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Grabenstätter Gemeindeanzeiger
Ausgabe 7/2023
Aus der Gemeindeverwaltung
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Gut besuchte Info- und Diskussionsveranstaltung zu Suchthilfe und Suchtprävention

Als Profi-Fußballer gewann Uli Borowka unter anderem jeweils zweimal die deutsche Meisterschaft und den DFB-Pokal, doch seinen größten Sieg holte er im Kampf gegen die Alkohol- und Medikamentensucht. Als trockener Alkoholiker berät und hilft er seit gut zehn Jahren suchtkranken Menschen. Zuletzt sprach der 60-jährige in der Grabenstätter Schlossökonomie über sein bewegtes Leben und stellte sich der Diskussion. Zudem las er aus seiner Autobiografie „Volle Pulle. Mein Doppelleben als Fußballprofi und Alkoholiker“.

Einst Fußball-Profi und Alkoholiker und jetzt Frontmann in der Suchtprävention

Uli Borowka

Eine kurzweilige und aufschlussreiche Informations- und Diskussionsveranstaltung zum Thema Suchthilfe und Suchtprävention gab es in der Schlossökonomie Grabenstätt. Dass sich rund 200 Besucher im Saal eingefunden, hatten lag nicht zuletzt am Stargast Uli Borowka. Ganz offen und unverblümt erzählte der sympathische 60-jährige gebürtige Sauerländer von seinem langjährigen Doppelleben als Fußballprofi und Alkoholiker, seinem krassen Absturz und dem hart erkämpften Weg zurück ins Leben. Auch Fragen beantwortete er gerne. Borowka war in den 1980er und 1990er Jahren einer der erfolgreichsten deutschen Fußballer, Deutscher Meister, DFB-Pokalsieger und Europapokal-Sieger mit dem SV Werder Bremen und sogar sechsfacher Nationalspieler, doch was der Öffentlichkeit lange weitgehend verborgen blieb: Er war in dieser Zeit auch in zunehmendem Maße abhängig von Alkohol und Schmerzmitteln. Erst nach seinem Abschied aus dem Profi-Fußball gelang ihm im Jahr 2000 der Ausstieg aus der Sucht - nach viermonatiger stationärer Therapie. Seit gut zehn Jahren ist er nun bereits als Frontmann in der Suchtprävention aktiv und besucht Schulen, Vereine, Firmen, Kliniken und sogar Gefängnisse, um aufzuklären und zu helfen. Auch den Verein „Suchtprävention und Suchthilfe e.V.“ hat er gegründet.

Organisiert hatte den Abend der Grabenstätter Pfarrgemeinderat, dem die Gemeinde Grabenstätt als Veranstalter zur Seite stand. Als Kooperationspartner fungierte die AOK Bayern, vertreten unter anderem vom Bad Reichenhaller Direktionsleiter Mathias Förg. Der AOK liege die Gesundheit aller Menschen am Herzen und deswegen unterstütze man solche Veranstaltungen auch finanziell immer gerne, so Förg. Initiator Alfons Kritten aus Grabenstätt, der den Kontakt mit Uli Borowka hergestellt hatte und ihn gewinnen konnte, dankte allen, „die mich bei meiner Idee unterstützt haben“ und diese für die Besucher kostenlose Veranstaltung ermöglicht hätten. Ein besonderer Dank galt auch Sebastian Müller und Markus Göbl von der Caritas-Fachambulanz für Suchtkranke Traunstein, die froh waren ihre wichtige Arbeit in der Suchtprävention und Suchthilfe vor so einem großem Publikum vorstellen zu können. Müller zufolge habe man „Angebote für nahezu jede Form der Suchterkrankung“ und sei „eine Anlaufstelle für alle Formen der Abhängigkeit“. Im Vorjahr sei auch eine Gruppe für Menschen mit Essstörungen hinzugekommen. Die meisten Leute kämen zur Fachambulanz, weil ihnen ihre Angehörige richtig Druck gemacht hätten. Je früher man in einem Suchterkrankungsverlauf ansetze, desto besser sei es, so die Fachleute.

