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Sulzberger Bürgerblatt
Ausgabe 20/2023
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„Wir brauchen einen großen Befreiungsschlag“Vorstand des BRK Oberallgäu findet klare Worte zum Internationalen Tag der Pflege

Vorstand des BRK Oberallgäu findet klare Worte zum Internationalen Tag der Pflege

Allgäu – „Die Situation in der Altenpflege ist bestürzend – und sie spitzt sich auch hier im Allgäu dramatisch zu. Es geht oftmals sehr schnell, dass eine Person pflegebedürftig wird. Die betroffenen Familien stehen dann oft vor einem unlösbaren Problem, denn sämtliche Einrichtungen haben deutlich mehr Anfragen nach Pflegeplätzen als sie anbieten können“ sagt Edgar Rölz, Vorstandsvorsitzender des Kreisverbandes Oberallgäu im Bayerischen Roten Kreuz. Er fordert: „Die Politik muss dem Ernst der Lage endlich Rechnung tragen. Was wir brauchen, ist ein großer Befreiungsschlag!“

„Es ist seit Jahren allgemein bekannt, wie angespannt die Lage in der Altenpflege ist. Heutzutage einen Pflegeplatz zu finden, im Idealfall auch noch schnell, ist extrem schwierig - und die Situation verschärft sich zusehends“, weiß Edgar Rölz. Das BRK im Kreisverband Oberallgäu betreibt zwei Seniorenpflegeeinrichtungen: das „Haus der Senioren“ in Oberstdorf sowie - interimsweise - den „Sonnenhof“ in Lauben.

Fachkräftemangel führt zu Bettenschließungen

Altenpflege-Einrichtungen hätten mit mehreren Problemen zu kämpfen, so Rölz. „Eines der Kernprobleme ist der Fachkräftemangel. Es fehlt an allen Ecken und Enden an qualifiziertem Pflegepersonal. Zwar gehen jedes Jahr viele Menschen neu in Pflegeberufe, doch ihnen stehen noch viel mehr gegenüber, die dem Beruf aufgrund der aktuellen Gegebenheiten den Rücken kehren. Zugleich steigt die Nachfrage nach Pflegeplätzen aufgrund des demografischen Wandels ununterbrochen an.“ Doch diese könne schlichtweg nicht abgedeckt werden. „Die Häuser müssen vorhandene Betten schließen, denn wo niemand ist, der pflegen und versorgen kann, kann auch kein Pflegeplatz vergeben werden.“

Dies sei auch im BRK-eigenen „Haus der Senioren“ und im „Sonnenhof“ der Fall. „Von unseren 120 Betten in Oberstdorf können wir aktuell nur rund 100 belegen, das deckt bei weitem nicht die Nachfrage. Die Wartelisten sind lang. Dabei würden wir den Menschen gerne helfen“, bedauert er und bekräftigt: „Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter machen trotz aller Herausforderungen einen großartigen Job. Sie haben schon die Corona-Situation bravourös gemeistert und dabei oft eigene Interessen zurückgestellt und sie sind nach wie vor mit hoher Motivation für die Menschen da. Wir sind wirklich stolz auf unser tolles Team. Aber wir wissen auch: irgendwann ist die Grenze des Zumutbaren erreicht. Wir müssen und wollen unsere Mitarbeitenden schützen.“ Er fordert von der Politik einen „längst überfälligen, großen Befreiungsschlag“. Dabei müssten drei Aspekte im Fokus stehen, so Edgar Rölz.

„Investieren lieber in Betreuung als in Beton“

„Erstens muss die AVPfleWoqG – die Verordnung zur Ausführung des Pflege- und Wohnqualitätsgesetzes – geändert werden. Sie regelt unter anderem, welche Größen die Zimmer haben müssen. Selbstverständlich ist der Wohnraum von großer Wichtigkeit, aber die Verordnung lässt mehrere Dinge außer Acht: aufgrund der starren Vorgaben können zahlreiche Räume überhaupt nicht mehr genutzt werden, ein entsprechender Umbau würde enorme Kosten verursachen. Um es einmal plakativ auszudrücken: Wir investieren lieber in Betreuung als in Beton. Dazu muss man wissen, dass wir in der stationären Altenpflege sehr viele bettlägerige und demente Gäste haben. Für sie ist vor allem die gute Pflege und die menschliche Ansprache wichtig und nicht, ob das Zimmer zwei Quadratmeter kleiner oder größer ist.“

Strukturvorgaben müssen gelockert werden

Als zweiten Aspekt führt er die Fachkraftquote an. „Wir müssen so schnell wie nur möglich ein innovatives System implementieren, das es uns ermöglicht, mit anderen Strukturen zu arbeiten. Vorstellbar wäre zum Beispiel eine Leitung mit Fachkraftausbildung oder entsprechendem Studienabschluss und ein Mitarbeiterstamm, der eben nicht nur aus - auf dem Markt nicht vorhandenen - Fachkräften besteht, sondern in dem auch Hilfskräfte und langjährige Mitarbeitende unter qualifizierter Anleitung für die Menschen da sein dürfen. In diesem Bereich gibt es noch Potenzial auf dem Arbeitsmarkt“, ist er überzeugt. „Pflegefachpersonal ist hingegen kaum noch zu finden.“

Überbordende Bürokratie verhindert Pflege

Als dritten Aspekt führt er die überbordende Bürokratie an. „Die extrem umfangreichen Dokumentationspflichten müssen abgebaut werden - und zwar auf eine Weise, dass dem Patientenschutz nach wie vor Genüge getan wird und gleichzeitig sichergestellt ist, dass die Mitarbeitenden nicht den Großteil ihrer Arbeitszeit für ebensolche Dokumentationsaufgaben aufwenden müssen. Jede Stunde, die mit Bürokratie verbracht werden muss, fehlt in der Betreuung und Pflege der Menschen – aber genau darum sollte es doch, dem gesunden Menschenverstand nach, in allererster Linie gehen.“ Edgar Rölz mahnt: „Die Zeit für Veränderungen ist genau jetzt. Wir dürfen keinesfalls noch länger warten.“