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Amtliches Mitteilungsblatt der Gemeinde Rödelsee
Ausgabe 10/2025
Aus dem Gemeinderat
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Aus dem Gemeinderat

Anlage zur Niederschrift

Vortrag in der Gemeinderatssitzung am 14.10.2025 betreffend

Bebauungsplan „Am Schwanberg“, Bauantrag des Herrn ….

Rechtliche Prüfung, ob für den Bauantrag des Herrn …. vom 27.09.2024 eine Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans hinsichtlich der Anzahl der Wohneinheiten zulässig ist

1. Der Bauherr hat am 27.09.2024 einen Bauantrag für den Neubau eines Wohnhauses mit 3 Wohneinheiten auf dem Grundstück Am Schwanberg 63 gestellt.

Im Bebauungsplan „Am Schwanberg“ ist die Anzahl der Wohneinheiten beschränkt auf 2 pro Gebäude für Einzel- und Doppelhausbebauung.

Der Bauherr hat daher eine Befreiung von dieser Festsetzung des Bebauungsplans beantragt.

In der Gemeinderatssitzung vom 08.04.2025 wurde das gemeindliche Einvernehmen zu dieser Befreiung nicht erteilt, da die Befreiung nicht dem Planungsziel des Baugebiets entspreche.

Der Bauherr hat mit Schreiben des Rechtsanwalt Galka vom 08.07.2025 wegen der Ablehnung der Befreiung Schadensersatzansprüche in Höhe von 29.962 € angekündigt, da ihm mit Beschluß des Gemeinderats vom 04.04.2023 und Schreiben der Gemeinde Rödelsee vom 15.04.2024 das Einverständnis zu seiner Bauvoranfrage in Aussicht gestellt worden ist.

2. Gemäß § 31 Abs. 2 BauGB kann von den Festsetzungen des Bebauungsplans befreit werden, wenn die Grundzüge der Planung nicht berührt werden und die weiteren Voraussetzungen des § 31 Abs. Abs. 2 BauGB vorliegen.

a) Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Würzburg kann die Festsetzung der höchstzulässigen Anzahl von Wohneinheiten einen Grundzug der Planung darstellen. Was zum planerischen Grundkonzept zählt, beurteilt sich nach dem im Bebauungsplan zum Ausdruck kommenden Planungswillen der Gemeinde, vgl. VG Würzburg, Urteil v. 19.01.2023 - W 5 K 22.361.

Ein Bebauungsplan ist gemäß §§ 2a, 10 Abs. 1 BauGB mit einer Begründung zu versehen und zu veröffentlichen. In der Begründung zum Bebauungsplan „Am Schwanberg“ vom 21.04.2022 ist unter G. 18 Wohneinheiten geregelt:

„Die Anzahl der Wohneinheiten ist auf 2 Stück pro Grundstück für Einzel- und Doppelhausbebauung beschränkt. Für Hausgruppen liegt die Beschränkung auf 8 Wohneinheiten pro Grundstück.“

Die Begründung des Bebauungsplans entspricht insoweit lediglich der Festsetzung im Bebauungsplan, ohne zu begründen, aus welchen Gründen diese Festsetzung erfolgt ist. Aus der Begründung des Bebauungsplans lässt sich daher nicht klären, ob es sich bei der Festsetzung von maximal 2 Wohneinheiten lediglich um einen Bestandteil der Planung oder um einen Grundzug der Planung handelt.

Mit Beschluß vom 14.01.2025 wurde diese Festsetzung der zulässigen Wohneinheiten im Bebauungsplan wir folgt geändert:

„Sind beschränkt auf 2 pro Gebäude für Einzel- und Doppelhausbebauung.“

Zur Begründung ergibt sich aus dem Protokoll der Gemeinderatssitzung vom 06.02.2024:

„Die im ursprünglichen Bebauungsplan unrichtige Definition, wonach 2 Wohneinheiten pro Grundstück zulässig seien, wird - weil sachlich unrichtig - korrigiert. Es sind maximal 2 Wohneinheiten pro Gebäude zulässig.“

Auch aus dieser Änderung lässt sich nicht klären, ob es sich bei der Festsetzung der zulässigen Anzahl der Wohneinheiten um einen Grundzug der Planung handelt, da nicht jede Festsetzung im Bebauungsplan als Grundzug der Planung angesehen werden kann und die vorgenannte Änderung nur wegen einer vermeintlich sachlich unrichtigen Definition erfolgte.

