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Brensbacher Nachrichten
Ausgabe 30/2024
Kirchliche Nachrichten
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Gedanken zum Wochenende

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

die Gedanken zum Wochenende stammen diesmal von Matthias Kraft von der Evangelischen Kirchengemeinde Brensbach.

Wir vier Kirchengemeinden in Brensbach wünschen Ihnen ein schönes Wochenende.

Anja Encarnacao, Katholische Kirchengemeinde

Miriam von Nordheim-Diehl, Evangelische Kirchengemeinde Wersau

Cyrille Tchamda, Freie Christengemeinde

Matthias Kraft, Evangelische Kirchengemeinde Brensbach


Liebe Leserinnen und Leser,

Ehrfurcht ist ein Wort das normalerweise in unserer Alltagsprache nicht vorkommt. Es bezeichnet ein Gefühl, das scheinbar aus der Zeit gefallen ist. Man freut sich, hat Angst, fühlt sich glücklich, besorgt, man hasst oder ist verliebt.

Ehrfurcht überkommt uns dagegen selten. Ja, mancher wird bei dem Begriff misstrauisch. Muss ich mich etwa vor jemand fürchten oder gar Angst haben? Ist Ehrfurcht nicht etwas, was uns von Autoritäten eingetrichtert wird und uns klein und unbedeutend halten soll? So ist es doch auch mit der Religion, oder? Sie hat die Aufgabe, den Menschen klein und für die Mächtigen gefügig zu machen. Deshalb wollen viele Menschen heute damit nichts mehr zu tun haben.

In der Tat stellt sich das Gefühl der Ehrfurcht ein, wenn ich etwas Großem, weitem begegne. Sei es ein gigantischer tosender Wasserfall, der mich in seiner Macht fasziniert und auch ein wenig erschreckt. Sei es ein anderes überwältigendes Naturereignis. Ehrfurcht hat in der Tat damit zu tun, dass jemand etwas Großem oder Weitem begegnet. Im Verhältnis dazu fühlt sich ein Mensch dann plötzlich kleiner. Ehrfurcht stellt sich dann ein, wenn etwas über das, was wir im Alltag gewöhnt sind, hinausgeht.

Im Brockhaus von 1896 wird die Ehrfurcht als „der höchste Grad der Ehrerbietung, das Gefühl der Hingabe an dasjenige, was man höher schätzt als sich selbst“ definiert.

Modern würden wir es vielleicht einen “Wow“-Moment nennen. Ein Moment, der uns zum Staunen bringt, uns innehalten lässt und das Gefühl gibt, wir erleben etwas Außergewöhnliches.

Man könnte deshalb sagen: Ehrfurcht öffnet unseren Horizont über den Alltag hinaus, macht uns empfänglich für etwas Besonderes, Geheimnisvolles. Sie lehrt uns Staunen.

Ein solcher Ehrfurchtsmoment war es, als Mose, der gerade vor dem Pharao aus Ägypten in die Wüste fliehen musste, beim Schafe hüten einen Busch sieht, der zwar brennt, aber nicht verbrennt. Mose staunt, wird neugierig und geht näher heran.

Plötzlich hört er eine Stimme, die zu ich sagt: „Ziehe deine Schuhe aus. Du stehst auf heiligem Boden.“

Das Schuhe ausziehen hat mit Reinheit zu tun. Wer im Orient in ein Haus geht, der zieht die Schuhe aus, lässt den Staub der Straße an der Eingangstür zurück. Die Schuhe ausziehen hat aber auch etwas Verletzliches. Wer schon einmal barfuß gegen eine Kante gestoßen ist, weiß, was ich meine.

An diesem, die Neugier erweckenden Dornbusch, begegnet Mose nun Gott. Es entsteht für ihn ein wahrer Ehrfurchtsmoment: Gott gibt ihm einen Auftrag: Geh zum Pharao und sage ihm, er soll das Volk Israel frei lassen.

Mose zuckt zurück. Er fühlt sich dem nicht gewachsen. Aber Gott bestärkt ihn. Und so macht sich Mose auf den Weg. Geht zum Pharao und nach einigem hin und her darf das Volk tatsächlich Ägypten verlassen.

Im Unterschied zur Angst, die lähmt, hat der Ehrfurchtsmoment vor Gott eine ganz andere Wirkung: Er ermutigt, gibt Motivation, Mut und verändert Mose. Er traut sich etwas zu, was er vorher für unmöglich gehalten hätte. Mose macht sich auf den Weg und tritt den Mächtigen entgegen. Er geht zum Pharao und sagt: „Lass mein Volk frei.“

Die Ehrfurcht macht den unendlichen Unterschied zwischen Mensch und Gott deutlich, wie es der evangelische Theologe Karl Barth formuliert hat.

Insofern stimmt die Kritik an der Religion, dass ein ehrfürchtiger Glaube den Menschen kleiner macht, weil sie ihn nicht als Mittelpunkt von allem ansieht. Die religiöse Ehrfurcht holt den Menschen vom Thron seiner Allmachtsfantasien und räumt mit dem Gedanken auf, dass jeder alles können muss und sich ständig vervollkommnen muss. Das Gefühl der Ehrfurcht rückt unser Menschsein im Gefüge des Alls zurecht. Aber sie ist kein Ausdruck von Kleinheit und Schwäche. Im Gegenteil. Wer sich vor Gott beugt, braucht vor den Mächtigen nicht zu buckeln. So konnte Mose dem Pharao gegenübertreten und Tacheles mit ihm reden.

Ehrfucht, man kann sie auch Gottesfurcht nennen, ist somit kein Gefühl, das uns klein macht. Im Gegenteil, sie gibt uns ein Gespür für das Unendliche, für das, was über die Grenzen unseres Denkens hinaus geht. Das brauchen wir heute.

Ihr Matthias Kraft, Pfarrer