Nach dreieinhalb Jahren im Projekt "Älter werden in der Grafschaft mitgestalten" stellt sich Ann-Cathrin Zinken einer neuen Herausforderung.
GRAFSCHAFT. TW. Wenn ein neuer Zugchef als erste Amtshandlung die Notbremse ziehen muss, ist das sicherlich kein Einstand, den man sich wünscht. So ähnlich erging es auch Ann-Cathrin Zinken, als sie vor dreieinhalb Jahren die Leitung des Caritas-Projekts „Älter werden in der Grafschaft mitgestalten“ übernahm. Denn zeitlich mit ihr kamen die ersten Corona bedingten Einschränkungen. Jetzt endete die Zeit Zinkens als Projektleiterin und sie blickt mit überwiegend positiven Eindrücken auf die Entwicklung und den aktuellen Stand des Projekts zurück.
Entstanden ist das Grafschafter Projekt vor rund acht Jahren, damals unter der Leitung von Katharina Steinich. Träger ist zwar der Caritasverband Rhein-Mosel-Ahr, die Finanzierung aber liegt in anderen Händen. War es zunächst noch die Deutsche Fernsehlotterie, die die Kosten übernahm, gewährleistet nun die Gemeinde Grafschaft die Folgefinanzierung. Ein Schritt, der Sicherheit bringt, wie Ann-Cathrin Zinken betont: „Diese Finanzierung ist für ein solches Nachbarschaftsprojekt ein Novum, weil man eigentlich immer von einer Finanzierung in die nächste lebt.“ Aber die Gemeinde Grafschaft sichert die Kostenübernahme, ohne ein zeitliches Limit zu setzen.
Das aber war alles vor der Zeit Zinkens als Leiterin. Als sie am 15. März 2020 zum Projekt stieß, startete fast zeitgleich der Corona-Lockdown: „Ich hätte mit meiner Vorgängerin Lena Jansen eigentlich eine Einarbeitungszeit gehabt, aber meine erste Amtshandlung war, alles einzustampfen und auf Pause zu drücken.“ Zinkens Start war mit großen Schwierigkeiten verbunden: „Wenn du ein Quartiersprojekt hast, dass davon lebt, dass Menschen zusammenkommen und es gibt eine Zeit, wo Menschen nicht zusammenkommen können, verlierst du ein Stück weit deine Daseinsberechtigung“, sagt sie heute. Was also tun? Die rund 80 Ehrenamtlichen konnte sie nur am Telefon kennenlernen, die Gestaltung des Sozialraums auf Abstand schien unmöglich. Film-Café, Seniorennachmittage, Mittagstische - alle Zusammenkünfte fielen aus, die Prophylaxe gegen die Einsamkeit war nicht mehr gegeben. Die Sport- und Bewegungsgruppen kamen nicht mehr zusammen, Infoveranstaltungen fanden keine mehr statt. Das Film-Café schlief gänzlich ein, auch, weil der Dorfgemeinschaftshof Birresdorf nach der Flutkatastrophe im Ahrtal anderweitig genutzt wurde.
Aber man wußte sich zu helfen. Mit Corona und Ann-Cathrin Zinken ging die Digitalisierung des Projekts einher. Mit Unterstützung des Grafschafters Laurin Beißel kam das Projekt via Smartphone und Tablet zu den Senioren. Online-Meditationen, Wandervorschläge, Sportübungen – alles kam digital zum Anschauen und Nachmachen ins Haus. Die Zielgruppe zeigte sich dabei digital bestens ausgerüstet und zumeist voll auf der Höhe. „Nachhilfe“ gab es nur hin und wieder von den Digitalbotschaftern des Projekts. „Es sind sehr viele ältere Menschen mit der Technik vertraut und das wird künftig immer besser“, sagt Zinken, macht aber auch klar: „Alle erreicht man nicht.“ Aktionen unter freiem Himmel als analoge Angebote wurden nicht aus den Augen verloren. Mit Mary Witsch war zwischenzeitlich eine weitere Kraft in die Projektleitung eingezogen, so dass nun wesentlich mehr geplant werden konnte.
Heute erreichen die verschiedenen Angebote rund 250 Grafschafter im „besten Alter“, und es werden ständig mehr. Das Angebot wird ebenfalls immer größer und ist nach wie vor offen. Anmeldungen sind nur zu den Mittagstischen erwünscht, ansonsten gilt das kölsche Motto: „Wer kütt, der kütt.“ Jeder ist willkommen, das Team freut sich über jeden Besucher, zumal das Projekt nun nicht mehr über die gesamte Gemeinde verteilt ist. Vieles findet im Containerbau in der Lise-Meitner-Straße im Innovationpark Grafschaft statt: Music-Club, Skat- oder Spieletage, English Circle oder Café Auszeit. Auch die Gemeindeschwester plus empfängt ihre Gäste im Container. Sport findet wieder in den Sporthallen statt, die Spazierganggruppe erkundet die Grafschaft. Das lange geplante Reparaturcafé wird am 6. September im Birresdorfer Dorfgemeinschaftshof starten. Es wird einen Tag „rund um den Apfel“ geben und auch ein Termin mit einer Waldlernschule ist geplant.
Ziel des Projekts ist es, möglichst viele Senioren der Grafschaft für eines oder mehrere Projekte zu gewinnen. Mundpropaganda ist ausdrücklich gewünscht. Was sich Ann-Cathrin Zinken wünscht: die Containeranlage im Innovationspark soll lange erhalten bleiben. Hier hat das Projekt eine Heimat. Ausgezeichnet mit dem Deutschen Nachbarschaftspreis (2019), dem AOK-Preis für gesunde Nachbarschaften (2021) und dem Gewinn des Preises „Ehrenamt 4.0“ der Landesregierung sieht die scheidende Projektleiterin, dass der eingeschlagene Weg der richtige war.
Rückblickend ist Ann-Cathrin Zinken froh, ein Teil des Projektes und des Zusammenhalts gerade während Corona gewesen zu sein: „Es waren enorme Herausforderungen in den letzten Jahren, aber die Menschen haben dem standgehalten und mit ihrer Kreativität das Beste draus gemacht und da bin ich stolz, dass ich ein Teil des Ganzen war. Für das Grafschafter Projekt wünscht sie sich weitere Unterstützung durch die Gemeinde Grafschaft: „Das ist ein großes Pfund, sowohl die Finanzierung als auch die Unterstützung der Verwaltung. Das ist etwas, was dieses Projekt trägt.“