Ich habe daher beim Ingenieurbüro Röschert, das den Entwurf des Bebauungsplans und die Begründung zum Bebauungsplan erstellt hat, angefragt, ob es sich bei der Festlegung der Anzahl der Wohneinheiten auf 2 Stück pro Grundstück um eine Standardformulierung des Ingenieurbüro Röschert für Bebauungspläne handelt oder um eine Vorgabe durch die Gemeinde Rödelsee. Aus den mir vorliegenden Unterlagen (Schriftverkehr, Protokolle) ergeben sich kein Wunsch und keine Vorgabe der Gemeinde Rödelsee, die Anzahl der Wohneinheiten im Wohngebiet „Am Schwanberg“ auf 2 Stück pro Grundstück zu begrenzen und vom Ingenieurbüro Röschert konnte hierzu auch keine Aufklärung geleistet werden. Dies spricht dafür, dass diese Vorgabe im Bebauungsplan und der Begründung eigenständig/eigenmächtig vom Ingenieurbüro Röschert vorgenommen wurde. Dafür spricht auch die Tatsache, dass in dem Baugebiet „Spiess Ost“ (55 Bauplätze), für das der Bebauungsplan vom Ingenieurbüro Baur Consult vorbereitet wurde, keine Beschränkung der Anzahl der Wohneinheiten vorgenommen wurde.

b) Da nicht das Ingenieurbüro, sondern die Kommune für die Festlegung der Grundzüge der Planung eines Bebauungsplans verantwortlich ist und vorliegend nicht zu erkennen ist, dass ein Planungswille der Gemeinde Rödelsee für eine Beschränkung der Wohneinheiten auf 2 pro Grundstück bestand, handelt es sich bei dieser Festsetzung der Anzahl der Wohneinheiten im Bebauungsplan um keinen Grundzug der Planung im Sinne des § 31 Abs. 2 BauGB.

c) Selbst wenn es sich bei der Festsetzung der Anzahl im Bebauungsplan um einen Grundzug der Planung handeln würde, wäre eine Befreiung nur dann ausgeschlossen, wenn hierdurch die Grundzüge der Planung berührt werden würden. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hängt es von der jeweiligen Planungssituation ab, ob die Grundzüge der Planung berührt werden, vgl. BVerwG Beschl. v. 19.5.2004 - 4 B 35.04. Entscheidend wäre dann, ob ein Vorhaben zwar den Festsetzungen des Plans widerspricht, sich „mit den planerischen Vorstellungen aber gleichwohl in Einklang bringen“ lässt oder ob es - im Gegenteil - „dem planerischen Grundkonzept zuwider“ läuft.

Gemäß Begründung des Bebauungsplans, „A. Ziele und Zwecke der Planung“ besteht in Rödelsee eine hohe Nachfrage nach Bauplätzen und zur Einsparung von Fläche wurden bereits bevorzugt kleinere bis mittelgroße Grundstücke ausgewiesen. Hieraus ist zu erkennen, dass eine Befreiung von der Beschränkung der Anzahl der Wohneinheiten, die ja zur Befriedigung der Nachfrage nach Wohnraum beitragen würde, nicht einem planerischen Grundkonzept zuwiderlaufen, sondern mit diesem in Einklang stehen würde.

3. Weitere Voraussetzungen für eine Befreiung gemäß § 31 Abs. 2 BauGB:

(1) Gründe des Wohls der Allgemeinheit, einschließlich der Wohnbedürfnisse der Bevölkerung:

Wenn aus Sicht der Gemeinde Rödelsee die Befreiung von der Begrenzung auf 2 Wohneinheiten zu Befriedigung der Wohnbedürfnisse der Bevölkerung erforderlich ist, könnte diese Voraussetzung bejaht werden. Als Vorteil einer Befreiung von der Begrenzung auf 2 Wohneinheiten bei gleichbleibendem Maß der baulichen Nutzung könnte sich ein Angebot von kleineren Wohnungen für alleinstehende Personen ergeben.

