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Zeiler Nachrichten Amts- und Mitteilungsblatt der Stadt Zeil a Main
Ausgabe 10/2024
Aus unserer Stadt -USR-
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Das Vexierspiel der Gewalt – Wanderlesung in Zeil am Main

Die Akteurinnen von li na re: Christa Doelker, Petra Hohenberger, Martina Angebrand, Ute Wolf, Monika Schraut

Die beiden Schwestern streiten um die Rechtmäßigkeit des Hexenprozesses ihres Vaters. Monika Schraut (li) und Martina Angebrand.

Zeil: Eine Schwester schreit der Schwester ihre Verachtung ins Gesicht. Verzweifelt über die drohende Hinrichtung des Vaters, den man ins Malefizhaus gesteckt hat. Die andere ist unerschütterlich in ihrem Glauben an die Heilige Mutter Kirche. Denn diese kann nicht irren, selbst wenn es den eigenen Vater betrifft. Er muss sich mit dem Teufel eingelassen haben, denn „Gott lässt nicht zu, dass ein Unschuldiger gerichtet wird.

Die Mechanismen von Macht und Glaube, Unrecht und Gewalt werden transparent im Roman „Die Hexe von Zeil“ von Harald Parigger. Monika Schraut und Martina Angebrand haben aus dem Text ein szenisches Lese- und Spielstück herausdestilliert, das am vergangenen Wochenende in Zeil inzeniert wurde.

Hinter Pariggers fiktiver Heldin Ursula steht tatsächlich eine historische Figur, nämlich Veronika, Tochter des Bamberger Bürgermeisters Johannes Junius, 1628 Opfer der Hexenverfolgung. Von ihm ist ein Brief erhalten geblieben, in dem er seiner Tochter Veronika versichert: „Unschuldig bin ich in das Gefängnis gekommen, unschuldig bin ich gemartert worden, unschuldig muss ich sterben.“

Mit diesem Briefdokument setzt die Wanderlesung ein: Die beiden ungleichen Schwestern stehen sich gegenüber. Hier die Ursula/Veronika, die ihrem Vater in grenzenloser Kindesliebe vertraut und dessen Hinrichtung vehement verhindern will, dort die Barbara/Anna-Maria, noch ihres Kirchenglaubens so gewiss. Martina Angebrand spielt die verzweifelt kämpfende Ursula kraftvoll und leidenschaftlich. „Vater ist kein Hexer!“ - ihr Schrei ist so überzeugend, dass dem Zuschauer ein Schauer überläuft.

Nach der Annakapelle nehmen die Akteurinnen ihr Publikum an drei weitere Spielorte mit.

Besonders im „Hexenturm“ sind die Eindrücke stark. Das Publikum sitzt von unten nach oben verteilt auf den Treppenstufen in dem dunklen Turm und lauscht den Stimmen, die den beklemmenden Fortgang der Geschichte berichten. Wie Ursula in der fürchterlichen Dunkelheit der Zelle ihre Mitgefangene, die unbeugsame Anna Neuberger kennenlernt, die ihr Rat und Trost spendet und doch nicht ihren Zusammenbruch verhindern kann. Zu vernichtend ist die gezielte, heimtückische psychische und physische Vernichtung. Das namenlose Entsetzen wächst mit jedem dumpfen Trommelschlag. Und so verlassen die Besucher fast gerne diesen „Hexenturm“.

Die Zuschauer erleben Ursulas Kampf um den Vater, ihre Verhaftung, ihre Ohnmacht im Prozess, ihre gütliche und schließlich „peinliche Befragung“, also der Folterung, ihren Zusammenbruch und schließlich ihre Befreiung und Flucht. Ein eine glückliche Rettung, die den wahren Opfern nicht vergönnt war. Ja, es tut gut, am Ende des Abends das befreiendes Ende zu erleben und gleichzeitig war jedem bewusst: Über 400 Männer, Frauen und Kinder entkamen damals in Zeil einst nicht.

Von der Annakapelle zum „Hexenturm“, dann ins Dokumentationszentrum bis in den Rathaussaal wurden die Besucher von Monika Schraut und ihrem kongenialen Team begleitet.

Martina Angebrand als fiktive Ursula spielte auch atmosphärisch beeindruckend das Saxophon im dunklen Verlies der Hexenturms. Christa Dölker führte als Moderatorin gekonnt das Publikum durch den Abend und fungierte als Erzählerin. Ute Wolf war für die gelungene Programmgestaltung zuständig und an Flöte und Trommel zu hören. Petra Hohenberger spielte am Abend die Gefangene Anna Neuberger und war für die Organisation im Rahmen der vhs Zeil zuständig. Monika Schraut gab die Schwester Barbara, spielte Flöte und war als Erzählerin, sowie in der Regie tätig.

Das Team hat es geschafft, die Mechanismen von brutaler Macht, Verfolgung, Gewalt, systematische Verunsicherung und Grausamkeit, bloßzustellen und transparent zu machen. Lehrreiches Theater in schönster Form, man wünscht sich noch tausende solcher Vorstellungen mit tausenden Besuchern.

Monika Schraut zieht am Ende Bilanz: Wir sind verbunden mit den Menschen unserer Zeit und den Menschen der Zeit vor uns und haben eine Verpflichtung für die Menschen, die nach uns kommen. Wir müssen uns zusammentun und immer wieder neu versuchen Gewalt und Unterdrückung zu überwinden. Deshalb geht der Erlös der Wanderlesung an den Verein Terre des Femmes – Menschenrechte für Frauen.

Die gelungene Performance aus Spielstättenatmosphäre, Lesung, Musik, Bildern und historischen Informationen schließt mit einem gemeinsam gesungenen Lied. Die Weise aus dem 17. Jahrhundert „Nun ruhen alle Wälder“ ist voller Hoffnung und Sehnsucht nach Friedfertigkeit in allen Jahrhunderten.