Auf diesem Holzschnitt zeigt sich ein selbstbewusster Schultheiß mit dem Rücken zum Betrachter gewandt. Die stilisierte Darstellung stammt aus dem 16. Jahrhundert. Im oberen Spruchtext heißt es u.a.: „Dann man muß halten an dem ort / Gut Regiment nach Gottes Wort.“
Unter der Dorflinde, die zentral im mittelalterlichen Dorf zu finden war, fanden verschiedenste Zusammenkünfte statt. Wenn eine Gerichtstagung angesetzt war, trat der Schultheiß wie folgt auf: „Der Schultheiß mit weißem Mantel, den Gerichtsstab in der rechten Hand, hegte das Gericht in feierlicher Weise, ermahnte zur Wahrheit, gebot Frieden und Wohlverhalten, erinnerte die Schöffen an ihren Eid und daran, daß sie einst Gott dem Allmächtigen am Jüngsten Tag Rede und Antwort zu geben hätten.“
Lindenplatz in Güttersbach. Im Schatten der Lindenbäume steht der angebliche Gerichtstisch. Nach Hans Gelbhaar (1980) wurde im Zuge einer Kirchenrenovierung (1728 oder 1740) die alte Altarplatte mit den Maßen 2,50 m x 1,25 m aus der Kirche auf den Lindenplatz verbracht. Anschließend bildete sich im Lauf der Zeit die Legende vom Gerichtstisch unter den Linden. Dennoch ist für Güttersbach eine sog. Malstätte (Versammlungsort eines Gerichts) eindeutig nachweisbar. Unter den „Gerichtslinden“ am Dorfplatz, in unmittelbarer Nähe zur Kirche, tagte alljährlich ein Haingericht. Auf dem Bild ist im Hintergrund das Gasthaus „Zum Goldenen Löwen“ (links), die ehemalige Schulscheuer (mittig im Hintergrund) und das Schulhaus (rechts, verdeckt) zu sehen (Aufnahme um 1935).
Wappen der Schenken von Erbach (ab 1532 Grafen). Die gnädige Herrschaft setzte die Schultheißen ein, die im Sinne der Obrigkeit, als deren Beamte für Recht und Ordnung zu sorgen hatten.
Von Robin Helm
Bis weit ins 18. Jahrhundert hinein besaßen die beiden Dörfer Güttersbach und Hüttenthal einen gemeinsamen Schultheißen, der in Personalunion für beide Gemeinden verantwortlich war. Aufgrund dessen widmet sich der vorliegende Bericht den ehemaligen Schultheißen dieser beiden benachbarten Ortschaften zu. In einer möglichst kompakten Darstellung wird versucht, eine übersichtliche Auflistung aller jemals amtierenden Schultheißen zu erbringen. Neben dem Namen, den Lebensdaten und der Amtszeit sind noch weitere aufschlussreiche Informationen nachzulesen.
Die ersten fassbaren schriftlichen Hinweise stammen aus dem 16. Jahrhundert, dem Übergang vom Spätmittelalter zur frühen Neuzeit. Hier sind es vorrangig Gerichtsprotokolle, Gutsübergaben oder Eheverabredungen, aus denen die Namen der Schultheißen entnommen werden konnten. Für die Zeit davor eröffnen Gült- Zins- bzw. Salbücher aufschlussreiche Einblicke in die dörfliche Struktur. Jedoch werden die Schultheißen dort nicht namentlich genannt. Oftmals steht aber die größte Hube bzw. der einflussreichste Einwohner am Beginn dieser Zählungslisten, sodass der erst genannte Name auch als Inhaber des Schultheißenamtes vermutet werden kann. Mithilfe der Güttersbacher Kirchenbücher, die im Jahr 1600 ihren Anfang nehmen, wird eine detailliertere Erschließung der darauffolgenden Zeiträume ermöglicht. Jedoch besteht für die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts eine fast 50-jährige Quellenlücke. Jenes „Loch“ brannte sich sprichwörtlich in die Regionalhistorie ein, als im September 1944 ein im Staatsarchiv zu Darmstadt befindliches Güttersbacher Kirchenbuch (1751 bis 1799) bei einem verheerenden Bombenangriff zu Asche verfiel. Um dennoch Licht ins Dunkle zu bringen, wer und wann im genannten Zeitabschnitt als Schultheiß amtierte, wurde auch auf Kirchenbücher umliegender Siedlungen zurückgegriffen. Die daraus resultierenden Daten ergaben allerdings nur bruchstückhafte Hinweise, sodass viel Interpretationsspielraum verbleibt.
