Zur Skizze: Bearbeiteter Ausschnitt aus dem Urvermessungsplan von 1851 (links die Häuserzeile des “großen Fronhauses”, rechts das kleine Fronhaus)
(Quellen: Hofner, Chronik von Konradsreuth, Band 2 Lehensbriefe aus der preußischen Zeit und Band 3 Steuerbekenntnisse von Rittergut und Dorf 1811)
Das Dorf Konradsreuth war in alter Zeit ein sogenanntes Rittergutsdorf. Es wurde von dem jeweiligen Grundherren (dem adeligen Besitzer des Schlosses) verwaltet wie heute die Gemeinde vom Bürgermeister, allerdings mit weitaus mehr Rechten als heute. Im ausgehenden 18. Jahrhundert war der Grundherr Georg Christoph von Reitzenstein (1753 – 1840) als letzter seines Geschlechtes. Nach ihm ging der Besitz des Ritterguts auf die Familie von Staff über, etwa zur gleichen Zeit erlosch die Machtstellung des Adels im Jahre 1848. Konradsreuth war nun eine Gemeinde im Landgerichtsbezirk (heute Landkreis) Hof.
Davor waren die Besitzer des Rittergutes auch die Lehensherren über jeglichen Grundbesitz auf der Gemeindeflur. Sie waren verantwortlich für die Steuereinnahmen und für die niedere Gerichtsbarkeit, also für Erbschafts- und Kaufverträge bei Besitzwechsel, für Streitfälle im Grundrecht u.a. Man nannte diese Rechts- und Verwaltungsform das Patrimonialgericht (latein: Erbgut, Vermögen, also ein ererbtes Recht des adeligen Besitzers).
Um die Steuerkraft des wachsenden Dorfes noch mehr zu erhöhen, siedelte Georg Christoph v.R. als Grundherr Handwerker an, vorwiegend Weber. Er stellte dafür seine wenig ertragreichen Grundstücke „auf der Ellern und Ochsenanspann“ zur Verfügung, die bisher weit außerhalb des Ortes am Föhrenreuther Weg als Viehweide gedient hatten. Das alles geschah in den Jahren zwischen 1770 und 1800, während in Frankreich die Revolution in Gang kam und Napoleon seine ersten Erfolge erzielte, in Österreich noch Maria Theresia herrschte und in Nordamerika die englischen Kolonien zu den Vereinigten Staaten wurden.
Zur Ansiedlung ließ der Grundherr zwei Häuserzeilen mit kleinen Reihenhäusern errichten. Man nannte sie „die Fronhäuser“, weil ihre Bewohner statt Steuern auch noch Frondienste zu leisten hatten. Es war fast so wie in altenglischen Arbeitersiedlungen, wie wir es aus dem bekannten Film „Der kleine Lord“ kennengelernt haben. Zeitlich gesehen stehen auch wir, d.h. unsere Vorfahren in Konradsreuth, am Beginn des Industriezeitalters um 1800 wie im alten England.
So entstanden zwei Zeilen kleiner einstöckiger Weberhäuser links und rechts einer Gasse (heute die Mittlere Gasse), hinzu kamen noch einige Häuser am „Föhrenreuther Weg“, wie damals die Bachstraße etwa ab Einmündung der heutigen Siedlungsstraße hieß. Der neu entstandene Weiler (= Ansiedlung mit wenigen Häusern) erhielt den Namen „das neue Dörflein“ (= Neudörflein).
Auf der linken Seite der neuen Dorfgasse (heute Mittlere Gasse) erstreckte sich das „große Fronhaus“, bestehend aus sechs einzelnen, kleinen Anwesen. Sie trugen die alten Hausnummern 144 bis 149 (= Mittl.Gasse 1,3,5,7,9 und 11). Das Haus Nr. 144 (fr. Julie Lochner, heute Mathias Geupel) hat bis auf eine Aufstockung im frühen 20.Jahrhundert die ursprüngliche Größe bewahrt. So kann man sich die Begrenztheit der einstmaligen Weberhäuser gut vorstellen, während alle anderen durch Aufstockung und Anbauten nach hinten den jeweiligen Ansprüchen ihrer späteren Bewohner zu genügen versuchten. Ursprünglich wurden diese Einzelhäuser auch nicht als Häuser bezeichnet, sondern als „Stuben“, das genannte Haus Nr. 144 war die „vordere Eckstube“. Diese Eckstuben boten etwas mehr Raum für Hof und Gärtlein, sie waren deshalb begehrt. Man mußte ja noch seine Haustiere mit unterbringen, damals meist Ziegen, selten ein Schwein. Der erste namentlich bekannte Bewohner dieses Hauses war der Webermeister Johann Oelschlegel, 1792 als Besitzer einer „Wohnstube auf dem Anspann“ genannt.
