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Grassauer Gemeindezeitung
Ausgabe 10/2024
Kunst und Kultur
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Beim Hefter

Unser Bild zeigt (von links) die Gewinnerin Annette Arend, die Drittplatzierte Ulrike Sabine Maier und die Zweitplatzierte Juliane Breinl.

Schauspieler Sebastian FIscher

Auch wenn die sechs Kurzgeschichten zum Thema „Im Fluss“, die von der fünfköpfigen Jury unter über 500 Einsendungen noch so spannend, schön, interessant und abwechslungsreich von Schauspieler Sebastian Fischer einfühlsam vorgelesen, fast schon vorgetragen wurden, kann es doch nur einen Gewinner des Literaturpreises „Grassauer Deichelbohrer“ geben: Annette Arend. Sie überzeugte mit ihrer Kurzgeschichte „Wasserbüffel“. Christine Paxmann, Jurymitglied, führte durch den Abend und hielt die Spannung bis zum Schluss aufrecht. So konnten sich das Publikum wie auch die Nominierten im Saal der Sawallisch-Villa selbst ein Urteil bilden und die schwierige Aufgabe der Jury, den Besten zu ermitteln, nachvollziehen.

Edle Klänge von „EasyBrass“

Mit den feinen, edlen Klängen des mehrfach ausgezeichneten jungen Bläserensembles „EasyBrass“, vier jungen Talenten der Musikschule Grassau, wurde der Abend mit der Europafanfare dem Anlass gebührend eröffnet. Es folgten weitere Musikstücke zwischen Reden und Lesung. Der Vorsitzende der Sawallisch-Stiftung und damit zugleich Hausherr, Andreas Hérm Baumgartner, hob als Gemeinsamkeit der Musiker wie Literaten die Erzählfähigkeit hervor und die Möglichkeit, Spotlight-artig Dinge beleuchten zu können. „Mögen sich die Erzählformate ändern, die Kraft des Erzählens wird bleiben“, sagte er.

Als Jury sei man guter Dinge gewesen, dass das Thema „Im Fluss“ viel Interpretationsspielraum liefere, habe jedoch nicht damit gerechnet, dass so viele unter den 500 eingesendeten Kurzgeschichten sich des Satzes „Alles im Fluss“ annahmen. Dann sei es wie mit den Botticelli-Engeln, die durch vielfältige Verwendung ebenso an Wumms verlieren. „Man kommt nicht in Fluss, wenn alles im Fluss ist“, sagte er. Dennoch sei es gelungen, aus den vielen Einsendungen sechs spannende, sehr unterschiedliche Geschichten aus verschiedenen Stilrichtungen zu nominieren.

Preis mit regionalem, historischem Bezug

Der Literaturpreis wird alle zwei Jahre von der Marktgemeinde Grassau ausgelobt. „Geschichten zu erzählen ist ein Grundbedürfnis der Menschen“, betonte Bürgermeister Stefan Kattari. Was ihn beunruhige, sei, dass in den letzten Jahren vermehrt Geschichten mit der politischen Absicht erzählt werden, Menschen zu täuschen und in die Irre zu führen. Nicht so sei das jedoch beim Literaturpreis „Deichelbohrer“. Kattari erklärte die Bedeutung des Deichelbohrers, einem Werkzeug, das früher notwendig war, um behutsam Baumstämme auszuhöhlen und Rohrleitungen für die Salzpipeline herzustellen. Dies verlangt Gespür und Ausdauer. Die älteste Pipeline führte durch die Gemeinde, macht im Museum Klaushäusl Station, um dann weiter nach Rosenheim zu führen. Mit diesem Preis zeige die Gemeinde ihr klares Bekenntnis zur Geschichte. Die Wahl des Ortes der Preisverleihung, die Villa Sawallisch, sei zudem ein Bekenntnis zur Kultur. Ohnehin sehe man sich als heimliche Kulturhauptstadt des Landkreises, so der Bürgermeister augenzwinkernd.

Moderne Sklaven am Urwaldfluss in Indien

Das gespannte Publikum hing förmlich an den Lippen von Erzähler Sebastian Fischer, als er die Gewinnergeschichte „Wasserbüffel“ vorlas. Wie moderne Sklaven werden die Mitarbeiter eines Callcenters an einem Urwald-Fluss in Indien ausgebeutet, nur der Fluss mit Wasserbüffeln scheint einen gefährlichen Ausweg aus der Hölle von sinnlosem Konsum und unmenschlichen Arbeitsbedingungen zu bieten. Die Geschichte gleicht einem modernen Märchen mit einem überraschenden und doch hoffnungsvollen Ende. Annette Arend aus Erlangen, derzeit in Ausbildung zur Psychotherapeutin, arbeitete ein Jahr lang an der Delhi-University. Das Bild der am Ganges badenden Wasserbüffel brachte sie aus dieser Zeit mit.

Nicht minder fesselnd war die Kurzgeschichte „Rehsumpf“ von der Zweitplatzierten Juliane Breinl, die sowohl in München wie auch in ihrem Farmhaus in Pennsylvania zuhause ist. Einfühlsam lässt die Kinder- und Jugendbuchautorin ihre Protagonistin Ulla über das Schwimmtraining im Flussbad Rehsumpf, über Denunziation in der ehemaligen DDR und aus der Zeit im Frauengefängnis Hoheneck berichten. Der Journalist aus dem Westen, der ihre Geschichte recherchiert, entdeckt plötzlich Parallelen zu seinem eigenen Leben.

Als sozial-kritische Geschichte kann man „Stadt ohne Fluss“ von der Drittplatzierten Ulrike Sabine Maier aus Darmstadt bezeichnen. Ihre Hauptfiguren sind ein sozial am Abgrund stehendes, noch relativ junges, verwahrlostes, aggressives und krankes Paar mit Schicksalsschlägen sowie Tanja, die Pflegerin des Sozialdienstes, die sich nach Harmonie und Liebe sehnt. Zwei Welten prallen schonungslos aufeinander, sehr einfühlsam, fesselnd und aufrüttelnd geschrieben.

Drei vierte Plätze

Drei vierte Plätze wurden an Heike Kuhn für die Geschichte „Büro 304“, an Henrietta Hartl für „Katzentanz“ und an Simon Bethge für „male fantasy, oder: alles kann, nussmix“ vergeben. Mit viel Applaus wurden die Preisträger vom Publikum gefeiert. Für die viele Arbeit, die mit dem Literaturpreis der engagierten Jury zukommt, dankte Bürgermeister Kattari explizit Christine Paxmann, Uta Grabmüller, Klaus Bovers und in Abwesenheit auch Janina Fellgiebel und Willi Schwenkmeier.

Der mit 1000 Euro für den Sieg, 500 Euro für den zweiten Platz und weiteren Geldpreisen für die weiteren Sieger dotierte Preis war zudem mit einem Aufenthalt im Gästehaus der Villa und Exkursionen verbunden.