Der Höhepunkt im Salzburger Passionssingen mit der großen Schlussszene. Am Ambo berichtet (im Scheinwerferstrahl) Hauptmann Longinus in seinem Brief einem Freund vom Geschehen und seiner Hinwendung zu Jesus
Unterwössen. Einen so grandiosen wie anrührenden Abend bescherte der Salzburger Josef Radauer mit rund 80 Mitwirkenden in seinem Salzburger Passionssingen 2023 „In Paradisum“. Die Besucher in der ausverkauften Pfarrkirche St. Martin dankten es ihm mit Begeisterung aber ohne Applaus - den hatte sich Radauer schon im Beginn verbeten.
In der dunklen Kirche eröffnete der Organist des Pfarrverbandes Oberes Achental Benedikt Meurers mit einem leisen, feinen Orgelspiel.
Als Josef Radauer begrüßte, kündigte er eine Mischung aus Passionssingen und -spiel an. Das Spiel „In Paradisum“, uraufgeführt 2019, folgt nicht der biblischen Erzählung, sondern erlebt die Geschichte aus der Sicht dreier Personen, die die Heilige Schrift nur in Einzelsätzen erwähnt.
Das sind die Gekreuzigten Dismas, rechts, und Gestas links von Jesus am Kreuz. Deren Charaktere erfindet Josef Radauer so spannend wie aktuell: Wenn der eine gegen sein Schicksal ankämpft und die Schuld bei anderen sucht, fügt sich der andere drein und versucht das Beste aus der Situation zu machen. Aktuelle Empfindungen wie zwei Seelen in der Brust eines heutigen Menschen. Und dann sticht der Hauptmann Longinus in der Aufführung hervor, der sich vom Verantwortlichen der Obrigkeit zu einem Anhänger Jesu wandelt.
Eingebettet ist das Geschehen der neun Spielszenen in wunderbare Musik. Bei Radauer ist sie spannend, weil sie abwechslungsreich ist. Sie reicht von gregorianischem Chorgesang über Klassik in eine große Auswahl an Volksmusik und -weisen. Dabei fügt sich das alles harmonisch und stimmig ineinander. Da gleitet der feine Dreigesang über glanzvolle Bläserfanfaren in klassische Instrumentalmusik.
Instrumentalmusik kommt vom Radauer Ensemble von der linken Seite des Altarraums. Das sind Salzburger Musikerinnen und Musiker rund um den Kontrabassisten und Gesamtleiter Josef Radauer. Allesamt durchwegs Profimusiker - sehen sie sich einerseits in der Tradition von Tobias Reiser, sind andererseits aufgeschlossen neuen Abenteuern gegenüber. In der Bandbreite der Instrumente von der klassischen Violine und Flöte bis in Zither und Hackbrett ist das neunköpfige Ensemble in allen Stilen daheim.
Weiter brachte Radauer Ensembles mit, die schon seit Jahren im Salzburger Hirtenadvent dabei sind. Einen festen Standort hatten die Pongauer Bläser auf der Chorempore hoch oben. Glanzvoller Bläserton des Sextetts füllte von dort das Kirchenschiff.
Wunderbarer, fein abgestimmter Gesang kam vom Salzburger Dreigesang und dem Ruperti Viergesang, auch im gemeinsamen Septett. Die Gesangsformationen waren zudem als Darsteller gefordert. Die Rollen von Pilatus und dem Hauptmann Longinus waren als Sprechrollen Schauspielern vorbehalten.
Die darstellerische Leistung überzeugte durch die Bank. Es war eine Herausforderung, die Charaktere über die umfangreiche Musikbeiträge hinweg in den Szenen zu entwickeln und die Spannung aufrecht zu erhalten. Es war besonders, wie klar die Abneigung des Pilatus gegenüber dem Hohepriester Kaiphas auch körpersprachlich sichtbar war. Die Bereitschaft zu Intrige nahm man dem Kaiphas durchwegs ab. Besonders schön war, wie die Hauptdarsteller ihre Charaktere entwickelten, wie Lydia immer mehr an den Dismas glaubte, der überzeugend darstellte, wie er sich wandelte. Wie im zuvor so nüchtern und überlegt handelnden Hauptmann Longinus die Emotionen überhand gewannen und er sich in einen Gläubigen wandelte. Gerade in den immer dramatischer werdenden Szenen von Gefangenschaft und Kreuzigung brachten die Darsteller ihre Gefühle nachdrücklich und begeisternd zum Ausdruck.
