Vor 30 Jahren wurde in Kempten der Hospizverein gegründet. Zehn Jahre später entstand hier eines der ersten Hospize in Bayern.Verein und AllgäuHospiz feiern Jubiläum.
Es waren einige medizinsch Tätige, die sich 1993 aus einem Grund zusammengefunden haben: Sie wollten nicht mehr mitansehen, wie Sterbende in der Klinik ins Badezimmer oder zwischen medizinische Geräte (ab)geschoben wurden. Aus christlicher Verantwortung heraus wollten Dr. Barbara Zagoricnik-Wagner, Prof. Dr. Volker Hiemeyer (mittlerweile verstorben) und Dr. Erich Farkas als treibende Kräfte einen würdevollen Rahmen für jene schaffen, deren Lebensweg zu Ende geht. Die drei Mediziner schlossen sich der Hospizbewegung an und verfolgten konsequent ihr Vorhaben. Der Hospizverein wurde gegründet und zehn Jahre später entstand in Kempten eines der ersten Hospize in Bayern, erinnert sich Dr. Zagoricnik-Wagner. Heute feiert der Verein sein 30. Bestehen, das AllgäuHospiz gibt es seit 20 Jahren. Ein Anlass, dieses Jubiläum mit verschiedenen Aktionen zu begehen und Interessierten einen Einblick in die Hospizarbeit zu geben (siehe Programm).
Es sind viele Ereignisse aus den Anfängen des Hospizvereins in Kempten, die Dr. Barbara Zagoricnik-Wagner (Altusried) rückblickend erzählen kann. Doch eines ist der 86-Jährigen in besonderer Erinnerung geblieben: Die Spende einer Seniorin von damals fünf D-Mark und einem Kreuz, damit Sterbende ein „Dach über den Kopf haben.“ Das Kreuz gibt es immer noch und die fünf Mark waren das erste Mosaiksteinchen zu einer großen Spendenaktion und für einen Verein, der im Laufe der Jahre auf heute 900 Mitglieder gewachsen ist und neun hauptamtliche MitarbeiterInnen beschäftigt.
Ziel des Vereins war laut der Mitbegründerin damals wie heute das Bemühen um eine gute Palliativversorgung - Hand in Hand mit der Notwendigkeit einer stationären Einrichtung. 1999 konnte so die Palliativstation am Klinikum Kempten eröffnet werden. 2003 folgte das AllgäuHospiz mit damals acht Betten in der Madlenerstraße unter der Trägerschaft von Hospizverein Kempten-Oberallgäu und dem BRK-Kreisverband Oberallgäu. Nach Änderung der gesetzlichen Rahmenbedingungen 2007 durch die Einführung der Förderung von ambulanter Hospizarbeit über die Krankenkassen und damit notwendigen hauptamtlichen Koordinatoren und Dokumentationen der Begleitungen wurde das ehrenamtliche Engagement mit Hauptamt ergänzt.
2011 begann die SAPV (Spezialisierte Ambulante Palliativversorgung) in der Hand des Klinikums ihre Arbeit. 2016 konnte ein kleines Hospiz-Büro in der Klinik Immenstadt eröffnet werden. Seit 2015 stieg der Bedarf an Hospizbetten. Allein 2016 konnten 113 Hilfesuchende nicht aufgenommen werden. Eine größere Einrichtung war notwendig und fand breite Unterstützung, unter anderem bei Vereinen, Verbänden, Firmen und Pfarreien. Anfang 2020 wurde das neue AllgäuHospiz mit 16 Betten in der Madlenerstraße glücklicherweise vor Ausbruch der Pandemie eröffnet. Auch der Hospizverein fand dort neue Räume.
Das hospizliche Angebot ist laut Birgit Prestel, Leitung ambulante Koordination, in den vergangenen Jahren stetig gewachsen. Derzeit 140 HospizhelferInnen sind aktiv, der Bereich Trauerarbeit wurde gestärkt, „Letzte Hilfe-Kurse“ sind ein fester Bestandteil des Angebots geworden, Ausbildungskurse „Sterbe- und Trauerbegleitung“ sind gefragt.
