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Mitteilungsblatt der VG Gemünden a Main
Ausgabe 25/2023
Amtliche Bekanntmachungen
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Aus dem Archiv von Gräfendorf

Geschichten und Geschichte

Das religiöse Bekenntnis in der Vor- und Nachkriegsgeschichte

Teil II

Das Bekenntnis und sein Einfluss auf die Geschichte von Gräfendorf werden mit den zwei folgenden Geschichten beschrieben. Im nächsten Mitteilungsblatt veröffentlichen wir wieder Nachkriegsgeschichten zwischen 1945 und 1952.

Ein Briefwechsel und Wahllisten

Der Brief ist aus den Unterlagen des Johannis-Zweig-Vereins. Die Geschichte des Johannis-Zweig-Vereins begann mit der Gründung einer Stiftung durch Katharina Aul für eine Schwesternstation, eine ambulante Krankenpflege, eine Handarbeitsschule und einen Kindergarten im Jahr 1901. Formal wurde er dann 1913 gegründet. Über die Stiftung und den Johannis-Zweig-Verein werden wir zu einem späteren Zeitpunkt berichten. Der Brief und auch die Wahllisten verdeutlichen das Nebeneinander und Misstrauen der christlichen Religionsgemeinschaften in Gräfendorf. Sie sind Teil der Orts- und Zeitgeschichte und werden deshalb veröffentlicht.

Auszug aus einem Brief

Datiert ist der Brief vom 18. Mai 1930. Unterschrieben mit „Ergebenster Dein Martin, Pfarrer“. Ein Absender und Adressat sind nicht auf dem Brief zu finden. Der damalige Pfarrer Peter Bauer, Pfarrherr von 1927 bis 1934 hat, dem Inhalt nach zu schließen, an seinem Vorgänger Pfarrer Ambros Martin, Pfarrherr von 1920 bis 1927 Fragen gestellt. Dabei ging es u. a. um die Katharina Aul‘sche Stiftung und die Umsetzung des Willens der Stifterin.

Pfarrer Martin antwortete:

„Mein Vorgänger Drescher hatte die Katharina Aul`sche Schwesternstiftung gefertigt mit Unterzeichnung des Armenrates. Die Abschrift des Stiftungsbriefes wirst Du wohl noch vorfinden, ich kenne denselben nicht genau. Von der Wohlfahrtsrentenanmeldung habe ich damals nichts gewusst, ich lass keinen Staatsanzeiger. Ich war um diese Zeit mit „Geh-danken“ behaftet und auch mit der Nachmission beschäftigt. Da hätte doch der Bürgermeister daran erinnern können, wahrscheinlich hatte er es vergessen, mit Fleiß!! Ich will dir verraten, dass wir damals bald ein Anwesen bekommen hätten, aber der Hauptlehrer Hohmann hat mir wahrscheinlich die Sache verdorben, in der Schule sprach ich damals davon, wobei ich von dem Buben des Lehrers vernahm, dass wir keine bekämen! Bürgermeister Harth hätte uns damals ein Haus abtreten können, „Schimmel Adam“ weiss davon, auf einmal war alles aus! Hohmann fürchtete infolge seiner religiösen Einstellung wahrscheinlich Konkurrenz!! Leider vegetiert heute noch ein solcher Lehrer in Gräfendorf. Dompropst Stahler hat ihn teilweise auf dem Gewissen.

Hoffentlich hast Du dich eingewöhnt! Es gibt überall etwas!!??

Ergebenster Dein Martin, Pfarrer

Das religiöse Bekenntnis bei der Kommunalwahl 1948

Auch bei der Kommunalwahl 1948 wurde die religiöse Verschiedenheit wieder betont. Es gab einen „katholischen“ und einen „evangelischen“ Wahlvorschlag.

In der Niederschrift über die Wahlversammlung am 27. März 1948 wird festgehalten: „Um 20 Uhr wurde eine Wählergruppe der evangelischen Kirchengemeinde einberufen“. 46 Erschienenen wählten in geheimer Wahl folgende Kandidaten für die Gemeinderatswahl am 25. April 1948. Sie gaben der Wahlliste den Namen „Parteilos“.

Die Aufstellungsversammlung der Christlich Sozialen Union, mehrheitlich Katholiken, fand am 24. März 1948 im großen Schulsaale statt. 20 Männer nahmen an der Versammlung teil. Sie nominierten in geheimer Wahl 16 Kandidaten für die Gemeinderatswahl.

Die erste ökumenische Andacht

Erst 1969 änderte sich grundlegend das religiöse Miteinander. Der evangelische Geistliche Pfarrer Hans-Joachim Thieme aus Waizenbach, zuständig für die evangelisch-lutherischen Christen der Michaelskirche, und Pfarrer Josef Rüth von der katholischen Kirchengemeinde Hl. Schutzengel waren die Taktgeber der Ökumene in Gräfendorf.

Hinweis: Der Auszug aus dem o. g. Brief wurde wortwörtlich wiedergegeben. Alle übrigen Angaben sind vollständig erhalten. Sie befinden sich im Gemeindearchiv unter der Archivnummer R15/3. Theresia Kühnlein, Schonderfeld und Daniela Kriebel Gräfendorf recherchierten die Daten der handelnden Personen im Archiv der Diözese Würzburg.

© Bearbeitung, Text und Fotomontage der Kirchenfahnen Johannes Sitter, Gräfendorf.