Menschen treten in unser Leben und begleiten uns eine Weile, einige bleiben für immer, denn sie hinterlassen Spuren. Völlig überraschend ist Josef Bertl am 22.12.2022 während der Generalprobe für die neu einstudierte Weihnachtsmesse inmitten der Chormitglieder zusammengebrochen und am frühen Morgen danach im Passsauer Klinikum verstorben.
Den beruflichen Werdegang kann man als maßgeschneiderter Tonleiter vom seinerzeitigen ausgebildeten Regensburger Domspatz über den Leiter verschiedenster musikalischer Einrichtungen bis zum Leiter der Musik-Grund und Mittelschule Ruhstorf skizzieren. Vielfältig waren die über 50-jährigen Wirkungsstätten wie z.B. Chorleiter und Dirigent des Ruhstorfer Pfarrchors, den er 2002 vom Organisten Wilhelm Spitzenberger übernommen hat, Chorleiter der Sängerrunde Karpfham und Vorsitzender des Dreiflüsse Sängerkreis Passau/Wegscheid.
In seiner über 40-jährigen Dienstzeit als Lehrer in Ruhstorf kam es unter seiner Führung zu folgenden bedeutsamen Entwicklungsstationen: 1970 Gründung der Musik-Grund- und Mittelschule Ruhstorf, 1974 wurde der Musikunterricht erweitert, 1988 Angebot von Wahlfach „Informatik“, 1996 Schulpartnerschaft mit der Musikhauptschule Schärding, 1998 Kooperation mit der Kreismusikschule Passau ab der 5. Klasse, 1999 Schulpartnerschaft mit der Mittelschule Meran, 1999 M-Zug ab der 7. bis zur 10. Jahrgangsstufe mit Abschluss „Mittlerer Bildungsabschluss“, 2003 war Bertl der Initiator von Bayerns erster Musik-Hauptschule in Ruhstorf, 2011 Bildung des Schulverbandes Pocking-Rotthalmünster-Ruhstorf.
Im Jahr 1981 wurde internationale Jahr der Behinderten ausgerufen. Die Idee von Herrn Bertl war, nicht nur sprechen, sondern wirklich was tun. Inklusive Bildung ist ein wichtiges Thema geworden (das gemeinsame Leben und Lernen von Menschen mit Behinderungen und Menschen ohne Behinderungen). Es wurden regelmäßige Treffen organisiert (in der Grund- und Mittelschule Ruhstorf und in der St. Ulrich Schule mit Karl Auer). In erste Linie ging es darum, die geistig behinderten Kindern zu integrieren (auch im musikalischen Bereich) und nach zwei Jahren der Begleitung verbrachten die Kinder beider Schulen eine Woche im Schullandheim. Auch diese Initiative trug die Handschrift von Josef Bertl.
Wer mit Rektor Josef Bertl zusammenarbeitete, erkannte sehr schnell, dass für ihn die Musik genauso wichtig war wie der Unterricht in Mathematik oder Deutsch. Musik fördert die Sozialkompetenz sagte der Pädagoge Bertl, selbst seit Jahrzehnten Musiker mit Leib und Seele. Die Kinder würden durch die Musik, egal, ob sie im Chor singen oder ein Instrument spielen, ruhiger, friedlicher und ausgeglichener.
Nach 41 Jahren Schuldienst trat Rektor Josef Bertl zum Ende des Schuljahres 2011 in den Ruhestand. Schüler, Eltern, Schulamtsvertreter, Politiker und Kollegen hatten sich in der Turnhalle der Volksschule Ruhstorf eingefunden, um ihn im Rahmen einer großen Feier zu verabschieden. Seine Zeit als Rektor erstreckte sich vom 1. September 1991 bis 31. Juli 2011.
Für außergewöhnliches musikalisches Wirken und Verdienste wurde er von der Marktgemeinde Ruhstorf a.d.Rott 1997 mit dem Ehrenbrief und 2017 mit der Bürgermedaille geehrt. Im Jahr 2018 wurde er mit der Baptist-Kitzlinger-Plakette in Gold des Landkreises Passau ausgezeichnet. Zuvor hatte er sich bereits von 1978 an für drei Wahlperioden im Ruhstorfer Gemeinderat engagiert. Auch die Vereinsarbeit lag ihm am Herzen. Josef Bertl war seit 44 Jahren treues Mitglied bei der Sudetendeutschen Landsmannschaft Ortsgruppe Ruhstorf und leistete Gesangs- und Musikbeiträge für organisierte Familien-, Weihnachts- sowie Jubiläumsfeiern. In Anerkennung seiner Verdienste für die Heimatvertriebenen wurde ihm bereits 2009 im Rahmen des 60. Sudetendeutschen Tages in Augsburg der Kulturpreis des SL-Bundesverbandes verliehen.
Josef Bertl war über die Grenzen von Ruhstorf hinaus sehr beliebt und genoss hohes Ansehen in der Bevölkerung. Außerdem war er mit den örtlichen und schulischen Verhältnissen bestens vertraut. Lehrer zu sein bedeutete für ihn an erster Stelle Zuwendung für seine Schüler und Schülerinnen und für die Eltern und für das Lehrerkollegium. In einem Zeitungsartikel vom Jahr 1991 über Josef Bertl lautete die Überschrift: „Der richtige Mann am richtigen Platz“.
Das Lebenswerk von Josef Bertl wird uns auch künftig in vielen Bereichen des Ortslebens begegnen. (Text; Archivar Wolfgang Niedermeier; Fotos: Schule)