Gesprengter Bunker um 1949
Im sechsten Kriegsjahr, Ende April 1945, näherten sich die überlegenen US-Streitkräfte unserer Heimat. Obergermaringen wurde von Tag zu Tag mehr Frontgebiet. Die Fliegeralarme häuften sich, es gab kaum Ruhe, weder Tag noch Nacht. Wegen der großen Bombardierungsgefahr der Stadt zogen einige Kaufbeurer zu ihren Verwandten nach Obergermaringen. Aus zerbombten Großstädten kamen Leute hungrig, todmüde und schmutzig als Flüchtlinge zu ihren Bekannten ins Dorf.
Am 22. April erschienen frühmorgens Lastwagen mit Wehrmachtsgut in der Ziegelei Biechele, um es zu deponieren. Zehn Soldaten blieben zurück. Während des 26.04.1945 fuhren deutsche Offiziere auf dem Seitz-Hof vor und berieten über eine Strategie wie eine Verteidigung gegen die Amerikaner zu organisieren wäre. Johann Seitz lehnte ein solches Vorhaben entschieden ab und verwies auf die Folgen für die Bevölkerung. Ihm wurde sofort eröffnet, dass ein derartiges Verhalten seine Erschießung zur Folge hätte. Gott sei Dank wurden diese Pläne wieder aufgegeben. Angst hatte man vor allem auch wegen der nahe liegenden Pulverfabrik im Hart. Eine Bombardierung hätte in Germaringen Unheil und Schrecken ausgelöst. Durch die gute Tarnung blieben die Anlagen der großen Munitionsfabrik glücklicherweise dem Auge des Gegners verborgen. Die Unruhe wuchs stündlich. Im Radio wurde wiederholt durchgegeben, dass der Vormarsch der US-Truppen nach Süden in Richtung Schwaben und dem Allgäu zügig vorangehe. Alle Schwarzsenderhörer konnten sich ein Bild machen, wo diese Einheiten sich bewegten. Am 26. April wusste man, dass die US-Streitkräfte Memmingen eingenommen hatten.
Die Einwohner von Obergermaringen versteckten im Heu und in Schuppen Andenken von gefallenen oder in der Front befindlichen Angehörigen, wie z.B. Uniformen, Waffen, Orden, aber auch Motorräder. Stoffe, Kleidung und Lebensmittel wurden auf Speichern und in Kellern in schnell angelegten doppelten Böden in Sicherheit gebracht. Die Landwirte speicherten Wasser, um bei eventuellen Bränden sofort löschen zu können. In aller Eile wurden heimlich und bei Vermeidung jeglichen Lärms Schweine und Kälber geschlachtet.
Die Soldaten, die am 22. April im Dorf einquartiert worden waren, verteilten Konserven, Schuhe, Wolldecken und Werkzeug. Bis spät in die Nacht hinein verkauften die Lebensmittelgeschäfte am 26. April Lebens- und Genussmittel. Dem Feind sollte nichts in die Hände fallen. Da die gefährlichen Luftangriffe immer häufiger wurden, stellten die Bauern die Feldarbeiten ganz ein. Nur die Haus- und Stallarbeiten verliefen in gewohnter Weise, denn das Vieh musste ja versorgt werden. Im Dorf herrschte große Verwirrung und Aufregung. Immer mehr Rückzugssoldaten und Flüchtlinge kamen in den Ort. Eine Führungsspitze russischer Soldaten (Wlassov-Truppen), nicht der deutschen Sprache kundig, bettelte durch einen Dolmetscher inständig um Zivilkleidung und Verpflegung. Durch Zufall trafen sie eine russische Frau aus der DAG, die ihnen aber jegliche Hilfe verweigerte, denn für die zwangsverschleppten Russinnen brachte der Tag der Besetzung die Freiheit.
Die Germaringer sorgten sich um Hab und Gut. Man fürchtete sich vor Racheakten der im Dorf arbeitenden Ausländer und Kriegsgefangenen. Es waren ca. 40 Polen, Tschechen, Jugoslawen und Ukrainer. Sie waren in den letzten Tagen zunehmend aufsässig geworden.
Bürgermeister und Gemeinderat erkannten die Sinnlosigkeit einer Verteidigung, das Dorf sollte vor einer Zerstörung bewahrt bleiben. Eine Einquartierung von SS-Leuten konnte der Bürgermeister zum Glück verhindern, stattdessen blieben Soldaten der Luftwaffe im Ort. Mitglieder des Gemeinderates beauftragten die Bewohner, beim Sichten von Kampftruppen sofort weiße Fahnen an den Ortsenden zu schwingen. Soldaten, die eventuell eine Verteidigung planten, sollten daran gehindert werden. Angeblich versteckten sich im sogenannten Krautgarten (heute „Am Hang“) einige Soldaten.
So dämmerte der Freitag, 27. April 1945 heran, ein sommerlicher Frühlingstag. Beim Milchfahren in der Früh wurde allgemein besprochen, ob man eine weiße Fahne vom Turm der St. Wendelinskirche hissen solle. Die Bewohner fürchteten sich vor den harten Durchhaltebefehlen, die in zahlreichen Orten kurz vor dem Einrücken der Besatzungstruppen noch vielen Unschuldigen das Leben kostete.
Fortsetzung folgt….