Michel Lefèvre in der Mitte zwischen Bürgermeister Jacques Prigent aus Trun (links) und Bürgermeister Jürgen Hennemann aus Ebern in Tournai-sur-Dives vor der für die Heldentat aufgestellten Tafel: „Zwei stille Helden“
Er gab mit seinen Nachforschungen und mit seinem Elan den Anstoß für die Städtepartnerschaft zwischen Ebern und Trun in der Normandie. Nun ist Michel Lefèvre im Alter von 91 Jahren gestorben.
2011 standen plötzlich unerwartete Besucher im Dienstzimmer des Eberner Bürgermeisters Robert Herrmann: Der pensionierte Tierarzt und Heimatforscher Michel Lefèvre suchte das Grab von Dr. Wilhelm Baumann, um darauf ein Säckchen Erde aus der Normandie zu verstreuen. Dies war als Geste der Dankbarkeit gedacht, hatte Dr. Baumann doch als Offizier der Wehrmacht geholfen, weiteres Blutvergießen beim Rückzug der Deutschen im August 1944 zu verhindern. Im Juni 1944 waren die alliierten Truppen an der Küste der Normandie gelandet, um vereint die deutschen Besatzer zurückzudrängen. Im August befanden sich die deutschen Kräfte auf dem Rückzug. Die Soldaten aus Frankreich, England, USA, Kanada und Polen versuchten, ihnen in der Nähe von Trun/Argentan den Weg abzuschneiden. Major Baumann saß mit weiteren Soldaten in Tournai-sur-Dives fest, im sogenannten Kessel von Falaise. Diese Rückzugsroute wird auch als „Korridor des Todes“ bezeichnet, da Tausende Soldaten in den Bombardements ihr Leben ließen. Aber auch die einheimische Zivilbevölkerung litt unter den Kämpfen und den Zerstörungen.
Dem Pfarrer von Tournai-sur-Dives, Abbé Launay, gelang es, am Kirchturm eine weiße Fahne zu hissen. Major Baumann, der ranghöchste Offizier am Ort, ließ nicht nur das zu, sondern stellte dem Abbé auch ein gepanzertes Fahrzeug zur Verfügung, so dass dieser zu den alliierten Truppen fahren konnte, um zu erklären, dass die in Tournai liegenden Deutschen sich ergeben würden. „So endete der Krieg in der Normandie am 21. August 1944 um die Mittagszeit mit einem Gespräch ohne Waffen“, steht auf der Erinnerungstafel in Tournai-sur-Dives. Dr. Baumann und Abbé Launay hatten viele Soldaten und französische Zivilisten vor dem Tod bewahrt. Das Geschehen der Kriegstage kann heute noch eindrucksvoll in der Gedenkstätte Mont Ormel nachverfolgt werden. Hier wurden die schrecklichen Seiten des Krieges und die verlustreiche Schlacht der Alliierten gegen die deutsche Armee der Nationalsozialisten dargestellt. In Ebern hatte Dr. Baumann Zeit seines Lebens nicht von den Ereignissen in Tournai-sur-Dives berichtet. In der Normandie war sein Name in Vergessenheit geraten. Man sprach immer von einem deutschen Offizier, der dem Pfarrer geholfen hatte, die weiße Fahne auf dem Kirchturm zu belassen und ein gepanzertes Fahrzeug zur Verfügung stellte, um zu den Alliierten fahren zu können.
Michel Lefèvre hatte alles in Bewegung gesetzt, viele Gespräche mit Zeitzeugen geführt, mit Pfarrer Abbé Launay gesprochen, um den Namen des deutschen Offiziers zu erfahren. Er hat außerdem herausbekommen, woher Major Baumann kam (aus Hammelburg) und wohin er nach Krieg und Gefangenschaft ging: Nach Ebern, wo er im Kreiskrankenhaus arbeitete und eine Allgemeinarztpraxis betrieb. Lefèvre war wichtig, Dr. Baumann postum zu ehren für seine Heldentat. Deshalb kam er 2011 nach Ebern. Er begeisterte die Rotarier von Camembert, gründete den Verein Spiegel der Seelen, der sich mit der Forschung zum Verhalten von mutigen Menschen im Kriegsgeschehen und für den Frieden und die Völkerverständigung einsetzt. Der Verein Spiegel der Seelen veranstaltete unter der Leitung von Michel Lefèvre mehrere Friedensmärsche auf der Rückzugsroute der eingekesselten deutschen Armee.
