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Hirschhorner Stadtanzeiger
Ausgabe 47/2022
Aus unserer Stadt
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Rede Stadtrat Harald Heiß zum Volkstrauertag 2022

Liebe Mitbürgerinnen, liebe Mitbürger, sehr geehrte Damen und Herren,

dieser Tag ist ein Tag der Trauer. Wir trauern um die Opfer von Gewalt und Krieg überall auf der Welt, um Frauen, Männer und Kinder, die ihr Leben verloren haben oder deren Leben der Krieg überschattet hat.

Wenn wir von Trauer sprechen, dann sprechen wir immer auch von dem, was der Trauer vorausgeht, vorausgehen muss: die Erinnerung. Dass wir uns erinnern, an Menschen, an ihre Namen, an Orte und an Ereignisse.

Und was wir hier und heute tun, nämlich als Bürgerinnen und Bürger dieses Landes der Toten zu gedenken, setzt noch mehr voraus: ein gemeinsames Gedächtnis zum Beispiel, einen Raum für Erinnerungen, die wir teilen, in Deutschland, in Europa; Namen, Orte und Ereignisse, die in ein solches gemeinsames Gedächtnis eingeschrieben sind.

Der Volkstrauertag, wie wir ihn heute kennen, wird in Deutschland seit dem Jahr 1952 begangen. An diesem nationalen Trauertag wird vor allem der Opfer des Ersten und Zweiten Weltkrieges gedacht. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf dem Gedenken an die zahlreichen Opfer, die das Nazi-Regime zu verantworten hat.

Seinen Ursprung hat der Volkstrauertag jedoch bereits in den 1920er-Jahren. Denn schon kurz nach Ende des Ersten Weltkrieges führte der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge den Volkstrauertag ein. Die damalige Intention: Ein Gedenken an die gefallenen Soldaten des Ersten Weltkrieges zu schaffen.

Der Deutsche Reichstag – noch in der Weimarer Republik – übernahm die Idee anlässlich einer feierlichen Gedenkstunde im Jahr 1922 zum ersten Mal. Vier Jahre später, im Jahr 1926, traf man die Entscheidung, den Volkstrauertag jährlich auf den fünften Sonntag vor Ostern zu legen. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Jahr 1933 wurde aus dem Volkstrauertag der „Heldengedenktag“.

Die Wahl des neuen Termins hat auch einen kirchlichen Hintergrund. Entsprechend dem Kirchenjahr werden an diesem Tag aus theologischer Perspektive Aspekte wie Tod, Zeit und Ewigkeit thematisiert.

Implementiert wurde die finale Terminverlegung jedoch erst ab dem Jahr 1952. 1950 und 1951 fand der staatliche Trauertag noch am 5. März sowie am 18. Februar statt.

Obwohl der Volkstrauertag ein staatlicher Gedenktag ist, hat er in keinem Bundesland den Status eines gesetzlichen Feiertages. Er wird in den Verfassungen der Bundesländer als sogenannter „stiller Tag“ oftmals nur als zu schützender Tag genannt. Auch die Inhalte des Trauertages erwähnen die Länderverfassungen nur selten. Ausnahmen stellen dabei nur Hessen und Hamburg dar.

Lassen Sie mich wieder zum Erinnern zurückkehren:

Erinnern wir uns noch an den Überfall der deutschen Wehrmacht in die Sowjetunion?

Erinnern wir uns noch an den Vormarsch der deutschen Wehrmacht durch Polen, das Baltikum und Belarus, durch die Ukraine nach Russland und tief in den Kaukasus?

Erinnern wir uns noch an die vielen Orte deutscher Verbrechen im früheren Jugoslawien und Griechenland, die ebenfalls von der Wehrmacht überfallen wurden?

Unser Gedächtnis aber scheut, wenn es Auskunft über Krieg und Verbrechen im Osten und Südosten Europas geben soll.

Es versagt vor den Verbrechen an Zivilisten, Zwangsarbeitern und sowjetischen Kriegsgefangenen, von denen schon in den ersten Monaten nach dem Überfall Hunderttausende ums Leben kamen: verhungert, erschlagen, erschossen.

Es versagt vor den ungezählten Massenverbrechen unter dem Vorwand der Partisanenbekämpfung im damaligen Jugoslawien, in Griechenland und auf Kreta, vor Zehntausenden Zivilisten, die deutschen Erschießungskommandos zum Opfer fielen.