Bevor die besagte Auflistung beginnt, soll zunächst eine allgemeine Einführung des Schultheißenamtes vorangestellt werden. Das Amt des Schultheißen wurzelte im Mittelalter und existierte bis weit in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts fort. Der Schultheiß war ein mit richterlicher und exekutiver (polizeilicher) Gewalt ausgestatteter Vertreter der Landesherren, der im Namen der Obrigkeit für die Einhaltung von Recht und Gesetz zu sorgen hatte. Er wurde von der Herrschaft eingesetzt und fungierte als eine Art örtlicher Verwaltungsbeamter oder Gemeindevorsteher. Seine Hauptaufgabe bestand darin, die Mitglieder einer Gemeinde zur Erfüllung ihrer Verpflichtungen gegenüber der Herrschaft anzuhalten (z.B. Abgaben fristgerecht zu entrichten). Nebstdem sprach der Schultheiß, wie die Amtsbezeichnung es erahnen lässt, Recht. Denn der Schultheiß war jemand „der Schuld heischte“. Als Richter trat der Schultheiß meist nur im Rahmen der sog. niederen Gerichtsbarkeit in Erscheinung, d. h. er befasste sich mit alltäglichen Delikten. Im Folgenden sei noch auf eine ausführliche Definition verwiesen, die im Buch zur Ortsgeschichte des Dorfes Momart (Bad König) abgedruckt zu finden ist - darin heißt es auf Seite 24: „Dem Amtmann bzw. Centschultheißen war in den einzelnen Dörfern der Schultheiß unterstellt. Die Amtsbezeichnung läßt sich auf „Schuld“ und „heischen“ zurückführen. Dies macht deutlich, daß es Aufgabe des Schultheißen war, in seinem Ort nach dem Rechten zu sehen, Verstöße gegen die geltenden Rechtsvorschriften festzustellen und ihre Ahndung zu veranlassen. Der Schultheiß übte in seinem Dorf die Polizeiaufsicht aus und sorgte dafür, daß den Anordnungen seiner vorgesetzten Behörden Folge geleistet wurde. In allem hatte er die Ortsbewohner zur Einhaltung ihrer Pflichten anzuhalten. Gewöhnlich wurde er auf Vorschlag der Centschöffen von der Herrschaft eingesetzt, in der Regel auf Lebenszeit. Es gab Orte in denen das Schultheißen-Amt von der einen auf die nächste Generation „vererbt“ wurde. In der Regel entstammte der Amtsinhaber einer einheimischen Familie und war mit den Verhältnissen im Dorf bestens vertraut.“
Aus der Dorfordnung Güttersbachs vom 30. Juli 1728 lassen sich einige Aspekte im Hinblick auf den Schultheißen herausstellen. Bei Punkt zwei heißt es: „Soll Schultheiß und Gemeind den Tag nach Georgen-Tag [Anm. Verf.: 29. März] die Bann Zeune [Anm. Verf.: der Bannzaun war eine Art Grenzzaun - trennte den inneren Dorfbereich von der Dorfflur ab] besichtigen, und derjenige so das seinige nicht recht verwahret, umb Ein-Orths-Gulden gestrafft werden.“ Des Weiteren geht aus dem schriftlichen Zeugnis hervor, dass jährlich mindestens ein Haingericht (Wald-, Feld,- Holzgericht) in der Gemeinde abgehalten werden sollte. Dieses fand am Dorfmittelpunkt auf dem Lindenplatz unterhalb der Kirche statt. Zum Haingericht versammelte sich die gesamte Ortsgemeinde, um örtliche Verstöße oder sonstige Angelegenheiten hinsichtlich Wald, Wasser, Weide, Weg und Steg zu regeln bzw. kleinere Verfehlungen zu ahnden. Falls ein Ortseinwohner einer Aufforderung des Schultheißen nicht Folge leistete, dann „soll solchem umbda mehr und größeren Ungehorsambs willen, auch eine größere strafe entweder von Gnädigster Herrschaft selbsten oder dero Beambten anzusetzen vorbehalten seyn.“ Am Schluss des Regelwerks (Punkt 20) wird dem Schultheißen noch eine besondere Rolle beigemessen: „Was dann also bey der Gemeinde an strafen einkombt, davon soll ihnen nach gelegenheit aber nicht alles zu vertrincken erlaubt, das übrige aber von dem Schultheißen fleißig zusammen gehalten und zu gemeinem Nutzen angelegt auch darüber alle jahr bey haltung des Haingerichts richtige Rechnung gethan werden. […].“