(2) Die Abweichung städtebaulich vertretbar ist:

Wie bereits oben unter Ziff. 2 c) dargelegt, besteht gemäß Begründung des Bebauungsplans in Rödelsee eine hohe Nachfrage nach Bauplätzen und zur Einsparung von Fläche wurden bereits bevorzugt kleinere bis mittelgroße Grundstücke ausgewiesen.

Damit der Befreiung von der Festsetzung der Anzahl der Wohneinheiten auf 2 pro Grund-stück das Maß der baulichen Nutzung gemäß § 19 Baunutzungsverordnung nicht geändert wird, aber ein Beitrag zur Befriedigung des Wohnbedarfs geleistet werden kann, ist die Befreiung städtebaulich vertretbar.

(3) … die Abweichung auch unter Würdigung nachbarliche Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist:

Von anderen Grundstücksbesitzern im Bereich des Bebauungsplangebiets wurde eingewandt, dass durch eine Befreiung von der vorgenannten Festsetzung im Bebauungsplan und Zulassung von 3 Wohneinheiten die Bebauung ihrer Grundstücke unattraktiver werden würde und der Grundstückswert gemindert werden würde. Dies ist nicht nachvollziehbar. Da wie vorstehend dargelegt das Maß der baulichen Nutzung unverändert bleibt, ist davon auszugehen, dass die Abweichung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist.

Von der Gemeinde Rödelsee kann daher im Rahmen der Ausübung pflichtgemäßen Ermessens eine Befreiung von der Festsetzung im Bebauungsplan von maximal 2 Wohneinheiten beschlossen werden.

4. Die Rechtsanwälte Ulbrich & Kollegen haben für Herrn Aumüller mit Schreiben vom 09.07.2025 eine rechtliche Prüfung der Frage, ob ihm ein Anspruch auf die beantragte Befreiung zusteht, vorgenommen. Darin wird u.a. eingewandt, dass die Festsetzung von 2 Wohneinheiten pro Gebäude für „Einzel- und Doppelhausbebauung“ unklar lässt, ob im Rahmen einer Doppelhausbebauung von einem Gebäude oder von zwei Gebäuden auszugehen wäre und die Festsetzung daher unbestimmt und unwirksam sei. Dass hier eine Unklarheit vorliegt, erscheint zutreffend. Zum einen ist unklar, ob unter Doppelhaus ein Doppelhaus im baurechtlichen Sinne gemäß § 22 BauNVO oder im bautechnischen Sinne zu verstehen ist.

VGH München, Beschluss v. 18.04.2023 - 2 CS 22.2126

Ein Doppelhaus im Sinne von § 22 Abs. 2 Satz 1 BauNVO ist eine bauliche Anlage, die dadurch entsteht, dass zwei Gebäude auf benachbarten Grundstücken durch Aneinanderbauen an der gemeinsamen Grundstücksgrenze zu einer Einheit zusammengefügt werden.

Dagegen Gemeinderatssitzung 12.12.2023:

„Besondere grundstücksbezogene Befreiungen wie … mehr als 2 Wohneinheiten oder die Errichtung von 2 Einzelhäuser pro Grundstück statt einem Doppelhaus … im regulären Baugenehmigungsverfahren abzuwickeln.“

Weiter ist unklar, ob ein Doppelhaus ein oder zwei Gebäude darstellen soll, da es sich bei Grenzbebauung im baurechtlichen Sinne um zwei Gebäude handelt, bei Errichtung auf einem Grundstück mit gemeinsamer Bodenplatte bautechnisch um ein Gebäude.

Diese Unklarheiten dürften dazu führen, dass die Festsetzung der Anzahl der zulässigen Wohneinheiten im Bebauungsplan unwirksam ist. In diesem Falle wäre eine Befreiung von der Festsetzung des Bebauungsplans gar nicht erforderlich und Herr Aumüller hätte einen Genehmigungsanspruch.

5. In der Gemeinderatssitzung vom 06.06.2023 wurde zu TOP 88.2 folgender Beschluss gefasst:

Das vorbeschriebene Vorhaben wird zur Kenntnis genommen und das Einverständnis in Aussicht gestellt. Die Befreiung vom Bebauungsplan hinsichtlich der zu errichtenden Wohneinheiten wird in Aussicht gestellt, da die bessere Ausnutzung des Grundstücks durchaus siedlungs- und bauordnungstechnisch begrüßenswert ist.