„Auf ein Abenteuer mit den Profis eingelassen“, so sah der Leiter des Kirchenchores St. Martin Wolfgang Kurfer die Beteiligung des Chores am Passionssingen. Der großen Verantwortung waren sich die Sängerinnen und Sänger durchaus bewusst. Deshalb verstärkte sich die Gemeinschaft mit 12 Sängerinnen und Sängern aus dem Pfarrverband Oberes Achental. Der Chor mit somit über 50 Mitgliedern überzeugte im nachdrücklichen Klang. „Wir kannten aus dem Programm nur ein Musikstück“ beschrieb Wolfgang Kurfer, „O Haupt voll Blut und Wunden“. So galt es ein breites Repertoire intensiv zu erarbeiten. Der Chor probte fleißig in als Ganzes und in Gruppen, zwei, drei Mal die Woche. Ein Aufwand der sich sicht- und hörbar lohnte. Der Chor wurde der großen Aufgabe wunderbar gerecht.
Der Kirchenchor sang zuerst hinten im Kirchenschiff, unsichtbar für die zum Altar gerichteten Zuschauer. Dann zog er über die Seitengänge festlich ein und flankierte zuerst das Geschehen im Altarraum in seinem Gesang. Später fand der große Chor zwischen Altar und Altarbild seine Aufstellung.
Die Beleuchtung in der ansonsten dunklen Kirche zwang, sich mit der Handlung zu befassen, mitzufühlen und zu erleben. Strahler fingen gerade immer die Szene ein, der Rest der Kirche blieb dunkel. Da reichte ein Tisch mit ein paar Bechern als Requisite. Wie Radauer die Personen und ihre Auftritte mit in der Lichtkomposition inszenierte, das war ganz besonders.
Personen traten ins strahlende Licht der Scheinwerfer, hielten sich dann wieder im Zwielicht etwas zurück. Über unbemerkte Zu- und Abgänge auch von draußen gab es Szenen überall im Kirchenraum. Der Hauptmann verfolgte mit einem Trupp Chormitgliedern Fliehende durch die Kirche, Pilatus sprach von der Empore wie von einem Balkon über die Straße mit seinem Hauptmann. Grandios die Lichtidee Lichtidee, zur Verhaftung Jesu, Dismas und Gestas Lichtbalken wie Gitterstäbe über das Geschehen im Altarraum zu legen.
Später dann zur Kreuzigung leuchtete ein gewaltiges Lichtkreuz über das von der Oberwössnerin Monika Stein gestaltete Bild vor dem Altarhintergrund.
Und wie fand das Passionssingen sein Ende ohne den eigentlich gebotenen, kräftigen Schlussapplaus? Das war besonders eindrucksvoll: Noch in der Schlussszene trat die Musik in den Vordergrund. Das begann mit Bach „O Haupt voll Blut und Wunden, stimmte weiter auf das Ende ein mit „O Traurigkeit“ und dem „Andachtsruf“. Im Epilog erklang das abschließende „In Paradisum“ aus dem Requiem Opus 45 von Gabriel Faure, einem Stück aus neuerer Zeit.
Währenddessen glimmten im Kirchenchor hinter dem Altar die ersten Kerzen auf, die Darsteller begann dort Kerzen zu verteilen, Hauptmann Longinus - aus dem Dienst geschieden - ging langsam und bedachtsam den rechten Seitengang der Kirche in Richtung Ausgang. Reihe für Reihe entzündete er Kerzen und verteilte jeweils eine rechts und links in die Kirchenbank. Mit der stimmungsvoll ausklingenden Musik kam Bewegung in die Darsteller und den Chor. Mit Kerzen folgten sie dem Longinus langsamen Schrittes durch die nun stille Kirche und verließen sie über den Hauptausgang. Gänsehaut pur bei allen Beteiligten.
Als die Kirchenbesucher bald darauf aus der Kirche traten waren sie sichtlich berührt und besonderer Stimmung. Wir fragten viele, alle fanden das Passionssingen wunderbar, berührend schön. Viele Zuhörer empfanden Dankbarkeit, dabei gewesen zu sein. Sie lobten die Aufführung aus einem Guss und die besondere Stimmung. Eine Zuhörerin verriet, dass das Stück ihre Sicht auf die Passionsgeschichte verändere.