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Hirschhorner Stadtanzeiger
Ausgabe 46/2022
Aus unserer Stadt
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Rede Pfarrer Muth zum Volkstrauertag 2022

Die beiden Reden zu den wichtigen Feierlichkeiten zum diesjährigen Volkstrauertag, werden in dieser und der nächsten Woche, auch aufgrund der aktuellen politischen Lage, in voller Länge veröffentlicht. Nächste Woche wird die Rede von Stadtrat Harald Heiß abgedruckt, den Beginn macht aber die Ansprache inklusive Gebet von Pfarrer Alexander Muth:

„Liebe Langenthaler/Igelsbacher/Hirschhorner,

als ich im letzten Jahr hier die Andacht zum Volkstrauertag gehalten habe, erzählte ich von einem ehemaligen Arbeitskollegen, der Ortvorsteher in einem Dorf in Mittelhessen ist und der an diesen Andachten zum Volkstrauertag nicht mehr teilnimmt, weil er keinen Bezug dazu hat. Er sagte damals: „Ich bin 38, ich habe mit den beiden Weltkriegen nichts zu tun, da sollen die hingehen und was sagen, die sich noch daran erinnern können.“

So wie viele Menschen meiner Generation, die mit Krieg nie in Berührung gekommen sind. Ich habe ihm damals widersprochen, weil ich es wichtig finde, daran zu erinnern.

Heute nun, ein Jahr später, hat das Ganze einen traurigen aktuellen Bezug bekommen. Während wir im November letzten Jahres lediglich durch das Coronavirus bedroht waren, hat sich die Lage dieses Jahr dramatisch verschärft. Krieg direkt vor unserer Haustür. Eine Bedrohung für unser Vaterland, die es seit Jahrzehnten nicht mehr gegeben hat.

Und trotzdem scheint es für viele junge Menschen immer noch sehr weit weg zu sein. Die, die sich heute hier versammeln sind auch wieder die, die in der Nachkriegszeit aufgewachsen sind oder die den kalten Krieg miterlebt haben.

Ich weiß nicht ob es Gleichgültigkeit ist oder Gedankenlosigkeit, aber es erschreckt mich.

Es geht beim Volkstrauertag um das Erinnern und das Mahnen, damit sowas wie in den beiden Weltkriegen nie mehr vorkommt. Und im Moment sind wir scheinbar nicht weit davon entfernt.

Erinnern ist auch notwendig, um des vielfältigen Unrechts zu gedenken, das geschehen ist. Wie viele, die unschuldig Opfer des Nationalsozialismus geworden sind? Zum einen die etwa 6 Millionen Juden, die in den KZ’s „vernichtet“ worden sind, deren Leben ausgelöscht und die beseitigt wurden wie Abfall. Unrecht – das zum Himmel steigt.

Aber es sind ja auch noch andere gewesen, deren Leben ausgelöscht wurde – die politisch eine andere Meinung vertreten haben, die geschehenes Unrecht beim Namen genannt und angeprangert haben, Menschen, die sich nicht „gleichschalten“ ließen.

Warum kommen heute Flüchtlinge hierher. Unter anderem auch im Moment aus Russland?

Weil sie ihre Meinung nicht sagen dürfen. Weil sie das Unrecht das geschieht anprangern.

Aber nicht nur in Russland ist es gefährlich seine Meinung zu sagen. Das gilt ebenso für unseren großen Handelspartner China, um eine weitere Großmacht zu nennen.

Und in Deutschland ist das scheinbar vielfach egal. Der Profit zählt. Die Zahlen unterm Strich müssen stimmen.

Wir müssen aufwachen, aus dieser trügerischen Sicherheit. Nur weil es uns seit 70 Jahren gut geht, heißt das nicht, das es nicht auch schnell wieder anders werden kann.

In einem alten Kirchenlied heißt es:

„Wach auf, wach auf, du deutsches Land!

Du hast genug geschlafen.

Bedenk, was Gott an dich gewandt,

wozu er dich erschaffen.

Bedenk, was Gott dir hat gesandt

und dir vertraut sein höchstes Pfand,

drum magst du wohl aufwachen.“ EG 145

Da geht es um das Aufwachen, wider das Vergessen. Damit wir uns Besinnen auf Christus und sein Wort, dem wir alles zu verdanken haben.

Wir sind weit davon entfernt in einer friedlichen Welt zu leben. Wohin man sieht auf der Welt, überall Konflikte. Und in vielen Konflikten stecken wir sogar mit drin. Wir senden Friedenstruppen weg und bekommen doch auch immer wieder Särge nach Deutschland zurück. Und jeder Sarg ist einer zu viel.

Hinzu kommt, was in diesem Jahr wohl auch der Letzte hier begriffen hat: Dass unsere Bundeswehr nicht in der Lage wäre unser Land zu verteidigen, wenn Russland mit uns so verfahren würde, wie mit der Ukraine…

Weil man sie in eine Schmuddelecke geschoben hat und ihr die Mittel zusammengestrichen hat. Auf Kosten unserer Sicherheit.

Nach meiner Zeit bei der Militärseelsorge kann ich sagen: Niemand wird Soldat, weil er gerne Menschen töten will.

Jeder von den Jungs und Mädels ist froh, wenn er verteidigen muss und dabei seine Waffe nicht einsetzen muss. Damit nicht noch mehr Menschen an einem Tag wie gedacht werden muss.

Was dieses Jahr passiert ist, sollte uns Mahnung genug sein, unser Handeln zu überdenken.

Volkstrauertag – ein Tag der Mahnung. Er erinnert uns an unsere Verantwortung, die wir als Bürger Deutschlands, wie auch als Christen haben. Wir stehen in der „Nachfolge“ desjenigen, der gesagt hat: „Selig sind die, die Frieden stiften, denn sie werden Kinder Gottes heißen.“ (Matth.5,9) Das ist die Verantwortung, in der wir als Christen, als Nachfolger Jesu stehen. Möge Gott uns schenken, dass wir als Friedensstifter in dieser so friedlosen Welt wirken. Sowohl mit, als auch ohne Uniform. Der Volkstrauertag ist Mahnung an uns, alles zu tun, was dem Frieden dient.

Nehmen wir uns ein Beispiel an Gott. Er hat uns geschaffen. Wir sind seine geliebten Kinder. Das sagt er uns in der Taufe zu.

Dann lasst uns doch auch einander so behandeln, wie Gott uns behandelt. Als geliebte Geschwister. Frieden beginnt im Kleinen, muss seine Kreise ziehen auch in die Beziehungen von Völkern und Staaten hinein.“