Zahlreiche Kunstfreunde hatten sich in der Klosterkirche versammelt und die Gretchenfrage lautete: Lieben sie Brahms?
Doch nach dem Erlebnis des Spiels von Alexandra Netzold (Cello) und Brigitte Becker (Piano) konnte die Frage nur noch eine rhetorische sein. Viel Beifall und zwei Zugaben waren die klare Antwort.
Will man als Bergsteiger auf ‚den‘ Gipfel, so denkt man an den Mount Everest. Bei Cellisten sind es die beiden Brahms-Sonaten für Cello und Klavier, so Aloisia Sauer in ihrer Begrüßung. In der Tat hat Johannes Brahms hier zwei Referenzwerke dieser Gattung geschaffen, an denen kein ambitioniertes Duo vorbeikommt. Sowohl aus der 1. Sonate, op. 38 als auch aus der 24 Jahre später entstandenen zweiten, op. 99 erklangen je zwei Sätze.
Alexandra Netzold hat mit Rostropowitsch gearbeitet und gibt Meisterkurse, Brigitte Becker konzertiert im In- und Ausland. So konnte man die beiden Gipfelwerke genießen, ohne sich über technische oder interpretatorische Fragen Gedanken machen zu müssen. Auch das Ambiente und der Raumklang stimmten. Damit waren die Voraussetzungen ideal, sich ganz der Musik und ihrem inneren Wesen zu widmen.
Die erste Sonate schrieb Brahms nur zehn Jahre nach seiner unglücklichen Affäre mit Clara Schumann. Das Vorbild Beethoven ist präsent und dennoch hört man im elegischen e-Moll vom ersten Ton an den „echten“ Brahms: Den Hörer überwältigend, fällt er mit der Tür ins Haus und Melodien mit langem Atem beginnen zu strömen. Klavier und Cello befinden sich in perfekter klanglicher Balance, auch dann, wenn Netzold zupft und auch hier die Töne bis in den Abklang hinein gefühlvoll vibrieren lässt. Im Klavier sind es etwa Passagen, in denen die Bässe der linken Hand den Gesang des Streichinstruments leise unterwandern und für Gänsehaut-Effekte sorgen.
Nicht nur, dass die mehr als zwei Jahrzehnte später entstandene zweite Sonate in lichtem F-Dur steht, ist sie auch ein Muster an Konzentration und Klarheit. Ein Mehr an gezügelter Schönheit scheint unmöglich zu sein, Brahms hat hörbar seinen Mount Everest erreicht, auch wenn sich sein Auftraggeber Robert Hausmann eigentlich ein Konzert statt „nur“ einer Sonate erhofft hatte.
Zwischen den Sonatensätzen spielte das Duo Lieder aus deren Entstehungszeit, in der Konzertmitte und als Zugabe das zu Herzen gehende „Wiegenlied“.
Text: R. Autenrieth