Dieses Porträt von 1873 zeigt den damals Anfang 40-jährigen Rektor Friedrich Meyer. Zwei Jahre zuvor hatte er die Pfarrstelle von Güttersbach verlassen. Unter dem Bildnis befindet sich Meyers Devise „Meine Seele ist stille zu Gott, der mir hilft“. Nach diesem Leitsatz lebte und arbeitete der Geistliche. Ganz unten ist noch Meyers Unterschrift zu sehen.
Meyer stand, bevor er 1860 nach Güttersbach kam, als Erzieher bei Franz Eberhard (XV.) Graf zu Erbach-Erbach in Diensten.
Nachdem Meyer Ende 1857 zum Hofkaplan ernannt wurde, fanden unter seiner Leitung Gottesdienste für die gräfliche Familie in der Kapelle des Eulbacher Parks statt.
Das Güttersbacher Pfarrhaus wurde zwischen 1594 und 1597 errichtet. Es ist ein stattlicher Bau mit großer Freitreppe. Als Friedrich Meyer als Pfarrherr darin wohnte, waren die Räumlichkeiten jedoch feucht und modrig. Außerdem fühlte sich Meyer in seinem neuen Heim einsam. Im Hintergrund rechts ragt der Turm der Quellkirche hervor.
Bildnis von Alfred Graf zu Erbach-Fürstenau. Der Standesherr war zugleich Patron der Güttersbacher Kirche. Er wies eine aufgebrachte Abordnung der Gegner Meyers ab und hielt an ihm fest.
Im Jahr 1895 veröffentlichte Emil Kraus (*1839 +1899) eine Buchpublikation mit dem Titel „Friedrich Meyer. Pfarrer und Rektor der Diakonissen in Neuendettelsau“. Der Autor, der 1875 kurzzeitig wegen unbefugter Überschreitung kirchenamtlicher Funktionen (Renitenz gegen die Kirchenverfassung) entlassen wurde, war zugleich ein Vertrauter und Kollege Meyers und zeichnet in seinem ideologisch gefärbten Werk ein überaus positives Lebensbild des geistlichen Freundes nach. Insgesamt verfolgt Kraus das Ziel, die konservativen Glaubensauffassungen Meyers als auch die seinigen zu relativieren und ins rechte Licht für die Nachwelt zu rücken. Denn vor allem in Kirchenfragen waren die beiden Männer ein und derselben Meinung. Nur hie und da schwingt unterschwellig auch mal eine kritische Anmerkung über manch persönliche Eigenschaft Meyers mit. Unter Kapitel 3 (Seite 30 bis 42) befindet sich ein interessanter Abschnitt mit dem Titel: „Pfarrer in Güttersbach und Michelstadt“. Fast 11 Jahre lang, von Ende 1860 bis zum Sommer 1871, stand Meyer als Pfarrherr des Kirchspiels Güttersbach in Diensten. Aus dem besagten Abschnitt geht unmissverständlich hervor, dass Friedrich Meyer in Güttersbach sowie den Filialorten - Hüttenthal, Hiltersklingen und Olfen - nur von einem Bruchteil der Bevölkerung Akzeptanz erfahren hatte. Der Großteil der Kirchspielbewohner, allem voran die Gutsbesitzer, betrachteten Meyers Glaubensprinzipien und religiösen Verhaltensnormen mit Argwohn und lehnten dessen Amtsführung gar völlig ab. Der Geistliche nahm sich die enorme Ablehnung seiner Gemeinde zu Herzen, konnte aber von seinen Glaubensüberzeugungen und Amtsprinzipien aus Gewissensgründen keinen Abstand nehmen und versuchte vergeblich die Gemeindebewohner von seinen „wahren“ Ansichten zu überzeugen. „Meine Seele ist stille zu Gott, der mir hilft“, lautete seine Maxime, denn stets suchte er in schweren Zeiten Gott als feste Stütze auf.
