas“, stehe ein Zitat des italienischen Überlebenden Primo Levi (1919–1987), das sie besonders bewege: „Es ist geschehen, und folglich kann es wieder geschehen. Darin liegt der Kern dessen, was wir zu sagen haben.“
Ob sie heute ein normales Leben führe? „Ja“, sagte sie. Früher habe sie beim Erzählen oft geweint. Heute könne sie ihre Geschichte frei teilen – auch wenn die Erinnerungen blieben.
Von der Nachkriegsgesellschaft hätte sie sich mehr Ehrlichkeit gewünscht. Der Satz „Wir wussten es nicht“, den so viele von sich gegeben hätten, klang für sie wie eine Ausrede. Ehrlicher wäre gewesen: „Wir wussten es, aber wir hatten Angst.“
Zum Abschluss betonte Evelyn Simon, die das Zeitzeugengespräch mit Unterstützung von Christina Noack-Dziuk vom Jugendbüro Grafschaft organisiert hatte: „Solche persönlichen Berichte hinterlassen einen bleibenden Eindruck. Geschichte wird durch die Erzählung von Zeitzeuginnen lebendig und greifbar – und das ist durch nichts zu ersetzen.“