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Mitteilungsblatt der VG Gemünden a Main
Ausgabe 21/2024
Amtliche Bekanntmachungen
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Gemeinde Gräfendorf

Geschichten und Geschichte

Teil I Die Lebensgeschichte der Familien Schiefer

Caspar Schiefer und seine beiden Ehefrauen Catharina und Dorothea, ihr Sohn Kaspar und seine Frau Katharina im Anwesen 61

Die Erzählung beginnt im Jahr 1797. In diesem Jahr siedelte Caspar Schiefer sen. von Altengronau nach Gräfendorf über und heiratete im gleichen Jahr die Bauerntochter Catharina Försch aus dem Anwesen 58. Nach ihrem Ableben heiratete Caspar Schiefer 1812 Dorothea Rüttiger. Sie war die Tochter von Michael und Margaretha Rüttiger (1749–1810), eine geborene Henning (1761–1817), die im Anwesen 49 lebten.

Zweiundsechzig Jahre vorher wurde vor dem Reichskammergericht Wetzlar einen Streitfall zwischen dem Juliusspital Würzburg und den Herren von Thüngen aus Zeitlofs beendet. Der Richterspruch lautete: „Das halbe Gräfendorf ist im Besitz der Nachkommen der Herren von Thüngen, der Andreas’sche Linie“. Sie gehörten der evangelisch-lutherischen Konfession an. Seitdem besaß Gräfendorf zwei Herrschaften, eine katholische und eine protestantische. Gräfendorf war ab diesem Zeitpunkt ein konfessionell gemischtes Dorf. Der beigefügte Katasterauszug aus dem Bayernatlas zeigt ungefähr, wo die Bewohner unterschiedlicher Konfessionen im Jahr 1849 lebten.

Nach der Gerichtsentscheidung präsentierte sich die neue protestantische Grundherrschaft im Anwesen Nr. 50. Sie übernahm dort ein großes Gebäude mit Keller, Futterboden, Stall und Hof. Die Scheuer war das Lagerhaus zur Annahme und Aufbewahrung der Naturalsteuer (Zehnt). Ihren Anteil an Gräfendorf verwaltete sie von Burgsinn aus als eine Thüngensche-Nebenstelle. Das Haus daneben, die Nr. 49, beherbergte das Gesinde, ebenso wie die zuarbeitenden Familien der Gutsherrschaft. Um dort leben und arbeiten zu können, musste man neben einer gesunden Natur und einem starken Willen zur rastlosen Arbeit auch treu zum lutherischen Glauben stehen. Da es kaum noch solche Leute in Gräfendorf gab, weil das katholische Juliusspital eine Rekatholisierung erzwungen hatte, bot die Baronie den umsiedlungswilligen protestantischen Untertanen aus dem Thüngenschen Verwaltungsbezirk, genannt Cent oder Zent, ein Söldengut an. Ein Söldengut entsprach einem Hof und Grund in der Größe eines ¼ Bauernhofes. Als Gegenleistung mussten sie für den Grundherrn beim Wegebau, im Wald, bei der Feld- und Gartenarbeit oder als einfache Knechte und Mägde mitarbeiten. Die meisten Söldnerfamilien, nicht zu verwechseln mit Soldaten, konnten jedoch nicht vom Ertrag des Besitzes leben und mussten als Tagelöhner zusätzliches Einkommen beschaffen.

Caspar Schiefer sen., der 1797 umgesiedelte Untertan, lebte fortan mit seiner Ehefrau Catharina Försch (1770–1812) und später mit Dorothea Rüttiger (1788–1849) auf dem Söldengut mit der Hausnummer 61 in Gräfendorf. Das Gut war seinerzeit enorm groß. Auf diesem Söldengut befanden sich eine Wagnerwerkstätte mit einem Wohnhaus, Keller, Scheune mit Stall, Schweineställe, Backofen und Hofraum. Es umfasste 29,140 Tagwerk (umgerechnet ca. 10 ha). Caspar Schiefer sen. hatte das Wagnerhandwerk von Grund auf gelernt. Die erste Ehe blieb kinderlos. Seine zweite Ehefrau Dorothea gebar ihm hingegen zwei Söhne und sechs Mädchen. Caspar Schiefer sen. war seinem Herrn treu ergeben und kümmerte sich zunächst um seine Familie. Er starb im 62. Lebensjahr. Seine Ehefrau Dorothea überlebte ihn um viele Jahre.

Hinweis: Es folgen noch zwei Teile über die konfessionelle Teilung und die Geschichte des Altengronauer Umsiedlers Caspar Schiefer sen. in den nächsten Mitteilungsblättern.

© Die Recherchen und die Textzusammenstellung sind von Johannes Sitter, Gräfendorf.