Ausschnitt Urvermessungsplan 1852 (bearbeitet)
Das „Reiffenbergerhaus“Nr. 107, links im Bild ist noch das ehemalige Haus des Lehrers Holler (HN 172) zu sehen. Zum Zeitpunkt der Bildaufnahme 1924 befand sich darin die Metzgerei von Walter Voigt. Die abgebildeten Personen sind v.l Minna Schneider geb. Eckardt mit Sohn Alfred („Gemaaschreibersalfred“) und v.r. Ida Kaußler geb. Wülferth mit Tochter Lotte.
Gemeint ist der Standort eines alten Hauses nach der früher üblichen Hausnummerierung. Es handelt sich um das ehemalige „Voigtshaus“ Schloßstraße1. Ehemaliger Besitzer war der Metzgermeister Günter Voigt, genannt der „untere Voigt“. Das heutige Haus am Anfang der Schloßstraße ist ein Neubau aus der Nachkriegszeit um 1950. Es war ein Wohn- und Geschäftshaus mit gut gehender Metzgerei. Eigentlich standen auf dem Grundstück vor dem Neubau zwei Häuser mit den Nummern 172 (Metzgerei) und 107 (hinterliegendes Wohnhaus mit Nebengebäude).
Wer sich mit der Orts- und Siedlungsgeschichte von Konradsreuth befasst, kommt nicht um das Verzeichnis seiner Hausnummern herum, das bis 1961 gegolten hatte. Erst in diesem genannten Jahr wurden sie außer Kraft gesetzt, weil sie durch den „Bauboom“ der Nachkriegszeit völlig unübersichtlich bis zur Hausnummer 375 angewachsen waren und ohne erkennbare Systematik je nach Zeit der Fertigstellung über den ganzen Ort zerstreut waren. So finden wir die letzten drei Hausnummern, die nach dem alten System erteilt wurden, in der Weberstraße (alte HN 373, Fa. Gg.Frohn KG, Weberstraße 19), in der Leupoldsgrüner Straße (HN 374. Müller Martin, Malermeister, Leupoldsgrüner Str. 9) und in der Siedlungsstraße (HN 375, Wohnhaus der Fa. Lonsky u.Co, Siedungsstr. 31).
Unter Bürgermeister Karl Hager wurden ab 25.9.1961 durch Gemeinderatsbeschluss die neuen Straßenbezeichnungen mit neuen Hausnummern eingeführt und dem Durcheinander ein Ende bereitet.
Die Kenntnis der ersten rund 200 Hausnummern ist für die Heimatforschung unerlässlich: Sie umfassen den Baubestand fast unverändert vom Beginn der Nummerierung (ca. 1780) bis 1939 (Beginn des 2.Weltkrieges mit mehrjähriger Einstellung jeglicher Bautätigkeit). Einen zeitlichen Fixpunkt markiert die Errichtung des sogenannten „Maschinenhauses“ (heute Waldlust), das im Jahr 1812 die HN 179 erhielt. Diese Hausnummern 1 bis 179 bilden den engeren historischen Bestand unseres Heimatortes. Hinzu kommen noch Schloss und Kirche, die ursprünglich keine Hausnummern erhielten, aber nach der Zwangseinverleibung nach Bayern unter Napoleon die HN 181 (Schloss) und 182 (Kirche) zugeteilt bekamen.
Die historisch belegten Hausnummern, also die alten von 1 bis 180, sind nicht willkürlich erteilt, sondern folgen einem eigenen Ordnungssystem, das sich an den alten Ortsstraßen und -wegen orientiert. Nr.1 erhielt das damalige erste Haus am Ortseingang von Hof her (Alte Hofer Str. 3, Watschon). Die Nummerierung folgte dem Straßenverlauf über den Marktplatz und die Münchberger Straße, geht über die Weberstraße mit aufsteigenden Nummern zurück, folgt dann der Friedhofstraße und endet, wo der Steinmühlenweg beginnt bei der HN 80 (Raithel/Böhm, damals letztes Haus am südlichen Ortsrand). Dann folgen Brunnenstraße mit den Nummern 81 bis 89 und der Schwarzenfurthweg samt Feldstraße (HN 90 bis 104), die zweite alte Hauptstraße des Ortes. Erst dann geht es mit den beiden „Puchtashäusern“ (HN 105 und 106, heute Schirner und Puchta, die damals eine Besitzeinheit bildeten) weiter in die Schloßstraße und den nördlich der Kirche gelegenen Ortsteil und nach Neudörflein. Letzterer war ein im 18. Jahrhundert entstandenes „Satellitendorf“ als Weber- und Handwerkersiedlung. Nördliches Ortsende war die sogenannte „Festung“ mit den HN 155 und 156 (heute Bachstr. 49 und 51). Alle umliegenden Einzeln erhielten die Hausnummern 157 bis 168. Im Einzelnen wie folgt:
HN 157 haftete auf dem verschwundenen Bauernhof kurz vor Stiftsgrün, nicht auf dem Leupoldsanwesen Bachstr. 45, dem diese HN erteilt wurde, weil sie freigeworden war.
HN 158 Berghäuser (heute Leupoldsgr.Str. 26, Geupel);
HN 159 Berghäuser (früher Schafhaus, dann „Eckardt auf dem Berg“, heute verschwunden);
HN 160 Berghäuser (heute Leupoldsgr.Str. 36, Lang);
HN 161 bis 163 (heute Schwarzenfurth 1, Voigt; 2, Steingrüber, fr. Roth: 3, vormals Tröger);
HN 164 (heute Schallersreuth 1, im Volksmund „die Winternot“);
HN 165 (heute Silberbacher Str. 42, die Steinmühle, fr. auch Habermühle;
HN 166 (heute Hofer Str. 19 und 21, Fa. Rohleder; ehem. „Oswaldsbau“).