Josef Mayr, der seit 2011 an der Spitze des Hospizvereins steht, sieht diese Angebote, und mittlerweile vor allem den Hauptpfeiler ambulante Begleitung (seit 2003), als „große Verantwortung, dass die Menschen bestmöglich begleitet werden“. Mächtig stolz macht den Vereinsvorsitzenden die Hilfe beim Hospiz-Neubau: „Die Region hat diesen hospizlichen Neubau großartig unterstützt. Über 5000 SpenderInnen haben mit mehr als über 4,5 Millionen Euro dieses neue Haus erst möglich gemacht.“
Laut Birgit Prestel hat das Sterben inmitten der Familie seine Normalität verloren, findet vor allem im Krankenhaus und in Pflegeeinrichtungen statt. Doch viele Menschen hätten den Wunsch, in gewohnter Umgebung ihren Lebensweg zu beenden. Die ambulante Hospizbewegung leiste hier einen wichtigen Beitrag. Denn das Sterben eines nahen Angehörigen zu erleben, überfordere viele. Eine wichtige Säule, um Ängste zu überwinden, Sicherheit zu vermitteln oder Hilfsdienste einzubinden, seien die Ehrenamtlichen. „Die Würde des schwerkranken Menschen als wichtigstes Gut zu achten“ liege dabei im Fokus ehrenamtlicher Hospizbegleitung. In den „Letzte Hilfe-Kursen“ finden Interessierte das „Kleine 1x1“ der Sterbebegleitung - mit dem Ziel, den Abschied bewusst ins Leben zu integrieren.
Die Krankheit könne man zwar nicht nehmen, aber den letzten Weg lebbar machen - das ist es, was Susanne Hofmann, seit 2010 Leiterin des stationären AllgäuHospiz, den Gästen in der Einrichtung ermöglichen will. Dabei setzt die gelernte Krankenschwester auf ein „gutes Teamgefüge“, zum Beispiel durch hospizlich denkende MitarbeiterInnen, Fortbildungen und Arbeitsbedingungen, die sich auf eine gute Versorgung der Schwerstkranken auswirken. Wichtig sei auch ein gut funktionierendes Netzwerk zur Versorgung der Menschen am Lebensende.
Die Hauptbetreuung im AllgäuHospiz übernehmen Palliativ-Pflegekräfte in Kooperation mit den Hausärzten, bei der Aufnahme seien Sozialarbeiterinnen involviert, zudem versorgen Hauswirtschafterinnen die Gäste und täglich schenken Ehrenamtliche ihre Zeit, um den Aufenthalt mitzugestalten. Susanne Hofmann selbst hat in jungen Jahren die Erfahrung mit „der Endlichkeit des Lebens“ machen müssen. „Heute kann ich mit einer professionellen Nähe Mitmenschen am Lebensende begleiten“, sagt sie. Ihr Glaube, ihre Rituale und ihre Gespräche sowie ein stabiles privates Umfeld helfen ihr dabei.
In der Gesellschaft ist das Hospiz nach Ansicht von Dr. Zagoricnik-Wagner heute nicht mehr das Tabuthema wie bei der Gründung. Und das AllgäuHospiz ist längst kein Gebäude mehr, das als Sterbehaus bezeichnet wird. Die meisten Gäste, die dort begleitet werden, hätten keine Angst vor dem Tod. Ihnen diesen Weg zu erleichtern, Schmerzen zu lindern, sie auf der „intensivsten Zeit des Lebens“ zu begleiten - das ist der Hospizgedanke, der seit 30 Jahren in Kempten und im Oberallgäu mit dem Hospizverein und seit 20 Jahren mit dem AllgäuHospiz gelebt wird. (cb)
30 Jahre Hospizverein und 20 Jahre AllgäuHospiz
Tag der offenen Tür
im AllgäuHospiz und in den Räumen des Hospizvereins
Samstag, 13. Mai, 11 bis 16 Uhr
Vortrag mit Prof. Dr. Kersin Schlögl-Flierl vom Deutschen Ethikrat
zum Thema „Hospiz im Spannungsfeld des assistierten Suizids“
Dienstag, 16. Mai, 19 Uhr im Theatersaal der Maria-Ward-Schule, Hoffeldweg 12, 87439 Kempten.
Anmeldung unter 0831 960 464 - 0
Veranstalter: Stiftung AllgäuHospiz
Festakt für geladene Gäste
mit dem Bayerischen Gesundheitsminister Klaus Holetschek
im Fürstensaal der Residenz in Kempten.
