Das Genehmigungsschreiben des k. Landgerichts vom 27.1.1860
Im Januar, genauer am 15., jährt sich die Gründung des Gesangvereins zum 162. Male. Nachdem der traditionsreiche Weberverein (gegr. 1820) sich mangels neuer Mitglieder (oder mangels Interesse einer beziehungslosen und geschichtsfernen Einwohnerschaft ?) aufgelöst hat, ist er nun der älteste Verein unseres Ortes.
Wussten Sie, dass der Gesangverein seine Existenz dem Urteil des damaligen königlichen Amtsgerichts Hof zu verdanken hat? Es gibt wohl kaum einen Verein, der auf Grund einer richterlichen Anordnung entstanden ist, eher das Gegenteil. Und das ereignete sich folgendermaßen:
Silvester 1859: In allen Wirtshäusern des lebhaften Weberdorfes wurde tüchtig gefeiert. Wahrscheinlich ließ es die wirtschaftliche Lage des Ortes mit seiner einseitigen gewerblichen und beruflichen Struktur zu, dass es den Webern in dem ständigen Auf und Ab der anfälligen wirtschaftlichen Konjunktur wieder einmal gut ging. Gefeiert hat man damals schon gerne.
Eine Gruppe junger Burschen, vorwiegend Webergesellen und fünf Musikanten, waren im Wirtshaus zusammengetroffen, sangen, machten Musik und tranken tüchtig Bier. Das muss sich wohl im alten Puchtaswirtshaus des Wirtes und Metzgermeisters Friedrich Puchta abgespielt haben, das seinen Standort in der heutigen Weberstraße gleich neben dem Anwesen Höntsch hatte. Es ist 1894 einem Großbrand zum Opfer gefallen und als „Weißes Lamm“ an der Munchberger Straße wieder aufgebaut worden.
Es herrschte eine ausgelassene Silvesterstimmung. Als das neue Jahr anbrach, wurde ein Gedanke geboren und sofort in die Tat umgesetzt. Die Musiker nämlich brachen auf zu ihrem tradtionellen „Neujahrsblasen“ an verschiedenen Plätzen des Ortes. Die anderen begleiteten sie spontan und zogen mit ihnen singend durch das Dorf. Von dem nun folgenden Geschehen gibt es einen Polizeibericht[1], der als Grundlage für eine Anzeige wegen Ruhestörung diente und einen Prozess beim königlichen Amtsgericht in Hof nach sich zog. Dieser Bericht lautet:
„Der Gendarmerie-Stationskommandant Gebhardt und der Gendarm Mutschmann trafen in der Neujahrsnacht morgens gegen drei Uhr in Konradsreuth junge Burschen an, wie sie mit einem Sprenger (= Gießkanne) voll Bier singend von Haus zu Haus zogen, um nach alter Sitte das neue Jahr anzusingen. Die Beamten stellten folgende Teilnehmer fest: Die Webergesellen Georg Ebert, Samuel Eckert, Georg Fickenscher, Joh. Giegold, Joh. Hertrich, Joh. Hohenberger, Joh. Kreil, Joh. Rödel, Nicol Schlegel, Jakob Schneider, Joh. Söllner, Joh. Voit, Adam Wolf, Daniel Wolf, der Schneidergeselle Joh. Hertel, der Maurergeselle Joh. Krauß, der Schuhmachergeselle Joh. Seuß und der Taglöhner Georg Großmann, sowie die Musiker Joh. Adam Schneider, Joh. Schlegel, Andreas Wolf, Joh. Wolf und Peter Wolf.
Die Musikanten fühlten sich berechtigt, umzuspielen, weil sie die Kirchenmusik das ganze Jahr umsonst bestritten. Dafür erhielten sie in der Neujahrsnacht eine Gabe. Sie betonten, daß es nie Ärger gab, sie seien bereit, den Brauch auf den Tag zu legen. Sie hätten vor den Wohnungen der Leute und vor dem Schloß das Lied Nr. 21 nach dem neuen Gesangbuch gespielt.“
Soweit der Bericht der damaligen Ortspolizei, dem nach kurzer Zeit bereits eine Verhandlung im königlichen Amtsgericht zu Hof folgte. Der verständnisvolle Richter meinte es gut mit den wie arme Sünder vor ihm erschienenen Angeklagten. Er spricht die jungen Leute frei und empfiehlt ihnen, recht bald einen Gesangverein zu gründen.
Froh, so glimpflich davongekommen zu sein, verlassen sie den Gerichtssaal und treten den Heimweg an, wie üblich zu Fuß auf der alten Landstraße über Pirk nach Konradsreuth. Noch in derselben Nacht gründen sie den Gesangverein. Demnach war die Gerichtsverhandlung bereits am 14. Januar, schon zwei Wochen nach der erfolgten Anzeige, denn die Gründungsurkunde trägt das Datum 15.1.1860. Die Mühlen der Justiz mahlten damals viel schneller als heute, wo manche Missetäter monate- wenn nicht jahrelang auf ihren Prozess warten müssen.
Was die Musikanten betrifft, ist noch anzufügen: Das königliche Landgericht wies auf Grund der Anzeige der Polizei dieselbe an, den alten Brauch nicht zu stören, sondern in Schutz zu nehmen. Man betrachtete auch dort das Umspielen als einen Ausgleich für eine Bezahlung der Kirchenmusik. Doch habe es bei Nacht zu unterbleiben und sei auf die Zeit vom 1. bis 9. Januar zu beschränken. Mit Datum vom 27 1.1860 erstellt das Landgericht ein Genehmigungsschreiben für die bereits erfolgte Gründung des Gesangvereins und schickt dieses durch einen Boten am 1. Februar 1860 an den neu gewählten ersten Vorstand des Vereins, den emeritierten (= pensionierten) Kantor Johann Erhart Ernst.
Quellen: Gründungsprotokoll vom 15.1.1860 und Festschrift zum 150jährigen Jubiläum; schiftl.Bericht des 1.Vorstandes Fritz Meisel, der anläßlich des 50. Jubiläums im Jahre 1910 noch sechs lebende Gründungsmitglieder ehren konnte; von ihnen wurde ihm diese Geschichte überliefert.
[1] Staatsarchiv Bamberg, Rep.K II / IV Nr.5 (Neujahrsblasen in Konradsreuth)