Mit 33 Jahren war Borowka das Leben nach eigenen Worten komplett entglitten. Seine Familie hatte ihn verlassen, er war als Ex-Fußball-Millionär pleite und sein Charakter hatte sich ihm zufolge „komplett ins Negative gedreht“. An einem vorläufigen Tiefpunkt angelangt, unternahm er sogar einen Selbstmordversuch, der aber zum Glück schiefging. Dabei profitierte er von seiner außergewöhnlichen körperlichen Konstitution. „Mein Körper konnte Alkohol und ähnliches ganz schnell abbauen“, so Borowka. Dies habe ihm auch erlaubt, „bis 2 oder 3 Uhr nachts zu saufen“ und dann am nächsten Morgen um 9 Uhr wieder topfit auf dem Trainingsplatz zu stehen. Seine Trainer, darunter Otto Rehhagel, hätten oft ein Auge zugedrückt, denn die Leistung habe immer gestimmt. Die Sucht erfolgreich zu bekämpfen gelang ihm am Ende nur mit Hilfe zweier Vertrauter von seinem Ex-Club Borussia Mönchengladbach, darunter sein früherer Teamkollege Christian Hochstätter. „Ohne die beiden wäre ich nicht in die Klinik gegangen und könnte heute nicht hier sitzen“, so Borowka. Ihm selbst sei bis zuletzt nicht bewusst gewesen, ein Alkoholproblem zu haben, auch weil seine Leberwerte immer top gewesen seien. Für ihn ist heute klar: „Jeder Tag, an dem ich trocken bin, ist wichtiger als jeder Titel, den ich gewonnen habe“. Auf die Frage eines Besuchers, ob er einen Rat habe für Menschen, die nach einer Therapie rückfällig geworden seien, meinte Borowka, dass in etwa 80 Prozent der Fälle Rückfälle passieren. Er selbst sei davon zum Glück verschont geblieben. Ganz wichtig sei, dass man diese Leute nicht alleine lasse und sie stetig dazu ermutige, einen neuen Versuch zu starten, auch mit professioneller Hilfe. Auf die Frage, wie man sich am besten verhalte, wenn man bei einem Mitmenschen ein Suchtproblem erkenne, riet er diesen, direkt darauf anzusprechen. Da müsse man „beharrlich dabei bleiben“, auch wenn es schwierig sei. Selbsthilfegruppen seien ebenfalls ein probates Mittel, so Borowka auf Nachfrage, auch wenn er für sich einen anderen Weg gewählt habe.

Der Neustart sei für ihn alles andere als leicht gewesen, so Borowka. So habe er damals als Jugendfußballtrainer arbeiten wollen, doch diverse Vereine hätten ihm wegen seiner Vorgeschichte abgesagt. Jeder Mensch habe eine zweite Chance verdient, doch gerade nach einer Suchterkrankung sei dies hierzulande schwierig, weil es viele Vorurteile gebe, meinte Borowka. Heute sieht er sich als erster Ansprechpartner für Suchtkranke und vermittelt diese an professionelle Stellen weiter. Er bekomme regelmäßig Nachrichten von Suchtkranken, darunter Leistungssportler, Journalisten, Handwerker, Soldaten und Juristen. Es betreffe alle gesellschaftliche Schichten und Berufsgruppen. „Die Pandemie hat hier wie ein Brandbeschleuniger gewirkt und einen Flächenbrand ausgelöst“, so Borowka. In seiner Heimatstadt Hannover gebe es jetzt 30 Prozent mehr Suchtkranke. Viele Menschen hätten sich in dieser schweren und in vielerlei Hinsicht belastenden Zeit irgendein Ventil gesucht.

Besonders am Herzen liegen dem dreifachen Familienvater und Frontmann in der Suchtprävention Kinder und Jugendliche. Bei ihnen sei die Handy-, Internet- und Spielsucht ein großes Problem und man müsse hier viel mehr in die Prävention gehen. „Ich habe das schon vor zehn Jahren gefordert“, so Borowka. Vielen Politikern und Entscheidungsträgern fehle leider das Verständnis für die Materie und oft auch jegliche Kenntnis. Er selbst habe schon als junger Profi bei Gladbach unter Versagens- und Existenzängsten gelitten. Dies öffentlich zuzugeben wäre aber unmöglich gewesen, denn „als härtester Verteidiger der Bundesliga durfte ich keine Gefühle zeigen“. In einer Leistungsgesellschaft müsse man funktionieren. Auf die Frage, was er von Gruppen für sogenannte „Co-Abhängige“ halte, meinte Borowka, dass „ein Suchtkranker in der Regel ein bis drei Leute in seinem Umfeld mit runterzieht“. Deswegen müsse es auch für Angehörige, Bekannte und Freunde Anlaufstellen und Beratung geben. Dass er seine Eltern über Jahre hinweg belogen und betrogen habe, tue ihm bis heute weh. Sein Vater habe ihn aber einst am Sterbebett „trocken“ gesehen und das habe ihm geholfen, seit 23 Jahren keinen Alkohol mehr angefasst zu haben, so Borowka.

Bericht und Bild vom örtlichen Presseberichterstatter Markus Müller.