Titel Logo
Gemeindeblatt Strullendorf
Ausgabe 19/2024
Mehrgenerationenhaus
Zurück zur vorigen Seite
Zurück zur ersten Seite der aktuellen Ausgabe

Mehrgenerationenhaus

ME/CFS ist eine schwere, neurologische (laut WHO: ICD-10 G93.3 Postviral fatigue Syndrom) und chronische Erkrankung mit noch unvollständig geklärter Ursache, die nach Infekten und Epidemien auftreten kann, wie z.B. nach Pfeiffersche Drüsenfieber, Influenza oder einer Corona-Infektion. Ein Teil der Bevölkerung entwickelt ein post-infektiöses Syndrom. Es kann sich eine sogenannte ME/CFS (Myalgische Enzephalomyelitis / Chronisches Fatigue-Syndrom) heraus bilden. ME/CFS wird zum Spektrum des Post-COVID-Syndroms (PCS) gezählt. ME/CFS wird in Schweregrade eingeteilt: von mild, moderat, schwer bis sehr schwer erkrankt. Schon bei „mild und moderat erkrankt“ können die Symptome bereits so schwerwiegend sein, dass die Betroffenen arbeitsunfähig sind (mehr als 60%). Die wirtschaftlichen Folgen in Deutschland betragen nach Schätzungen jährlich 7,4 Mrd. Euro.

Wie erleben Betroffene ihren Alltag?

Je nach Schweregrad leiden sie im Stillen und für die Außenwelt oft unsichtbar. Alltägliche Unternehmungen wie z.B. ein Spaziergang, Lesen, Freunde treffen oder Verrichtungen wie Kochen, Körper- und Wäschepflege, usw. sind ein enormer Kraftakt oder gar nicht möglich. Sie durchleben eine krankhafte Erschöpfung (Fatigue) und haben ein geringes Belastungsniveau. Hinzu kommen Schlafstörungen, Einschränkungen in der Konzentration („brain fog“), Kreislaufschwierigkeiten im Stehen bzw. Sitzen, ausgeprägte Empfindlichkeit gegenüber Geräuschen und Licht, teilweise neu auftretende Allergien und/oder Nahrungsmittelunverträglichkeiten. Sie leiden unter einem grippeähnlichen Krankheitsgefühl oft mit Halsschmerzen und geschwollenen Lymphknoten. Muskel-, Gelenk- und Nerven- oder Kopfschmerzen bestimmen ihren Alltag. Manche Menschen können das Haus kaum oder gar nicht mehr verlassen. Schlimmstenfalls liegen sie nur noch licht- und geräuschgeschützt im Bett und werden von ihren Pflegepersonen im Bett gewaschen. Eine Verschlechterung aller Symptome nach Alltagsaktivitäten ist charakteristisch bei ME/CFS. Man spricht dann von einer PEM: Post-Exertionelle Malaise. Es handelt sich um eine lang anhaltende, deutliche Verschlimmerung der Symptomatik, die oft als „Crash“ bezeichnet wird, bis zu 48 Stunden zeitverzögert auftritt und Tage bis Wochen andauern kann. Manchmal führt ein „Crash“ auch zu einer dauerhaften Zustandsverschlechterung. Das sogenannte „Pacing“ heißt, dass Aktivitäten so über den Tag verteilt werden, dass die individuelle Belastungsgrenze möglichst kaum überschritten wird und gar eine PEM erfolgt bzw. eine Symptomverschlechterung auftritt.

Die Betroffenen kämpfen nicht nur um ihre Gesundheit, sie kämpfen auch um öffentliche Anerkennung und eine bessere medizinische Versorgung und Forschung.

In den letzten Jahrzehnten ist das Krankheitsbild medizinisch und gesundheitspolitisch vernachlässigt worden und nicht ausreichend erforscht. In den Ausbildungsprogrammen für Gesundheitsberufe wird ME/CFS auch heute noch nicht angemessen berücksichtigt, so dass es leider zu Missinterpretationen der Symptomatik und Fehldiagnosen kommt. Wenn niedergelassene Ärzte mit dem Krankheitsbild und seinem schweren Verlauf nicht vertraut sind, wird es schnell unter „Psychosomatik“ eingeordnet und dem/der Betroffenen wird unterstellt, dass er/sie sich seine Beschwerden „nur einbildet“. Abgesehen von einer Stigmatisierung der Betroffenen, gehen diese Fehleinordnung häufig mit kontraindizierten aktivierenden Therapien einher, die aufgrund der PEM fatale Folgen für die Betroffenen nach sich ziehen können.

