Am Donnerstag, 8. Mai 2025, wurde bei der Stadtratssitzzung an das Ende des Zweiten Weltkriegs und der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Europa vor 80 Jahren erinnert.
Am 8. Mai 1945 kapitulierte die deutsche Wehrmacht bedingungslos – nach 2.077 Kriegstagen und mehr als 50 Millionen Toten. Im offiziellen Gedenken steht der 8. Mai für die Auseinandersetzung mit der Zeit des Nationalsozialismus, dem Zweiten Weltkrieg und der Nachkriegszeit.
Der 8. Mai 1945 war das Ende der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, das Ende von Bombennächten und Todesmärschen, das Ende beispielloser deutscher Verbrechen und des Zivilisationsbruches der Shoah, der systematischen Vernichtung der Juden. Daran wollen wir heute erinnern – mit mehreren Gedenkveranstaltungen zu den Ereignissen in Ebern zum Kriegsende haben wir das bereits im Vorfeld getan.
In Ebern war wenig vom Krieg mitzubekommen. Zwar gab es Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter und Rüstungsproduktion und die Herrschaft der Nationalsozialisten auch in Ebern. Der Krieg war erst in den letzten Monaten vor Kriegsende in Ebern mit dem Einmarsch der Amerikaner am 11. April auch spürbar. Fliegerangriffe, Einzelschicksale, Erschießung von Deutschen Soldaten.
Wir wollen erinnern an die Menschen aus allen Teilen Europas, die unter deutscher Besatzung gelitten haben und dennoch zur Versöhnung bereit waren. Gemeinsam mit den Überlebenden deutscher Verbrechen und den Nachfahren der Opfer, von denen so viele uns die Hand ausgestreckt haben.
Diese Erfahrung durfte ich letztes Jahr in der Normandie machen zu den Feierlichkeiten 80 Jahre Kriegsende in der Normandie. Ich durfte als Deutscher eine Rede auf der Gedenkfeier der Alliierten halten.
Erinnern wollen wir auch an Hunger, Flucht, Gewalt, Vertreibung, die Deutschland über Europa und die Welt gebracht hatte.
Am 8. Mai 1945 waren die Deutschen allein. Deutschland war militärisch besiegt, politisch und wirtschaftlich am Boden, moralisch zerrüttet. Wir hatten uns die ganze Welt zum Feind gemacht.
Heute, 80 Jahre später, sind wir nicht allein! Wir leben in einer starken, gefestigten Demokratie, im fünfunddreißigsten Jahr des wiedervereinten Deutschlands, im Herzen eines friedlichen und vereinten Europa. 80 Jahre kein Krieg, Europa als Friedensprojekt. Wir genießen Vertrauen und wir ernten die Früchte von Zusammenarbeit und Partnerschaft rund um die Welt. Ja, wir Deutsche dürfen heute sagen: Der Tag der Befreiung ist ein Tag der Dankbarkeit!
Drei Generationen hat es gedauert, bis wir uns dazu aus vollem Herzen bekennen konnten. Ja, der 8. Mai 1945 war ein Tag der Befreiung. Aber es war noch lange nicht in den Köpfen und Herzen der Menschen.
Die Befreiung war 1945 von außen gekommen. Sie musste von außen kommen – so tief war dieses Land verstrickt in sein eigenes Unheil, in seine Schuld. Und auch wirtschaftlicher Wiederaufbau und demokratischer Neubeginn im Westteil Deutschlands wurden nur möglich durch die Großzügigkeit, Weitsicht und Versöhnungsbereitschaft unserer ehemaligen Kriegsgegner.
Nur weil wir Deutsche unserer Geschichte ins Auge sehen, weil wir die historische Verantwortung annehmen, nur deshalb haben die Völker der Welt unserem Land neues Vertrauen geschenkt.
Die deutsche Geschichte ist eine gebrochene Geschichte – mit der Verantwortung für millionenfachen Mord und millionenfaches Leid. Das bricht uns das Herz bis heute.