Jubiläumsfeier für Ehrenamtliche, Mitglieder und Mitarbeitende
Festvortrag von Josef Epp zum Thema „Engagiert für andere - achtsam für die eigenen Kraftquellen“
Freitag, 16. Juni, 15.30 Uhr in der Festhalle Dietmannsried, Laubenerstr. 24, 87463 Dietmannsried
„Leben hören“ - Lieder und Geschichten von Sterbenden
Konzertlesung mit großer Projektband, den Vivid Curls und Collegium Vocale der Sing- und Musikschule Kempten sowie Hospizhelfer*innen und Mitarbeitenden
Sonntag, 22. Oktober, 19 Uhr, in der Big Box Allgäu
Vorverkauf bei allen bekannten Vorverkaufsstellen
Dankgottesdienst zum Jubiläumsjahr
Samstag, 18. November, 16 Uhr in der Basilika St. Lorenz in Kempten
Weitere Infos unter www.hospizverein.hospiz-kempten.de
Mit Liedern und Geschichten von Sterbenden das Leben feiern
„Leben hören“ heißt eine allgäuweit einmalige Veranstaltung von AllgäuHospiz und Hospizverein. Sie will aufzeigen, was Leben bis zuletzt bedeuten kann
Kempten. Es ist eine ganz besondere Veranstaltung, eine Premiere im Allgäu, die am Sonntag, 22. Oktober, in der Big Box Allgäu in Kempten über die Bühne gehen wird. Denn es sind Geschichten und Lieder von Sterbenden, die an diesem Abend wiedergegeben werden. Und sie sollen keineswegs in bedrückender Art und Weise das Sterben beschreiben, sondern - das Leben feiern. Mit Lieblingsliedern von Menschen am Lebensende und deren Lebensgeschichten dazu. Entstanden, sagt Projektleiterin Sandra Bär vom Hospizverein in Kempten, sei so ein Konzept, das eines zum Schwerpunkt habe: ein Fenster zu öffnen für das „Leben bis zuletzt“, den Leitspruch der Hospizbewegung.
Die Idee zur Veranstaltung „Leben hören“ anlässlich des Jubiläums 30 Jahre Hospizverein und 20 Jahre AllgäuHospiz in Kempten hatte Sandra Bär vom Hospizverein Kempten bei der Einweihung des neuen Hospizgebäudes. Immer wieder sei die Krankenschwester gefragt worden, wie Menschen dort leben, welche Schicksale sie haben. Nur das Hineingehen empfinden viele noch als Hürde. So sei der Wunsch entstanden, die Welt im Hospiz nach außen zu tragen - mit den Geschichten von Sterbenden und deren Lieblingsliedern. Dies fand bei der gesamten Hospizfamilie große Unterstützung. Denn fast alle Gäste im Hospiz verbinden mit einen Lied eine Geschichte. Die Frau zum Beispiel, die auf gescheiterte Männer-Beziehungen blickt - und sich und diese in Ina Deters Song „Neue Männer braucht das Land“ wieder fand. Oder die Bewohnerin eines Pflegeheims, für die das Wolgalied eine besondere Bedeutung hat. Natürlich darf auch „Amoi seg` ma uns wieder“ von Andreas Gabalier nicht fehlen. Doch es sei ein breites Spektrum an Liedern bis hin zum „Heideröslein“ entstanden.
Angereichert werden die etwa 14 Darbietungen von Hospizbegleiterinnen und -begleitern sowie von hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Hospizfamilie. Sie haben die Sterbenden zuhause und im AllgäuHospiz interviewt und mit ihnen über ihre Lieblingssongs geredet.
Zu hören sind so laut Sandra Bär „leidenschaftliche Appelle, das Leben zu leben“. Humorvoll, authentisch, ohne zu romantisieren oder zu verklären. Und schon gar nicht gehe es dabei in erster Linie um den Tod. Doch diesen dennoch aus der Tabuzone zu holen sei ein weiterer Aspekt dieser Veranstaltung.
Umgesetzt werden die Texte durch die künstlerische Leitung und Moderation von Adrian und Michael Ramjoue und durch bekannte Allgäuer Musikgruppen wie Vivid Curls, die große Projektband und das Collegium Vocale der Sing- und Musikschule Kempten.
Der Kartenvorverkauf für „Leben hören“ ist bereits angelaufen. Karten für die Veranstaltung am Sonntag, 22. Oktober, 19 Uhr, in der Big Box Allgäu, gibt es beim Ticketverkauf Big Box Allgäu und an allen bekannten Vorverkaufsstellen. Weitere Informationen unter