Noch am 3. April 1945, nur wenige Wochen vor Kriegsende, hatte Heinrich Himmler, Reichsführer der SS, den Befehl erteilt: "Im jetzigen Zeitpunkt des Krieges kommt es allein auf den sturen, unnachgiebigen Willen an, durchzuhalten." Die Kreisleitung in Ebern versuchte, diesen Befehl umzusetzen, indem sie Panzersperren errichten ließ, die Volkswehr bewaffnete und Brücken sprengte - trotz der unmittelbaren Nähe der amerikanischen Truppen.
Der Volkssturm baute die Panzersperren aus dicken Baumstämmen, die in den Boden gerammt und durch Querhölzer verstärkt wurden. Diese Sperren waren jedoch kein ernsthaftes Hindernis für Panzer: Mit wenigen Schüssen aus den Panzerkanonen wurden sie mühelos zerstört. Bei den amerikanischen Soldaten wurden diese Sperren als "One-Sixty" bezeichnet: in einer Sekunde zerstört, und 60 Sekunden darüber gelacht. Wichtiger als die tatsächliche Effektivität der Panzersperren war allerdings das Signal, das von ihnen ausging: Sie demonstrierten, dass in dieser Stadt Menschen bereit waren, sich zu verteidigen.
Der Gauleiter von "Mainfranken", Otto Hellmuth, seine Vertreter und einige Parteigenossen hatten inzwischen im Itzgrund das Weite gesucht. So saß der Gauleiter bereits mit Freunden, deren Familien und fragwürdigen Damen im Schloss in Untermerzbach. Sie versuchten, den Keller leer zu trinken, wie man an den Bergen von Flaschen nach ihrem Abzug sehen konnte. Als Gauleiter hatte Hellmuth eine bedeutende Rolle in der nationalsozialistischen Hierarchie gespielt. Hellmuth war bekannt für seine strikte und brutale Durchsetzung der Parteipolitik. Aber nun befand er sich mit seiner Familie im abgelegenen, noch friedlichen Itzgrund, wie er hoffte, und beschäftigte sich mit dem Gedanken, wohin man am besten fliehen solle. In Ebern saßen noch immer eifrige, überzeugte Nationalsozialisten im Keller des Gasthauses "Hirschen", die gegen alle vorgingen, die das Dritte Reich nicht mehr verteidigen wollten. Die sinnlose Hinrichtung von vier Soldaten am 5. April in der Nähe des Gefängnisses führte vor Augen, dass in der Stadt noch immer mächtige Befehlshaber aktiv waren, die die Zeichen der Zeit nicht erkennen wollten und auch vor brutalsten Maßnahmen nicht zurückschreckten.
Es war ein verzweifelter Akt der Frauen, als sie sich am 9. April in einem Protestmarsch zusammenfanden. Dieser war lang: So viele Frauen hatten sich ihm angeschlossen, dass sich der Zug von der Kanzleitür im ersten Stock des Rathauses über die Treppe hinab bis zum Gasthof "Grüner Baum" erstreckte. Die Frauen hatten den Mut, die Beseitigung der Panzersperren und eine friedliche Übergabe der Stadt zu fordern - trotz der Gefahr, schwerster Anklagen ausgesetzt zu werden. Man muss bedenken, dass öffentlicher Protest in der NS-Zeit praktisch nicht vorkam. Von Frauen war dies umso weniger zu erwarten, da sie im politischen Leben des Dritten Reiches nicht vertreten waren und ihre Stimmen ungehört blieben. Auch in diesem Fall wurden ihre Forderungen nicht erfüllt: Die Panzersperren blieben bestehen. Dennoch war es schon einmal ein Erfolg, dass die Frauen weder verhaftet noch anderen Sanktionen ausgesetzt wurden.
Woher kam der Mut der Frauen? Der Krieg hatte viele Frauen dazu gezwungen, neue Rollen zu übernehmen. Weil die Männer in die Wehrmacht eingezogen worden waren, lag das Überleben der Familie nun allein in ihren Händen. Sie hatten Eigenständigkeit erlangt und bewiesen, dass sie Verantwortung tragen konnten. Entscheidend war jedoch der immense Verlust, den sie erlitten hatten: Viele Söhne, Ehemänner, Brüder und Väter waren im Krieg gefallen. Angesichts eines offensichtlich verlorenen Krieges war der stärkste Antrieb der Frauen der Wunsch, weiteres sinnloses Sterben zu verhindern. Dass diese Einsicht noch nicht bei allen angekommen war, zeigt die Sprengung mehrerer Brücken, mit denen man am 10. April versuchte, die Amerikaner aufzuhalten - so berichtet E. Kiesewetter in seinem Bericht über das Kriegsende. Unter anderem wurde die Baunachbrücke bei Sandhof gesprengt, ebenso das Brückchen in Treinfeld, wobei die Detonation so stark war, dass die Ziegel von der Mühle flogen.
Dies verdeutlicht, dass der Volkssturm weiterhin nach den Befehlen der NSDAP-Spitzen und der Kreisleitung handelte, die sich im Keller des Gasthofes "Hirschen" aufhielten. Einige Mitglieder der Kreisleitung hatten ihre Uniformen bereits gegen Zivilkleidung getauscht, während andere nach wie vor fest entschlossen waren, nicht aufzugeben, woran sie so lange geglaubt hatten. Ob es die Initiative der Frauen war, die in der Nacht zum 11. April dazu führte, dass fünf Panzersperren zersägt wurden? Die Geschichten dazu gehen auseinander. Karl Hoch, ein ehemaliger Schulrat, erklärte später, dass er als Erster den entscheidenden Impuls dafür gegeben habe; in anderen Erinnerungen waren es hingegen die Frauen. E. Kiesewetter hält fest, dass rund 200 Frauen und einige Männer in dieser Nacht die Sperren zersägt und damit den ungehinderten Einzug der Amerikaner in die Stadt ermöglicht hätten.
Am darauffolgenden Tag, nach zwei Tagen des Wartens, rollten die Amerikaner schließlich heran. 60 bis 80 Frauen warteten mit weißen Fahnen im Norden der Stadt bei der Papiermühle und verhinderten - gemeinsam mit Pfarrer Schnorr und Bürgermeister J. Wappes - jeglichen deutschen Widerstand. Interessanterweise werden in vielen Erzählungen lediglich die beiden Männer genannt. Unbestritten bleibt jedoch der Mut der Eberner Frauen, die sich gegen die letzten NSDAP-Anhänger und die Kreisleitung durchsetzten und eine friedliche Übergabe der Stadt nahezu ohne Blutvergießen ermöglichten.
Text: Christiane Tangermann