HN 167 (Schallershof 1);
HN 168 (Frauenhof 1).
Die Situation der Nummerierung beim „Haus, das aus der Reihe tanzt“ (HN 172, frühere Metzgerei „unterer Voigt“) stellt sich nach dem oben abgebildeten Abschnitt des Ortsplanes von 1852 wie folgt dar: Ringsum an der Schloßstraße und am Kirchberg liegen die Häuser 106 bis 115 (Puchta bis „zur Frieda“). Woher kommt das Haus Nr. 172?
Die vorläufige Antwort lautet: Es stammt aus einer späteren Bauphase als der alte Hausbestand einschließlich der Häuser von Neudörflein und der Einzeln. Näheres sagt der Steuerkataster von 1811: Der Besitzer war damals der Schullehrer Johann Holler. Er selbst ließ das „Trüpfhäuslein“ (= ohne jeglichen Grundbesitz) 1806 erbauen, nachdem er den Bauplatz und eine gemeinsame Hofzufahrt mit dem Haus Nr.107 von dem Zimmerermeister Joh. Erhard Lochner für 25 Gulden erkauft hatte. Doch dieses Häuslein ist ein Jahr nach seiner Erbauung abgebrannt und nach dem Brand gleich wieder aufgebaut worden. Johann Holler wirkte als verdienstvoller Schullehrer 42 Jahre lang (von 1776 – 1818) in der hiesigen Gemeinde. Er starb am 21. Februar 1818 im Alter von 68 Jahren.
Der oben genannte Joh. Erhard Lochner, Zimmerermeister (ein Vorfahre der heute noch blühenden Lochner-Sippe, gen. „die Schaschn“) war der damalige Besitzer des Anwesens und Grundstückes HN 107 am Beginn der heutigen Schloßstraße, wie aus dem abgebildeten Urvermessungsplan von 1852 ersichtlich ist. Der Bauplatz für Holler wurde einfach von der Hoffläche weggenommen. Der Rest diente dann beiden Anwesen als Hof und Zugang. Das Haus Nr. 107 war ursprünglich ein Söldengut (Landwirtschaft im Nebenerwerb würde man heute sagen) mit einigem Grundbesitz, dessen Besitzer noch einen Handwerksberuf ausübte. 1811 übernahm sein Sohn Conrad Lochner „aus väterlicher Erbschaft“ das Anwesen, das am 10.7.1826 der Schuhmachermeister Georg Adam Reiffenberger um 900 Gulden erkaufte. Seine einzige Tochter heiratete am 23.7.1865 den Bauernsohn Joh. Andreas Voigt vom Frauenhof, den aber sein älterer Bruder Johann übernahm. Mit ihm gelangte der Name Voigt als Besitzer auf dieses Anwesen mit den beiden Hausnummern 107 und 172, auf dem er heute noch haftet.
Zwei weitere Kuriositäten sind noch zu erwähnen:
Nachdem damals beim Bau nur die Grundfläche für das Haus Nr. 172 herausgemessen wurde, fehlte es an Platz für die zu jedem Haus gehörigen Wirtschaftsflächen. So ist im Güterverzeichnis des Lehrers Holler noch folgendes zu lesen: „Zum Trüpfhäuslein sub (=unter) Nr. 172 gehören noch 6 Quadratruten (= rund 51 Quadratmeter) Gartenland und eine halbe Holzschlicht. NB! (= nota bene / „merke gut“) Das Gartenland und die Holzschlicht sind beim Trüpfhäuslein Nr, 111 (heute Schloßstraße 8 (ehedem Plettner Max, jetzt Steingräber Peter) befindlich“. Hausgärtlein und der unerlässliche Lagerplatz für das Brennholz waren also ausgelagert
Vor dem Bau der alten Schule (ehem. Kantorat, heute Rathaus, Hofer Str.) im Jahr 1859 gab es ca. 300 Volksschüler in Konradsreuth. Sie verteilten sich auf drei Klassen: 1/2 mit 108 Schülern, 3/4 mit 110 und 5/7 mit 82. Für alle diese Schüler und Klassen stand eigentlich nur das alte, armselige und stark baufällige Schulhaus von 1685 am Marktplatz vor der Kirche (HN 15) zur Verfügung. Schon 1838 sollte ein Schulhausbau erfolgen, aber wegen Mangel an Geld wurde eine Reparatur am alten Schulhaus vorgenommen und weitere Lehrzimmer gemietet, eines beim Schuhmacher Reiffenberger, das andere „Mietslokal“ war beim Webermeister Samuel Frank (frühere HN 131, heute Am Rathaus 1, Stefan Leupold), wo auch der betreffende Lehrer eine Mietwohnung hatte (Quelle: Chronik des Lehrers Wenzel; vgl. auch die „Konradsreuther Schulgeschichte“ von Siegfried Schörner, erschienen 2021, Hrsg. Gemeinde Konradsreuth).
In diesen „Mietlokalen“, die für schulische Zwecke nach heutigem Maßstab überhaupt nicht geeignet waren, herrschte bei den damaligen Riesenklassen eine drangvolle Enge und die hygienischen Verhältnisse genügten nicht einmal den primitivsten Anforderungen.