Historische Dorfwanderungen mit dem Grabenstätter Ortsheimatpfleger, Mundartdichter und Kenner seiner Heimat Gustl Lex sind informativ, spannend und unterhaltsam. Davon konnten sich die Teilnehmer auch in diesem Sommer überzeugen. Seinen interessanten Ausführungen lauschten die begeisterten Gemeindebürger und Urlauber im Freien (Bild), im Rathaus/Schloss, in der Pfarrkirche und in der Johanneskirche.
Grabenstätt war einst das größte Fischerdorf am Chiemsee und überstand seit 1572 vier große Katastrophen, darunter zwei verheerende Dorfbrände, die den Aufstieg bremsten
Die beliebten historischen Dorfwanderungen mit Ortsheimatpfleger Gustl Lex sind ein fester Bestandteil des Grabenstätter Veranstaltungsprogramms. Auch in diesem Sommer nahmen wieder viele interessierte Besucher aus nah und fern daran teil. Der historische Bogen, den Lex dabei in volksnaher Sprache und mit vielen einprägsamen Anekdoten im Grabenstätter Schloss, in der Pfarrkirche St. Maximilian, am Marktplatz und an vielen weiteren bedeutenden Orten im Dorf aufspannte, reichte von der Kelten- und Römerzeit über das Mittelalter und die Frühe Neuzeit bis in die Neuzeit. Die rund dreistündige Zeitreise begann am gemeindlichen Römermuseum, wo man sich nicht nur über die einstige Villa rustica von Erlstätt, einem vor rund 2000 Jahren erstaunlich vornehm und modern ausgestatteten römischen Landgut mit fließendem Wasser, Fensterglas und Mosaiken informieren kann, sondern zum Beispiel auch über das 1842 bei Vachendorf gefundene „Militärdiplom von Geiselprechting“, dem ältesten exakt datierbaren Schriftdenkmal Bayerns, dessen bronzenes Original sich in der Archäologischen Staatssammlung in München befindet. Diese Urkunde, die sich genau auf den 15. Juni 64 nach Christus datieren lässt, regelte die ehrenvolle Entlassung und die Verleihung des römischen Bürgerrechts an den Legionär Cattus, einem verdienstvollen helvetischen Reiter aus der Auxiliareinheit Ala Gemelliana.
Viel Zerstörung, Not und Elend hätten laut Lex von 880 bis 907 die Ungarn-Einfälle über die Region gebracht, in deren Verlauf auch die Klöster auf der Herren- und Fraueninsel sowie die Burg von Grabenstätt unweit der heutigen Gemeindeteile Eckering und Zeiering zerstört worden seien. Erst mit dem Sieg des Frankenkönigs Otto des Großen gegen die Magyaren 955 auf dem Lechfeld bei Augsburg seien deren Raubzüge endgültig beendet gewesen. Da Otto beim Schlachterfolg von den Chiemgaugrafen unterstützt worden sei, habe dieser den Sighardinger Friedrich zum Erzbischof von Salzburg (Friedrich I.) gemacht und ihm zum Dank am 8. Juni 959 die Grafschaft Grabenstätt mit dem Chiemgau geschenkt, erklärte Lex und dokumentierte dies anhand einer im Sitzungssaal des Rathauses (Schloss Grabenstätt) hängenden historischen Urkunde (Kopie). „Bis 1275 war der Chiemgau nicht mehr bayerisch, sondern salzburgerisch. Anschließend gehörten wir bis 1505 zum Herzogtum Niederbayern, dann zu Oberbayern“, verblüffte er. Kirchlich habe man fast immer zu Salzburg gehört. „Bis 1817 wählte das Domkapitel den Grabenstätter Pfarrer aus“, so Lex. Historisch bedeutsam sei auch, dass sich in der heutigen Gemeinde Grabenstätt ab dem Spätmittelalter drei der zehn Chiemgauer Hofmarken befanden und Erlstätt die älteste Pfarrei in der ganzen Region sei.
