Die Cholera Epidemie eine vergessene Zeit
1854 wütete sie in Gräfendorf
Während am 20. Januar die Tradition des Sebastianstages gepflegt und an die Verstorbenen des Pestjahres 1673/74 erinnert wird, ist die Cholera Epidemie 1854 in Vergessenheit geraten. Ein Grund könnte sein, der Brennpunkt der Krankheit lag in Oberbayern. In Unterfranken betraf es zwei Gemeinden. Eine davon war Gräfendorf. 16 Personen erkrankten innerhalb eines Monates. Zwei Kinder und fünf Erwachsene überlebten die Cholera nicht.
Der pensionierte Oberzoll-Inspektor Bauer aus München schleppte die Krankheit ein, berichtete der Gerichtsarzt Dr. Vogt, Landgericht Gemünden. In seinem Report an die königliche Kommission für naturwissenschaftliche Untersuchungen über die indische Cholera schilderte er ausführlich die Gräfendorfer Ereignisse.
Oberzoll-Inspektor Bauer flüchtete zu seinen Verwandten der Familie Barbara Katharina Schleicher, geb. Krist 1795–1880, Brauereibesitzerin-Witwe nach Gräfendorf, Landgericht Gemünden. Er hatte sich unterwegs unwohl gefühlt und Durchfall gehabt. Am 7. August, im Gefühl der Freude, hier bei seinen Verwandten im entlegenen Saalewinkel sicher zu sein, wollte er seine gewöhnliche Lebensweise wieder fortsetzen und trank statt des ihm missbehagenden roten Weines abends 2 Glas Bier. In der Nacht wurde er plötzlich von der Cholera befallen und nach 39 Stunden erfolgte der Tod.
Das Auftreten dieser Krankheit war hier eine fremde Erscheinung. Es war das erste Mal, dass diese verheerende Seuche im mitteldeutschen Hügelland festen Fuß fassen sollte. Ohne Furcht umstanden die Verwandten das Bett des erkrankten Mannes.
Die Landgerichtsarzt-Witwe Anna Schmitt geb. Schleicher 1800–1848 ließ nach gemachter innerer Leichenschau den Sargdeckel entfernen, um den werten Verwandten noch einmal im Tode zu sehen. Dieselbe wohnte auch am 11. August früh 9 Uhr der Beerdigung bei und half dann in der Küche. Um 12 Uhr befällt sie nach einmaligem Durchfall blitzähnliche Erstickungsanfälle und nach 11 Stunden war sie eine Leiche.
Am 12. August erkrankte an Cholera die Brauereichefin Barbara Katharina Schleicher selbst. Desgleichen die Schuhmachers-Frau, Barbara Köhler. verh. Köhler, geb. Hutzelmann. Deren Wohnung ist schräg gegenüber dem Schleicher'schen Haus. Dies ist der einzige Fall, in dem es nicht gelungen ist, eine direkte Infektion nachzuweisen. Nach den Unterlagen im Gemeindearchiv Gräfendorf hat die 34-Jährige die Krankheit nicht überlebt. Sie ist am 21.8.1854 gestorben.
Erkrankt ist Mathilde, 1828–1913, die Tochter der Barbara Katharina Schleicher. Sie pflegte ihre Schwester, die Landgerichtsarzt-Witwe Schmitt. Dr. Vogt wurde selbst krank. Nach der inneren Leichenschau von Frau Schmitt hatte er heftigen Durchfall, ließ er die kgl. Kommission wissen.
Ludwig 1815–1854, ältester Sohn von Barbara Katharina Schleicher, wachte mehrere Nächte bei seiner Mutter am Krankenbett. Er fühlte sich bald unwohl. Trotz strenger Diät und geeigneter prophylaktischer Kur erkrankte er und starb.
Der bei Erteilung der Sterbesakramente anwesende Schullehrer Franz Josef Seyfried erkrankte am 19. August. Einen Tag später spielte er noch im Bett mit seinem blühenden dreijährigen Kind, Barbara Amalia. Zwei Tage später war es tot. Die gemeinsame Nutzung des Vaters Nachttopf, worin Cholerine-Stühle waren, sah der königliche Gerichtsarzt als Ursache des schnellen Ablebens.
Die Düngerstätte hinter dem sich auf der Anhöhe befindlichen Schulhaus und die den Boden durchdringende Feuchtigkeit des Erdgeschosses ist zwar ungesund, aber jedoch ein zufälliges Zusammentreffen, erwähnte Dr. Vogt im königlichen Bericht.
Babette Häusler geb. Schleicher, Enkelin des Papiermüller Valentin Schleicher, erkrankte den 23. August. Am selben Tag die weit entfernt wohnende Barbara Vogel. Sie war die zehnjährige Tochter der ledigen Anna Maria Vogel, HsNr. 49 und hatte die zwei letzten Tage sich Brot im Schleicher’schen Hause erbettelt. Der ebenfalls entfernt wohnende gesunde Tagelöhner Johann Aul HsNr. 56, erkrankte den 25. August. Er ist der Bruder, der bei der Familie Schleicher verwendeten und heimgekehrten Krankenwärterin Barbara Dorothea Aul.
Dem zweijährige Michael Hutzelmann 1852–1922 HsNr. 25 3/4 befiel ebenfalls die Krankheit. Dessen Vater ist der Bruder, Johann Hutzelmann 1815–1898, HsNr. 28, der Barbara Köhler, verh. Köhler, geb. Hutzelmann, HsNr. 3, welche er mehrere Tage gepflegt hatte.
Im Hause daneben wohnte die Familie Volpert. Familienoberhaupt Georg 1816–1854, HsNr. 2 streckte die Krankheit nieder, ebenso sein vierjähriges Kind Margarete. Seine achtjährige Tochter Barbara HsNr. 2 wurde ebenfalls krank „womit die eigentlichen Cholerafülle ein Ende erreichte“, waren die letzte Anmerkung des Berichtes von Dr. Vogt.
Die Aufnahme zeigt den Gedenkstein an das Pest Jahr 1673/74 in der Katholischen Schutzengelkirche in Gräfendorf. Foto: Johannes Sitter