Nachdem die Grafschaft Erbach 1806 zum überwiegenden Teil dem Großherzogtum Hessen zugeschlagen worden war (Rheinbundakte) und damit aufgehört hatte, als eigenständige Herrschaft zu bestehen, kamen die Rechte der vorherigen Landesherren, den Erbacher Grafen, allmählich ins Wanken. Auch das Schultheißenamt sollte nicht unangetastet bleiben. Vorerst jedoch konnten die alten Souveräne ihre Aufgaben in der Rechtsprechung und Verwaltung behalten. Zunächst musste nämlich der Staat (Großherzogtum Hessen-Darmstadt) mit jedem der einzelnen Standesherren vertragliche Übereinkommen treffen, um die von diesen bis dahin ausgeübte Gerichtsbarkeit in die staatliche Rechtsprechung zu übertragen. Dieser Transformationsprozess zog sich bis in die Mitte der 1820-er Jahre hin. Aus diesem Grund unterschied man im Großherzogtum Hessen zu jener Zeit zwischen zwei Gebieten. Zum einen diejenigen Landflecken, in denen zuvor adlige Regenten regiert hatten (z.B. die Grafschaft Erbach), den sog. Souveränitätslanden und zum anderen den Dominiallanden, jene Gebiete, die schon zuvor durch den Großherzog bzw. Landgrafen von Hessen-Darmstadt beherrscht wurden. Am 17. Dezember 1820 wurde die Verfassung des Großherzogtums Hessen verkündet und anschließend am 14. Juli 1821 eine umfassende Verwaltungsreform durchgeführt. Aufgrund dieser Neuregelungen wurde insbesondere die Verwaltung und die Rechtsprechung voneinander getrennt, sodass für die Administration Landratsbezirke und für das Justizwesen Landgerichte entstanden (1822). Im Zuge der Verwaltungsreformen wurde am 30. Juni 1821 auch eine moderne Gemeindeordnung beschlossen. Der alte überkommene genossenschaftliche Gemeindeverband wurde durch ein Gemeinde- und Einwohnerbürgerrecht ersetzt. Im Resultat wurden Bürgermeistereien für einzelne oder auch mehrere Orte geschaffen, die mindestens 400 bis 500 Einwohner aufzuweisen hatten. Dementsprechend bildeten größere Ortschaften eigene Bürgermeistereien und kleinere Siedlungen wurden zu einer gemeinsamen Bürgermeisterei zusammengefügt. Aufgrund dessen bildeten Güttersbach, der erbachische Teil Hiltersklingens und Teile von Hüttenthal eine gemeinsame Bürgermeisterei (bis ca. 1850). An der Spitze der Bürgermeisterei stand ein gewählter Ortsvorstand, der sich aus Bürgermeister, Beigeordneten und Gemeinderat zusammensetzte.
Die männlichen Einwohner wählten drei Personen, aus denen die Obrigkeit dann den Bürgermeister auswählte. Dieses System führte dazu, dass die Obrigkeit noch bis zum Revolutionsjahr 1848 ihr nicht genehme Kandidaten verhindern konnte. Schlussendlich verloren die bisherigen Schultheißen ihre vorherige traditionelle Stellung. Allerdings heißt es in Artikel 20 des Gemeindegesetzes von 1821: „Die jetzigen Schultheißen und Bürgermeister [Anm. Verf.: das Amt des Bürgermeisters existierte schon vor dem Gesetz von 1821, besaß aber nur die Funktion eines Gemeinderechners] in den Provinzen Starkenburg und Oberhessen […] legen unmittelbar nach der Bestätigung der zunächst bevorstehenden Wahlen ihr Amt nieder, können aber durch diese bevorstehenden Wahlen allerdings als Bürgermeister wieder eintreten, so wie es sich von selbst versteht, daß die Staatsregierung sie als Polizeibeamte beibehalten kann. In jedem Falle sind die genannten Schultheißen, wenn sie nicht provisorisch oder auf Widerruf angestellt sind, berechtigt, ihr gesammtes Diensteinkommen fort zu beziehen. In der Regel hat die Gemeinde diesen Gehalt zu entrichten; […].“ Demzufolge konnten die bisherigen Schultheißen das neu geschaffene Amt des Großherzoglich-Hessischen-Bürgermeisters übernehmen oder als Polizeibeamter weiterhin für Recht und Ordnung sorgen. In Güttersbach und Hüttenthal blieben die bisherigen Schultheißen - Johann Konrad Beisel für Güttersbach sowie Johann Jakob Fay für Hüttenthal - auf Lebenszeit in Amt und Würden. Sie traten aber nicht, wie es in anderen Orten der Fall war, das Amt des Bürgermeisters an. Zum neuen Bürgermeister wurde Johann Jacob Bär (*errechnet 21. Dezember 1777 Güttersbach +22. April 1854 Güttersbach) gewählt. Allerdings übernahmen Beisel und Fay weiterhin die Befugnisse eines Polizeibeamten. Nach dem Ableben dieser letzten Schultheißen, kam es jedoch zu keiner Neubesetzung des alten Amtes – der Schultheiß hatte ausgedient.
Teil II. in der nächsten Ausgabe