Friedrich Meyer wurde am 17. März 1832 in Darmstadt als einziges Kind des Hofgerichtssekretärs Theodor Meyer sowie der Karoline geborene Pietsch geboren. Der Knabe war von früher Jugend an musikalisch begabt und besuchte das Darmstädter Gymnasium. Aufgrund des frühen Ablebens seines Vaters, der am 24. Oktober 1842 an Typhus verstarb, wurde er mit bereits 10 Jahren Halbwaise. Ein Freund der Familie, Wilhelm Mann, übernahm als Pflegevater die Vaterrolle. Nach dem sehr gut bestandenen Abitur nahm Meyer im Herbst 1849 ein Theologiestudium in Gießen auf. Am 1. Christtag 1851 hielt Meyer seine erste Predigt in Odernheim (Rheinhessen) und im August 1853 legte er das Fakultätsexamen ab. Ab dem 21. Oktober 1853 besuchte er das Predigerseminar in Friedberg, welches er im September 1854 mit einem hervorragenden Zeugnis verlassen konnte. Danach schloss er seine Ausbildung im Frühjahr 1855 mit der sog. Definitorialprüfung vor dem Darmstädter Oberkonsistorium ab, die er mit der Benotung „sehr gut“ bestanden hatte. Sodann trat Meyer eine Stellung als Erzieher und Hauslehrer im Grafenhaus von Erbach-Erbach an. Seine Richtschnur in Erziehungsfragen war eine „ruhige, liebevolle, konsequente Anleitung zum Gehorsam.“ Für ihn bildete der Gehorsam die Grundlage aller Erziehungsfragen - hierzu schrieb er: „Die Basis ist der Gehorsam gegen Gottes Gebot und gegen das in der Gottesfurcht gegründete Elternwort. Es ist etwas köstliches um die Konsequenz in der Erziehung. […]. Der Mangel an Konsequenz in der Erziehung von der Wiege an ist Schuld an den Tausenden von charakterlosen Männern und Frauen, die wir haben. Ebenso ists mit der Ordnung. Es muß im Hause alles am Schnürchen gehn, auch nach der Uhr alles auf die Minute, […].“
Drei der insgesamt sechs Söhne von Franz Eberhard (XV.) Graf zu Erbach-Erbach (*1818 +1884) starben bereits im Kindesalter. Im Sommer 1857 unternahm Meyer eine Studienreise nach Hermannsberg, Leipzig und Neuendettelsau. Am 27. November gleichen Jahres wurde er vom Grafen zum Hofkaplan ernannt und dabei auf die althessische Kirchenordnung ordiniert und dem dortigen Pfarramt als Assistent anvertraut. In der Kapelle des Eulbacher Parks hielt Meyer Gottesdienste ab - hierzu ist überliefert: „Versteckt unter Baum und Strauch auf der Insel des stillen Sees liegt meine Kapelle, über ihr tief blauer Himmel und ringsumher trauliche Waldesstille.“
Dem Feld der Musik blieb Meyer während seiner Dienstjahre im Grafenhaus weiterhin treu. Dort musizierte er für den Standesherrn und erhielt von demselben ein Harmonium sowie ein Klavier, das später als Inventarstück auch im Güttersbacher Pfarrhaus stand. Am 08. August 1859 erlitt Graf Franz Eberhard infolge eines Jagdunfalls im Thüringer Wald eine schwere Armverletzung, die der Adlige knapp überlebte. Meyer richtete in dieser Zeit Betstunden für die schwer getroffene Familie ein. Im Frühjahr 1860 reifte in Meyer der Entschluss, einen neuen Lebensweg zu beschreiten. Er schrieb: „Jetzt sind 5 Jahre voll Leid und Freud, voll Sünde und Gnadenbeweise hier verstrichen. Das Herz sehnt sich jetzt nach einer neuen Stufe des zeitlichen Lebens. […]. Die natürliche Entwicklung drängt zum Abschluß. Es scheint mir an der Zeit, den Wanderstab zu ergreifen.