„Bis vor rund 200 Jahren war Grabenstätt das größte Fischerdorf am Chiemsee und hat auch mehrmals den 1. Fischmeister vom Chiemsee gestellt“, verriet Lex. Vom Hafen an der heutigen Überseestraße wurde ab Mitte des 16. Jahrhunderts Eisenerz auf sogenannten „Rennern“ über das Wasser nach Bernau/Felden gerudert und dann nach Aschau weitertransportiert, weil dort im Gegensatz zum Abbaugebiet am Teisenberg noch genügend Holz zur Verhüttung vorhanden gewesen sei. Auch Roheisen von der Maxhütte in Bergen sei dort verladen worden, da die Moore südlich des Chiemsees keinen vernünftigen Transportweg über Land zugelassen hätten. Wie Lex mitteilte, sei Grabenstätt in den letzten 450 Jahren von vier großen Katastrophen heimgesucht worden, die dazu geführt hätten, „dass Grabenstätt heute nicht den Stellenwert hat, der ihm eigentlich zustehen würde“. Bei der ersten Katastrophe habe sich die Tiroler Ache im Zuge des Erdbebens von 1572 bei Innsbruck (Magnitude 5,5/Starke Schäden auch in Bayern) und eines Hochwassers mit Dammbruch bei Almau/Übersee ein neues Flussbett gesucht. Dies war zum Leidwesen der Grabenstätter Fischer der Beginn eines Verlandungsprozesses, der sich in der Hirschauer Bucht bis heute fortsetzt. Der Pestwelle von 1648 – die zweite Katastrophe – sei ein Drittel der Ortsbevölkerung erlegen. Enorme Sachschäden und unermessliches Leid verursachten die verheerenden Dorfbrände von 1834 und 1862, in deren Folge 1869 die Feuerwehr Grabenstätt gegründet wurde. „Der erste Brand, der in einer Küche ausbrach, zerstörte die Pfarrkirche, das Schloss, drei Wirtshäuser, das Schulhaus, insgesamt brannten 57 Firste“, so Lex. Die erhoffte Hilfe vom bayerischen Staat sei „nicht so wohlwollend ausgefallen wie erwartet“, weil nur zwei Monate später die für das Königreich bedeutendere Salzstadt Reichenhall abgebrannt sei. In Grabenstätt entstand nach dem ersten Dorfbrand der Marktplatz. Beim zweiten Dorfbrand, der vierten Katastrophe, wurden 1862 sogar 52 Häuser und 23 Nebengebäude, darunter auch das Schloss, vernichtet. Die 1849 eingeweihte Pfarrkirche St. Maximilian, „die erste neuromanische Kirche Bayerns“, die vom jungen Kunstmaler Max Fürst ausgemalt worden sei, habe die zweite Feuersbrunst wie durch ein Wunder unbeschadet überstanden, so Lex. Die Johanneskirche sei hingegen dieses Mal noch stärker beschädigt worden. Noch heute würden angekogelte Holzbalken davon zeugen. Die dortigen gotischen Fresken seien erst 1969 bei Renovierungsarbeiten entdeckt worden, so Lex. 1870 hätten sich zum 1000-jährigen Bestehen der Johanneskirche rund 30.000 Gläubige an einer kilometerlangen Prozession beteiligt, für die man an der Ostseite des Gotteshauses sogar die Wand durchbrochen habe.
Was heute kaum mehr jemand wisse, sei, so Lex, das Grabenstätt vor gut 100 Jahren auch für sein hervorragendes Bier bekannt gewesen sei und die hiesige Schlossbrauerei sogar ein Wirtshaus in der „Bierstadt“ Traunstein beliefert habe, obwohl sich dort damals sechs Brauereien befunden hätten. Im Zuge des Ersten Weltkriegs sei die Brauerei dann pleite gegangen und viele Grabenstätter hätten ihren Arbeitsplatz verloren, „so wie auch mein Großvater“, berichtete Lex. Neben dem Gründer des Klosters Maria Eck Totnan Seehuber ist auch der Fotograf, Kameramann und Bergsteiger Peter Müllritter in Grabenstätt geboren (1906). Sein Geburtshaus steht in der Marktstraße 7. Müllritter habe die gescheiterte erste deutsche Nanga-Parbat-Expedition 1934 zwar überlegt, sei dann aber 1937 bei der Folge-Expedition am „Schicksalsberg der Deutschen“ bei einem Lawinenabgang mit seiner Ausrüstung verschüttet worden, so Lex. Alle Teilnehmer seien umgekommen und Müllritters sterbliche Überreste habe man nie gefunden. Dafür hat der Gletscher vor einigen Jahren sein Tagebuch mit vielen interessanten Aufzeichnungen freigegeben. „Zu lesen waren nach rund 80 Jahren aber nur noch jene Notizen, die mit Bleistift geschrieben wurden“, so Lex.
Bericht und Bild vom örtlichen Presseberichterstatter Markus Müller.