Michel Lefèvre trug weitere Geschichten der Menschlichkeit im grausamen Krieg zusammen und publizierte sie in einem Buch „Schweigende Helden“, das 2014 erschien. Er arbeitete bis ins hohe Alter unermüdlich an weiteren Publikationen und brachte 2016 das Buch „Korridor des Todes 1939 -1945“ heraus, in dem er weitere Episoden veröffentlichte. Michel Lefèvre wünschte sich eine Partnerschaft zwischen den ehemaligen Kriegsparteien. Seine Vision war der Aufbau einer Friedensschule für die Jugend, um Kriege und Auseinandersetzungen künftig zu vermeiden und den Frieden zu sichern.
Dieser gemeinsame historische Berührungspunkt zwischen Ebern und der Region um Trun, den Michel Lefèvre ans Licht gebracht hatte, und seine unermüdliche Arbeit dafür, die politisch Verantwortlichen zusammenzubringen, legte den Grundstein für die Städtepartnerschaft und Freundschaft zwischen Ebern und Trun. Inzwischen steht das Eberner Gymnasium im Schüleraustausch mit dem Collège in Trun. „Die vielen Begegnungen und Gespräche machten uns zu Freunden“, sagt Bürgermeister Jürgen Hennemann. Michel Lefèvre habe zu ihm immer „Kamerad“ („comrade“) gesagt und das auch von Herzen gemeint. Wenige Wochen vor seinem Tod hatte Hennemann Michel Levèvre noch einmal im Altenheim besuchen können. Er war vom Alter gezeichnet, erkannte aber den Besuch und sagte mehrmals auf Deutsch: „Wir hatten viele schöne Momente“.
Ein Teil des Wunsches von Michel Lefèvre ist bereits Wirklichkeit geworden. Die beiden Bürgermeister von Trun und Ebern, Jacques Prigent und Jürgen Hennemann, sind sich einig, dass aus der Partnerschaft noch mehr erwachsen sollte – sie soll auch in der Zukunft Bestand haben. „Nur durch das Zusammenbringen von Menschen mit Menschen kann man eine Partnerschaft am Leben erhalten. Daher ist es wichtig, Ratsmitglieder und Vereinsvertreter miteinander bekannt zu machen“, formuliert Jürgen Hennemann die Zielsetzung der Austausche. Trotz der weiten Strecke und der Sprachbarriere könne die Begegnung von Mensch zu Mensch das gegenseitige Verständnis und die Idee des geeinten Europa fördern. Das soll mit Spaß und Freude geschehen. Deshalb wird gerade versucht, eine kleine Gruppe zu organisieren, die im September zum Truner Zwiebelmarkt fährt, um dort mit Bratwurst, Bier und Kirchweih-Musik einen Eindruck fränkischer Tradition und Lebensart zu vermitteln.
Jacques Prigent machte beim Treffen Anfang Juni klar, dass es viele Städte-Partnerschaften zwischen Deutschland und Frankreich gebe, diese aber mit Leben und vor allem einem Blick und Vision in die Zukunft ausgestattet sein müssten. Deswegen war man sich einig, die von Michel Lefèvre aufgebrachte Idee der „Friedensschule“ zu verfolgen. Dabei gehe es um Menschlichkeit in allen Situationen, Konfliktlösung, aber auch darum, Gemeinschaftserlebnisse zu schaffen, umreißt es Jürgen Hennemann. „Wir haben Militärschulen, Ecoles de la Guerre, also Kriegsschulen“, sagt Truns Bürgermeister Jacques Prigent. „Aber wo lernen und lehren wir Frieden?“ - „Diese Vision gab Michel Lefèvre vor, er legte die Basis – an uns ist es, sein Lebenswerk fortzusetzen“, sagt Hennemann. Das habe er Michel Lefèvre beim letzten Besuch versprochen.
Jürgen Hennemann, Stadt Ebern