“ Meyer trug sein Anliegen dem Grafenpaar vor und „beide Herrschaften hatten ein vollkommenes Verständnis für meine Wünsche […].“ In Güttersbach war zu jener Zeit die Pfarrstelle vakant geworden, nachdem Pfarrer Karl Heinemann (*1817 +1884) nach 15-jähriger Amtszeit den Ort verlassen hatte. Meyer schrieb hoffnungsvoll: „Lieblich wäre es, wenn der Herr uns nach Güttersbach führen wollte.“ Zugleich war Meyer über den geistigen Zustand des Kirchspiels Güttersbach informiert: „Die arme Gemeine hat zwar seit mehr als einem Menschenalter kein reines Gotteswort gehört und ein völliger geistlicher Tod scheint dort zu herrschen. Aber wenn man still von vorn anfängt läßt sich wohl ein Erfolg hoffen. Der Herr wird alles wohl machen.“ Folglich war er sich der schwierigen Situation bewusst, die in Güttersbach auf ihn wartete. Nach einer kurzen Verzögerung, die sich nach dem Wegzug des Vorgängers ergab, wurde Meyer Ende November die Pfarrstelle von Güttersbach übertragen. Allerdings zur Enttäuschung Meyers wurde er vorerst nicht zum Pfarrer, sondern bloß zum Pfarrverwalter ernannt. Erst zu Beginn des Jahres 1862 wurde er zum ordentlichen Pfarrherrn berufen. Die damit eingesparten Verdiensteinkünfte finanzierten die Wiederherstellung des Pfarrhauses mit.
An einem Donnerstag vor dem 1. Advent zog Meyer in Güttersbach ein und hielt sodann am 1. Advent 1860 seine Antrittspredigt. Vor seiner Ankunft in Güttersbach betete Meyer täglich, dass der Herr ihn im künftigen Amt segnen werde. Von Anfang an war der Ruf Meyers in seiner neuen Gemeinde zerrüttet. So eilte ihm der Ruf eines „finsteren Fanatikers, eines herzlosen Orthodoxen, eines lästigen Störenfrieds“ voran. Laut Emil Kraus sei im Güttersbacher Kirchspiel die Achtung vor dem geistlichen Amt bis auf wenige Ausnahmen zerronnen gewesen. Meyer hatte aber trotz allem die Zuversicht, „daß dort der Herr ein großes Volk habe.“
Ein anderer Problemherd stellte das neue Heim des Pfarrverwalters dar, welches ihm große Bedenken bereitete. Denn für Meyer war das Pfarrhaus ein einsames, kaltes und verwahrlostes Gebäude, welches in einigen Räumen feucht und modrig war. Laut Emil Kraus nahm sich Meyer in seinem privaten Haushalt „die Niedrigkeit und Bedürflosigkeit des Herrn zum Vorbild“. Nach 14 Tagen an seiner neuen Wirkungsstätte resümierte Meyer bedenklich: „Was für Tiefen des Herzens sind mir in diesen 14 Tagen, die ich nun hier bin, aufgegangen. Angst, Bangigkeit, Undank, Mißmut, Heimweh, […].“ Dennoch konstatierte er mit etwas Zuversicht: „Es ist mir mehr gelungen, mich hier einzuleben. Allmählich gewöhne ich mich an das Ungewohnte. Ich gewinne einen Überblick über meine Herde, erkenne deutlicher, was mir zu thun obliegt. Ich komme auch mehr unter Leuten herum und doch bin ich einsam.“ Nachdenklich und selbstreflektierend schrieb er weiter: „Wenn ich aufrichtig sein soll, so bekenne ich, daß ich diese Einsamkeit sehr schwer trage.“ Zu dieser Zeit fasste Meyer den Gedanken, dass er im Eheverbund wohl größere Freudigkeit zu seinem neuen Amt finden könnte. Meyer hatte sich bereits am 13. Januar 1858 mit Auguste Karoline geborene Martin aus Gießen verlobt, welche er nun am 17. Januar 1861 heiratete. Dem Paar entsprangen während Meyers Amtszeit in Güttersbach sechs Kinder, wovon eine Tochter im Kindesalter verstarb.
