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Hirschhorner Stadtanzeiger
Ausgabe 3/2023
Aus unserer Stadt
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Festvortrag „700 Jahre Langenthal“ von Dr. Marius Golgath - Teil 5

Die Gemeinde strebte um 1900 die Ansiedlung eines Industriebetriebs an. Die bereits erwähnte Gärtnersmühle wurde deshalb durch die Gemeinde erworben und 1904 an Carl Eduard Mayr verkauft. Er war ursprünglich Werkmeister in verschiedenen deutschen Papierfabriken und sammelte im Ausland Erfahrung. Er nutzte die Wasserkraft des Ulfenbachs für seine Maschinen und produzierte ab 1905 Buchbinderpappe sowie Filterpappe. Im Jahre 1922 erwarb er die bereits erwähnte Hartmannsmühle und übernahm damit die Wasserrechte.

Die Fabrik bot den Einwohnern von Langenthal und der Umgebung eine zusätzliche Einkommensquelle. In den Hochzeiten hatte die Pappenfabrik 80 Mitarbeiter. Bei einem Gespräch wurde mir berichtet, dass ein Teil der Belegschaft jeden Tag zu Fuß über den Wald aus Brombach zur Fabrik kam. Ab 1947 wurde auf die Herstellung von Karosseriepappe für die Automobilindustrie umgestellt, wodurch Tür-, Seitenwand und Kofferraumverkleidungen, Stirnwandabdichtungen und Hutablagen aus Pappe für Audi, Ford, Mercedes, Opel, NSU und Volvo in Langenthal hergestellt wurden.

Die Produktion ist heute eingestellt. Das Areal wird von Betrieben für Lagerräume, Büros und als Verkaufsräume genutzt.

Der Fremdenverkehr stellte eine weitere Einkommensquelle dar. Bereits 1841 gab es drei Schildwirtschaften. Ihre Namen sind nicht bekannt. Es ist überliefert, dass die ersten Fremdenzimmer 1902 durch das Gasthaus „Linde“ angeboten wurden. Das Bild stammt aus den 1930er-Jahren als Adolf Gärtner die Gastwirtschaft betrieb.

Damals reisten die ersten Urlaubsgäste mit dem Auto an. Später hatte die „Linde“ eine große Terrasse mit Blick auf das Oberdorf. Das Gasthaus „Zur Linde“ wurde etwa 2007/2008 geschlossen.

Die „Linde“ war Treffpunkt der Langenthaler Spinnstube. Sie wurde als Trachtengruppe um das Jahr 1900 durch den Hirschhorner Pfarrer Diehl gegründet, um die Tracht und alten Bräuche vor dem Vergessen zu bewahren. Dabei sollte das gesellige Beisammensein, das Erzählen und Singen beim Flachsspinnen wieder gepflegt werden.

Das Bild ist über 100 Jahre alt und zeigt die Spinnstube im Gastraum der „Linde“.

Dort befand sich eine Bühne, wo Vorführungen stattfanden. Auffällig sind die Trachten der Frauen und der typische Odenwälder Spitzhut, den der Herr mit Bart trägt. Die Spinnstube wurde bis etwa 1950 gepflegt und in den 1990er-Jahren anlässlich des Jubiläums der Hirschhorner Stadtrechte wiederbelebt. Die Mitglieder brachten sich bis in die 2000er-Jahre auch beim Feuerrad ein; heute existiert die Gruppe nicht mehr.