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Brensbacher Nachrichten
Ausgabe 44/2023
Kirchliche Nachrichten
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Gedanken zum Wochenende

die Gedanken zum Wochenende stammen diesmal von Matthias Kraft, Evangelische Kirchengemeinde Brensbach

Wir vier Kirchengemeinden in Brensbach wünschen Ihnen ein schönes Wochenende.

Anja Encarnacao, Katholische Kirchengemeinde
Miriam von Nordheim-Diehl, Evangelische Kirchengemeinde Wersau
Cyrille Tchamda, Freie Christengemeinde
Matthias Kraft, Evangelische Kirchengemeinde Brensbach

Liebe Leserin, lieber Leser,

am 31. Oktober war Reformationstag. Ende Oktober 1517 veröffentlichte der katholische Theologieprofessor Dr. Martin Luther in Wittenberg 95 Thesen gegen den Ablasshandel. Er kritisiert die Praxis der Kirche seiner Zeit, Errettung aus dem Fegefeuer gegen Geld anzubieten. Ihm missfiel der Druck, der auf Menschen ausgeübt wurde, und das Bild von einem strafenden und unbarmherzigen Gott, das damit transportiert wurde.

Luther und mit ihm viele andere entdeckten, dass die Bibel anders von Gott redet: Gott ist barmherzig, er ist voller Liebe. Er schürt nicht die Angst. Deshalb wollte Luther ein Gespräch der Theologen anregen, um diese Fehldeutung des Glaubens zu korrigieren.

Seine Ideen wurden von einigen seiner Studenten aus dem Lateinischen übersetzt, gedruckt und einem breiten Publikum bekannt gemacht. Plötzlich wurde aus dem Gesprächsvorschlag für kleine Universität in Wittenberg ein Bestseller. Damit begann eine gesellschaftliche Debatte über die Kirche, über Gott und die Frage, was christliches Leben bedeutet.

1521 auf dem Reichstag in Worms musste sich Luther dann vor dem Kaiser und den Gesandten des Papstes für seine Ideen rechtfertigen. Er sollte seinen Standpunkt aufgeben oder aus der Gesellschaft ausgestoßen zu werden. Viele zitterten damals mit. Würde er bei seinem Standpunkt bleiben, oder würde er vor dem Kaiser einknicken?

Luther bat sich einen Tag Bedenkzeit aus. Dann trat er vor den Kaiser, die Fürsten und die päpstliche Delegation und stand zu seiner Überzeugung:

„Da mein Gewissen in den Worten Gottes gefangen ist, kann ich und will nichts widerrufen, weil es gefährlich und unmöglich ist, etwas gegen das Gewissen zu tun. Gott helfe mir. Amen.“ So endete seine Rede vor dem Reichstag. Damit begann für Luther und seine Unterstützer eine schwierige Zeit. Luther, und wer ihm folge, war aus der Gesellschaft ausgeschlossen. Wer in fand, durfte ihn töten. Dennoch machte Luther und seine Freunde weiter. Die Reformation breitete sich aus. 1530 wurden nach schweren Auseinandersetzungen im ganzen Reich die Evangelischen als eigenständige Konfession neben der katholischen Kirche akzeptiert.

Europa stand nun vor der Frage, ob die Gesellschaft es aushält, dass es mehrere Kirchen gibt und in einem Land Menschen ihren Glauben an Gott in unterschiedliche Weise leben. Für Europa war dies eine neue Entwicklung. Das Ergebnis nach vielen Konflikten war: Ja, es geht. Menschen können in einer Gesellschaft unterschiedliche Überzeugungen haben und dennoch miteinander leben.

Heute ist es selbstverständlich ist, dass katholische, orthodoxe, freikirchliche und evangelische Christen zusammenleben, einander heiraten können und ökumenische Gottesdienste feiern. Für Luther und seine Zeitgenossen war dies kaum vorstellbar. Über Jahrhunderte haben Christinnen und Christen die Ideen Luthers und der anderen Reformatoren weitergedacht. Dies hat auch die Katholische Kirche und vieles in der Welt verändert: Für die Reformatoren war wichtig, dass die Kirche, dass die Reformation kein einmaliges Ereignis war. „Die Kirche muss immer wieder reformiert werden.“ Das ist bis heute ein Leitsatz der Evangelischen Theologie.

Wie können wir die Reformation heute weiterdenken? Wenn Gott ein barmherziger Gott ist, wie die Reformatoren es aus der Bibel gelernt haben, dann sollte dies Auswirkungen auf unser Leben und auf unsere Gesellschaft haben. Sie sollte von Barmherzigkeit durchdrungen sein. Wenn es zum Christsein dazugehört, seinem Gewissen zu folgen, dann müssen wir uns gegenseitig dabei zu unterstützen, unser Gewissen zu entwickeln. Wir haben immer wieder zu fragen, was richtig ist und was unsere Gesellschaft und die Welt weiterbringt. Luther wollte ein Gespräch anstoßen, um im Dialog die Wahrheit zu suchen.

Gedanken und Ideen reifen, indem sie formuliert, kritisch hinterfragt und weiterentwickelt werden. Die Suche nach Wahrheit ist für uns Menschen nur im Gespräch möglich. Luther hat auf dem Reichstag in Worms abgelehnt, seine Lehren zu widerrufen, weil ihm das Gespräch verweigert wurde. Er hat eingefordert, dass man ihn mit Argumenten überzeugt. Diese blieben aber aus. An ihre Stelle trat der Zwang. Dazu sagte Luther: „Nein“. Ihm ging es um die Möglichkeit der Auseinandersetzung und der Argumentation.

Wir brauchen diese Möglichkeiten heute genauso. Gerade in unserer Zeit, die von Kriegen erschüttert ist, unter Polarisierungen, Vorurteilen und Hass leidet, ist es wichtig, den Dialog zu suchen, zuzuhören und nicht dem Gesprächspartner vorschnell zu diskreditieren.

Matthias Kraft, Pfarrer