Meyers Glaubensauffassung, die als streng und entschieden zu beurteilen ist, rief im Kirchspiel alsbald heftige Reaktionen hervor. Die alte lutherische Erbacher Kirchenordnung, die Meyer vertrat und praktizierte, war in Güttersbach schon seit längerer Zeit außer Kraft gesetzt worden. Emil Kraus schrieb zur Vernachlässigung der alten Kirchenordnung: „Sie hatte, wer weiß was für subjektiven Einfälle der Vorgänger und dürftigen Gebetsformularen weichen müssen. Meyer nahm jene natürlich sogleich wieder in Gebrauch!“
Als Hauptgegner Pfarrer Meyers sind die Gutsbesitzer zu klassifizieren. Ein in einem Filial des Kirchspiels wohnender Bauer protestierte vehement gegen den neuen geistlichen Wind, der nun wehte. Jener Landwirt verfasste ein Protestschreiben, dessen Inhalt laut Emil Kraus aus „voller Übertreibung, Unwahrheiten und schiefen Urteilen“ bestand. Der Bauer ging sodann mit dem Schriftstück von Haus zu Haus und sammelte insgesamt 80 Unterschriften für sein Vorhaben. In der Beschwerdeschrift wurde gar das Ziel formuliert, mit einem Ersuchen das Kirchenregiment dahingehend zu bewegen, den unliebsamen Pfarrer abzuberufen und einen neuen Geistlichen anderer Sorte mit der Pfarrstelle zu betrauen. Das Kirchenregiment übersandte das Schreiben Pfarrer Meyer und bat um Bericht. Der bedrängte Geistliche bestellte daraufhin die Gemeinde zum nächsten Gottesdienst in die Kirche ein, um die Anschuldigungen zu entkräften. Das Güttersbacher Gotteshaus war an diesem Sonntag reich gefüllt und auch der Gutsbesitzer war anwesend. Laut Kraus war es ein leichtes für Meyer, „das Kirchenregiment von der Grundlosigkeit aller einzelnen Beschwerden zu überzeugen und damit war die Sache zum großen Ärger der Feinde der Kirche erledigt“. Damit aber noch nicht genug, denn die Gegner Meyers versuchten ihr Glück noch beim Patron des Güttersbacher Kirchspiels, bei Alfred Graf zu Erbach-Fürstenau (*1813 +1874). Mit einer Abordnung erschienen sie am Schloss zu Fürstenau und ersuchten den Adligen um ein Einschreiten gegen Meyer.
Jedoch hielt der Standesherr zum Dorfgeistlichen und wies die Klagen der unzufriedenen Gemeindeglieder ab. Emil Kraus schrieb über die Charakterisierung der Gutsbesitzer und die Folgezeit: „Etliche reiche, satte Bauern ärgerten sich noch eine Zeitlang über Meyers kräftigen Ruf zur Buße, sie waren bis dahin gewohnt allerlei liebliche Reden, nach denen ihnen die Ohren juckten, zu hören, Schmeicheleien über ihren Fleiß, Wohlstand und achtbaren Lebenswandel“. Pfarrer Meyer verweigerte sogar einem Bauern, der ein lasterhaftes Leben geführt und die Gottesdienste gemieden hatte, die Leichenpredigt sowie Beerdigung mit Sang und Klang. Unter einer Bedingung wollte er einlenken und die Beerdigung durchführen, indem er die Angehörigen aufforderte, Zeugnis gegen die Sünden des Verstorbenen abzulegen, was diese wiederum verweigerten. Diesmal zog Meyer jedoch den Kürzeren, da die Hinterbliebenen beim Dekan mit Erfolg protestierten.
Teil II. in der nächsten Ausgabe.