Die Deutsche Gesellschaft für ME/CFS e.V. schätzt, dass etwa 250.000 Menschen in Deutschland vor der Pandemie betroffen waren, mittlerweile geht man von schätzungsweise 500.000 Betroffene in Deutschland aus, darunter 40.000 Kinder, weltweit sind es ca. 17 Millionen Betroffene. Ähnlich wie bei vielen Autoimmunerkrankungen sind weibliche Jugendliche und Frauen etwa dreimal so häufig betroffen wie postpubertäre Jungen und Männer. ME/CFS kann in jedem Alter auftreten aber zwei kritische Lebensphasen zwischen 10 und 19 Jahren und zwischen 30 und 39 Jahren zeichnen sich als Beginn der Erkrankung ab. Im Vergleich zur Multiple Sklerose (MS) liegt die Forschung für ME/CFS um etwa 40 Jahre zurück. So gibt es für MS 16 zugelassene Medikamente, für ME/CFS kein einziges! Wenn Betroffene auf Off-Label-Medikamente zurück greifen möchten, werden die Kosten von der Krankenkasse nur dann übernommen, wenn die Ursache auf „Corona“ zurück zu führen ist. Hierdurch erfahren Patienten eine Ungleichbehandlung und fühlen sich erst recht im Stich gelassen. Auch werden Anträge auf Sozial- und Versicherungsleistungen, z.B. eine Erwerbsminderungsrente, oft abgelehnt.

Um auf diese schwere Erkrankung aufmerksam zu machen, veranstaltet die Deutsche Gesellschaf für ME/CFS e.V. am 11. Mai 2024 die Initiative „Liegenddemo“ für Betroffene und deren Angehörige vor dem Bundestag, zugleich vernetzt in anderen Städten. Es geht um bundesweite Aufklärung und die Forderung nach Forschung, nach besserer Diagnostik und Versorgungsstrukturen, insbesondere Spezialzentren, zu denen Betroffene hingehen können, um sich behandeln zu lassen. Heutige Krankenhäuser sind nicht auf Schwerstbetroffene eingestellt! Parallel zu anderen Städten findet die nächstgelegene Liegenddemo am 11.05.2024 in Würzburg am Domvorplatz von 13:00 Uhr bis 16:00 Uhr statt.

„Nach der Corona-Pandemie können wir eigentlich die Chance nutzen, um post-infektiöse Krankheiten, wie ME/CFS (…) zu erforschen, um bei der nächsten Pandemie oder bei den nächsten Virusinfekten, wie auch der Grippe (…), den Menschen wirksame Behandlungsmöglichkeiten anzubieten“, so Sebastian Musch, stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für ME/CFS e.V. (Interview „tagesschau24“ am 12.05.2023)

Quellen (26.03.2024): https://www.mecfs.de/

www.aerzteblatt.de/archiv/231286/Myalgische-Enzephalomyelitis-Chronisches-Fatigue-Syndrom-Interdisziplinaer-versorgen

www.mecfs.de/wp-content/uploads/2024/03/DG.MECFS_Informationsblatt_Uebersicht.pdf

www.instagram.com/liegenddemo/?hl=de

www.icd-code.de/icd/code/G93.3.html

www.mecfs.de/publikation-zur-psychosomatischen-sicht-auf-me-cfs/

www.ardmediathek.de/video/tagesschau24/zunahme-von-me-cfs-durch-corona/tagesschau24/Y3JpZDovL3RhZ2Vzc2NoYXUuZGUvNDEzODhhMzctYzJlMi00MWRiLWFhMWQtY2Y2NzgwNDVjMjg1

https://www.ardmediathek.de/video/gesundheit/me-cfs-patienten-fuehlen-sich-vernachlaessigt/br-fernsehen/Y3JpZDovL2JyLmRlL3ZpZGVvL2Q3NzgyNmMwLWFiZDUtNGI1Mi1iYTkxLTNlYzFmOWY2OWVhOQ