Da bereits mehrere Befreiungstatbestände von den Bauwerbern vorgetragen wurden, die sich zum einen auf die zulässigen Wohneinheiten und zum anderen auf die Höheneinstellung oder Dachformen beziehen, soll eine Änderung des Bebauungsplanes betrieben werden.

Abstimmungsergebnis:

Anwesend 12

Ja-Stimmen: 11

Nein-Stimmen: 1

Persönlich beteiligt: 0

Gemeinderat Ostwald erklärt seine Gegenstimme damit, dass er gegen die generelle Befreiung gestimmt hat, jedoch die angestrebte Änderung des Bebauungsplanes befürwortet.

Dieser Beschluss wurde bisher nicht umgesetzt. Im Hinblick auf die Zweifel an der ausreichenden Bestimmtheit der Beschränkung der zulässigen Zahl der Wohneinheiten im Bebauungsplan und die im Beschluß zum Ausdruck gekommene Planungswille des Gemeinderats, dass die Befreiung vom Bebauungsplan hinsichtlich der zu errichtenden Wohneinheiten zur besseren Ausnutzung des Grundstücks durchaus siedlungs- und bauordnungstechnisch begrüßenswert ist, empfehle ich, diese Beschränkung im Bebauungsplan aufzuheben.

Ergänzend ist anzumerken, dass die Zahl der Wohnungen kein Merkmal ist, das die Art der baulichen Nutzung prägt und daher durch eine Freistellung von der im Bebauungsplan festgesetzten Zahl der Wohneinheiten keine nachbarschützenden Vorschriften verletzt werden, vgl. VGH München, Beschluss v. 21.02.2022 - 9 CS 22.81. Eine Klage von Nachbarn gegen die Freistellung wäre daher unzulässig.

7. Zusammenfassung:

(1) Die Festsetzung der höchstzulässigen Anzahl von Wohneinheiten kann einen Grundzug der Planung darstellen. Was zum planerischen Grundkonzept zählt, beurteilt sich nach dem im Bebauungsplan zum Ausdruck kommenden Planungswillen der Gemeinde.

(2) Weder aus dem Bebauungsplan noch aus dessen Begründung oder den Sitzungsprotokollen des Gemeinderats ergibt sich ein Hinweis auf einen Planungswillen der Gemeinde, dass die zulässige Anzahl der Wohneinheiten einen Grundzug der Planung darstellen sollte.

(3) Die Voraussetzungen für eine Befreiung gemäß § 31 Abs. 2 BauGB liegen vor. Insbesondere spricht die Begründung des Bebauungsplans, dass in Rödelsee eine hohe Nach-frage nach Bauplätzen besteht und zur Einsparung von Fläche bereits bevorzugt kleinere bis mittelgroße Grundstücke ausgewiesen wurden, zu einer Befreiung das gemeindliche Einvernehmen zu erteilen.

(4) Anstelle einer Befreiung könnte zwar auch die vom Gemeinderat am 06.06.2023 beschlossene Änderung des Bebauungsplanes betrieben werden. Dies würde jedoch einen erheblichen Zeitraum in Anspruch nehmen und der Bauantrag müsste weiterhin abgelehnt werden. Die Ablehnung der Befreiung könnte zu einem Rechtstreit mit dem Bauherrn über die Frage, ob die Ablehnung der Befreiung trotz vorheriger Inaussichtstellung der Befreiung eine Amtspflichtverletzung darstellt und einen Schadensersatzanspruch begründet oder ob die Beschränkung im Bebauungsplan wirksam ist und es überhaupt einer Befreiung bedarf.

Demgegenüber besteht keine Möglichkeit von Nachbarn, die Befreiung anzugreifen, da keine nachbarschützenden Vorschriften verletzt werden.

Es erscheint daher aus rechtlichen Gründen und im Hinblick auf den im Beschluß des Gemeinderats vom 06.06.2023 zum Ausdruck gekommenen Planungswillen geboten, zu der beantragten Befreiung das gemeindliche Einvernehmen zu erteilen.

Dr. Martin Vocke
Rechtsanwalt