Wer das nicht erträgt, wer einen Schlussstrich fordert, der verdrängt nicht nur die Katastrophe von Krieg und NS-Diktatur. Der entwertet auch all das Gute, das wir seither errungen haben – der verleugnet sogar den Wesenskern unserer Demokratie.
Die Würde des Menschen ist unantastbar. In diesem ersten Satz unserer Verfassung ist und bleibt für alle sichtbar eingeschrieben, was in Auschwitz, was in Krieg und Diktatur geschehen ist. Nein, nicht das Erinnern ist eine Last – das Nichterinnern wird zur Last. Nicht das Bekenntnis zur Verantwortung ist eine Schande – das Leugnen ist eine Schande!
Doch was bedeutet unsere historische Verantwortung heute, 80 Jahre später? Die Dankbarkeit, die wir heute spüren, die darf uns nicht bequem machen. Im Gegenteil: Die Erinnerung fordert und verpflichtet uns!
Nie wieder! – das haben wir uns nach dem Krieg geschworen. Doch dieses Nie wieder!, es bedeutet für uns Deutsche vor allem: Nie wieder allein! Und dieser Satz gilt nirgendwo so sehr wie in Europa. Wir müssen Europa zusammenhalten. Wir müssen als Europäer denken, fühlen und handeln. Wenn Europa scheitert, scheitert auch das Nie wieder!!
Die Weltgemeinschaft hat aus dem Nie wieder! gelernt. Sie hat nach 1945 die Lehren aus der Katastrophe in ein gemeinsames Fundament gegossen, in Menschenrechte und Völkerrecht, in Regeln für Frieden und Zusammenarbeit.
Bis Putin dies aufgekündigt hat, mit dem Angriff auf die Ukraine und Trump in den USA die Weltordnung sich gestaltet, wie er möchte. Hier gilt es wachsam zu sein und in Europa zusammenzuhalten.
Unser Land, von dem so viel Unheil ausgegangen war, ist über die Jahre vom Gefährder dieser internationalen Ordnung zu ihrem Förderer geworden. Wir dürfen nicht zulassen, dass diese Friedensordnung heute vor unseren Augen zerrinnt. Wir wollen mehr und nicht weniger Zusammenarbeit auf der Welt.
Auch Menschen bei uns aus der Region und bei uns in Ebern waren beteiligt und haben mitgemacht.
Heute muss sich der Tag der Befreiung auch an unsere Zukunft richten. Befreiung ist nämlich niemals abgeschlossen, und sie ist nichts, was wir nur passiv erfahren, sondern sie fordert uns aktiv, jeden Tag aufs Neue. Damals wurden wir befreit. Heute müssen wir uns selbst befreien!
Befreien von der Versuchung eines neuen Nationalismus. Von der Faszination des Autoritären. Von Misstrauen, Abschottung und Feindseligkeit zwischen den Nationen. Von Hass und Hetze, von Fremdenfeindlichkeit und Demokratieverachtung – denn sie sind doch nichts anderes als die alten bösen Geister in neuem Gewand. Wir denken an diesem 8. Mai auch an die Opfer von Hanau, von Halle und von Kassel, die Opfer von rechtsradikalem Terror.
Gedenken wir heute gemeinsam der Opfer des Krieges und des Nationalsozialismus! Bedenken wir, was die Befreiung, was der 8. Mai für unser Leben und Ihr Handeln bedeutet! Handeln wir danach. Nie wieder Krieg und Faschismus.
80 Jahre nach Kriegsende dürfen wir Deutsche für vieles dankbar sein. Aber nichts von all dem Guten, das seither gewachsen ist, ist auf ewig gesichert.
Deshalb auch in diesem Sinn: Der 8. Mai war nicht das Ende der Befreiung – Freiheit und Demokratie sind vielmehr sein bleibender Auftrag, unser Auftrag!
Text: Jürgen Hennemann