Mit dem Volkstrauertag betrauern wir jedes Jahr die Gefallenen deutschen Soldaten und alle Opfer der beiden Weltkriege. Zusammengenommen waren es mindestens 64 Millionen Tote auf allen Seiten. Und etwa 2/3 davon also über 40 Millionen waren Zivilisten.

Unser Gedächtnis weiß wenig, oft nichts, über Orte, wo zwischen 1942 und 1944 Zehntausende jüdische Familien ermordet wurden. Ein Name, Auschwitz, ist zum Inbegriff des millionenfachen Mordes an den europäischen Juden geworden.

Doch: Wenn wir uns erinnern wollen, müssen wir auch wissen, was diese Orte mit der Gegenwart verbindet. Denn ich bin überzeugt: Wenn wir verstehen, dass und wie diese Vergangenheit unsere Gegenwart prägt, dann werden wir uns auch für die verdrängten Kapitel der Geschichte stärker interessieren. Wir werden begreifen, was der israelische Historiker Omer Bartov so beeindruckend gut erklärt, „dass wir alle Glieder einer zerbrechlichen und doch erstaunlich haltbaren Kette von Generationen, Schicksalen und Kämpfen sind, in der sich die historischen Ereignisse unablässig entfalten".

Wir erinnern an die 53 deutschen Bundeswehrsoldaten, die in Afghanistan gefallen sind. In einem Einsatz, über dem in der Bevölkerung geteilte Meinung herrscht.

Zur Zeit ist die Bundeswehr mit ca. 3.500 Soldatinnen und Soldaten in 13 Einsätzen auf 3 Kontinenten im Einsatz. Bei diesen Einsätzen sind bisher 63 Todesfälle zu beklagen.

Mittlerweile werden Sie kaum mehr einen Zeitsoldaten finden, der noch nie im Einsatz war. Wir sprechen hier von mehr als 160.000 Männern und Frauen. Und betroffen sind ja nicht nur die Soldaten selbst, sondern auch die Familien die zuhause um sie bangen.

Hätte ich diese Rede vor 2013 gehalten, hätte ich noch sagen können:

Seit Ende des Zweiten Weltkrieges gab es insgesamt nur 3 Kriege und bewaffnete Konflikte, die auf europäischem Boden ausgetragen wurden.

Der griechische Bürgerkrieg (1946-1949), der nordirische Bürgerkrieg (1969-1997) und die Jugoslawienkriege (1991-2001). 3 Kriege in über 70 Jahren im Vergleich zu 12 Kriegen in einem Jahr, dem Jahr 1919.

Doch seit dem Jahr 2014 ist alles anders. Im März 2014 wurde die Krim von Russland einverleibt. Ebenfalls im März 2014 begann der Krieg in der Ostukraine. Durch die 2015 von Deutschland und Frankreich vermittelte Vereinbarung Minsk II sollte die Ostukraine befriedet werden. Dies gelang aber tatsächlich nicht.

Im Februar 2022 begann Putin mit der „Spezialoperation“ einen sinnlosen Angriffskrieg gegen die Ukraine.

In diesen 9 Monaten geht man von über 12.000 ukrainischen Soldaten und 6.500 getötete ukrainischen Zivilisten aus.

Bei den russischen Toten gibt es keine genauen Zahlen.

Gerade in Zeiten, wo Krieg in Europa ist, sicher geglaubte Bündnisse in Europa zerbrechen, wo Menschen immer mehr auf den eigenen Vorteil bedacht sind anstatt die eigenen Bedürfnisse für ein höheres Ziel unterzuordnen brauchen wir einen Gedenktag wie den Volkstrauertag.

Einen Tag, an dem wir uns mahnend erinnern, an dem wir der Opfer aller Nationen gedenken und an dem wir den Betroffenen zeigen – ihr seid nicht alleine.

Dies ist keine Aufgabe von Regierungen und Entscheidungsträgern, dies ist die Aufgabe eines jeden Einzelnen. Denn die fünf große Feinde des Friedens wohnen in jedem von uns: „Habgier, Ehrgeiz, Neid, Wut und Stolz.“

Wenn diese Feinde vertrieben werden könnten, würden wir zweifellos ewigen Frieden genießen.

Deshalb gilt unser Gedenken den Opfern, unser Mitgefühl den Betroffenen und unsere Verpflichtung dem Frieden!