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Chieminger Nachrichten
Ausgabe 9/2024
Schulnachrichten
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Schulnachrichten

Zeitzeuge Rainer Dellmuth berichtet im Gymnasium Ising vom Unrechtsstaat DDR

DDR-Zeitzeuge Rainer Dellmuth berichtet Isinger Schülern über seine Jahre in den Stasi-Gefängnissen

„Ich habe jetzt noch Todesängste und chronische Schlafstörungen.“ Wenn Rainer Dellmuth vor den Jugendlichen im Gymnasium Ising spricht, ist es mucksmäuschenstill im Klassenzimmer. „Man muss auf dem Rücken liegen, Gesicht zur Zellentür, Hände an der Seite – wennste die Lage geändert hast, hamse dich dauernd geweckt. Alle fünf Minuten hat jemand durch den Spion geguckt.“ Rainer Dellmuth war schon als Achtzehnjähriger wegen „hetzerischer Äußerungen“ in das Visier des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) geraten. Die Stasi legte ab Juni 1967 zu seiner Person ab Juni 1967 einen so genannten operativer Vorgang mit dem Decknamen „Lehrling“ an. Und einen Monat später wurde der Lehrling des Buch- und Flexodrucks wegen so genannter „versuchter Republikflucht“ und „staatsgefährdender Hetze“ erstmals verhaftet und im Dezember 1967 zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Dieses Jahr verbrachte Dellmuth in den drei Gefängnissen Gera, Berlin und Rummelsburg – manchmal zu zweit in der Zelle „Ist der andere ein Informant?“, manchmal zu zwölft ohne jegliche Privatsphäre: „Elf andere schauten einem auf dem Klo zu.“

Antifaschistischer Schutzwall, Republikflucht, Grothewohl-Express, Rotlichtbestrahlung: Die Isinger Schüler müssen sich stark konzentrieren, damit sie die zahlreichen DDR-Ausdrücke und die Jahreszahlen einordnen können. Dazu berlinert Rainer Dellmuth stark – mit flotten Sprüchen.

Nach seiner ersten Entlassung beendete er die Lehre und holte in Köpenick das Abitur nach. Aber 1971 wurde er erneut verhaftet wegen „versuchten ungesetzlichen Grenzübertritts in besonders schwerem Fall“. Die zweijährige Haft saß Dellmuth in Pankow, Rummelsburg, Cottbus und in Karl-Marx-Stadt (heute Chemnitz) ab. „Wir mussten Zwangsarbeit leisten und die Metall-Rohlinge von Fotoapparaten entgraten. Diese Praktika-Apparate konnte man im Westen dann im Otto-Versand bestellen.“

Im November 1972 wurde Dellmuth ausgebürgert und in die Bundesrepublik ausgewiesen. „Diese hat damals mit mir zusammen knapp 35 000 Häftlinge freigekauft – für 2,4 Milliarden DM.“ Seine Stasi-Akte hat er bis heute nicht eingesehen. „Ich hatte nicht die Nerven für diese 1500 Seiten.“

Der Kontakt zu Rainer Dellmuth war auf einer der jährlichen Berlinfahrten der Isinger Zehntklässler zustande gekommen, als dieser vor einigen Jahren die Schüler als Zeitzeuge durch das Stasi-Gefängnis Berlin-Hohenschönhausen geführt hatte. Geprägt von seiner Leidenszeit in der DDR endete sein Vortrag damals wie heute mit dem Appell: „Passt auf die Demokratie auf!“