Die anderen historischen Besitzer der "Stuben" linkerseits der heutigen Mittleren Gasse waren: HN 145 (ehem. Hermann Schubert) Besitzer 1792 Webmeister Georg Frank. HN 146 (Lochner / Krusbersky) um 1800 Johann Künzel, Weber. HN 147 (Fischer) um 1800 Johann Mehringer, Maurergeselle. HN 148 (Kolb) 1788 erwarb es der Maurermeister Andreas Goller. HN 149 (Deckelmann) 1794 Andreas Raithel, Taglöhner. HN 143 und HN 150, ehedem im Besitz von Nikol und Johanna Weber, sowie von Georg und Alma Gaida, sind vom Ursprung her angebaute Trüpfhäuser an die vordere und hintere Eckstube des großen Fronhauses zur oberen Gasse hin (vergleiche mit beigefügtem Lageplan von 1851!).
Auf der rechten Seite lag das „kleine Fronhaus“ mit vier Stuben, alte Hausnummern 151 bis 154 (= Mittl.Gasse 8,6,4 und 2). Ihre ersten namentlich bekannten Besitzer waren: HN 151 (Sagowski, das alte Haus ist heute abgebrochen) Webermeister Jakob Flessa; er verkauft 1805 die „hintere Eckstube“ an Johann Simon Rödel, ebenfalls Webermeister. HN 152 (Geupel) Johann Michael Geymeyer erwirbt 1775 (Anm.: könnte das Baujahr sein!) das „Trüpfhaus mit unbedeutendem Schorgärtlein“ direkt vom Erbauer, dem Grundherren Georg Christoph v.Reitzenstein für 125 Gulden; Geymeyer stammte aus Schwarzenbach und war auch Nachtwächter des Dorfes. HN 153 (Goller) Konrad Kofer, Maurergeselle erwirbt 1787 direkt vom Erbauer v.Reitzenstein „ein neues Haus auf dem Anspann“, ebenfalls für 125 Gulden. HN 154 (Krauß) Nicol Rödel erhält 1795 einen Lehenbrief (= Besitzurkunde) „über ein Viertel an einem neuerbauten Haus auf dem Anspann, nämlich die vordere Eckstube samt der darin gegen die mittlere Stube befindlichen Scheidewand, welche Rödel von Grund auf bis an den Giebel in gutem baulichen Zustand erhalten muß“ (damit ist eine Regelung über die Baupflicht der Scheidewand getroffen!); die nachfolgenden Besitzer sind auf Grund des Steuerkatasters bis in die Gegenwart nachvollziehbar und es kann belegt werden, daß die Besitzfolge bis auf den heutigen Tag innerhalb der Verwandtschaft geregelt wurde; 1840 ist sein Sohn, der Webmeister Adam Erdmann Rödel Besitzer des „Hausantheils“, wie es heißt; am 26.2.1900 übergibt der Webmeister Johann Willardt das Haus, dessen Besitz er durch Einheirat als Ehemann der Margaretha Barbara geb. Rödel erlangte, an seinen Stiefsohn Johann Samuel Petzold und dieser wiederum übergibt 1942 an seine Tochter Rosine Krauß; heute ist es im Besitz ihres Enkels Rainer Krauß und seiner Ehefrau Andrea, der ich herzlich danke, für die Einsicht in alte Urkunden.
Von den bisher nicht erwähnten alten Hausnummern Neudörfleins verbleiben noch folgende: Die restlichen Hausnummern des alten Ortsteiles 135 bis 142 und ganz weit draußen 155 und 156, die sogenannte „Festung“ (jeweils mit Ersterwähnung.und neuzeitlichem Besitzer): HN 135 (heute Willi Schaller) 1795 kauft Peter Gram das Holzhaus von Christoph Wolfrum. HN 136 (das ehem. Frackdachhaus ist heute abgebrochen, fr. Christian Seidel). HN 137 (heute Öçal), 1785 errichtet der Zimmergeselle Adam Höfer ein Trüpfhaus auf dem Anspann. HN 138 (vor einiger Zeit abgebrochen, ehem. Horn), 1785, der Webergeselle Jakob Schatz hat ein Trüpfhaus, halb gemauert. HN 139 (abgebrochen, ehem. Max Wolf) 1787 Anna Katharina Bodenschatz, ein Trüpfhaus mit Scheunlein. HN 140 (heute Hasenstein), 1790 im Besitz des Webers Conrad Oelschlegel. HN 141 (heute Sack), erstmalige Erwähnung als Bauplatz 1783 für den Webermeister Adam Erdmann Raithel, der dort ein Trüpfhaus errichtet, zu einem Drittel gemauert. HN 142 (Keilwerth), Peter Stengel verkauft das bestehende Haus 1799 an Christoph Wolfrum. HN 155 und 156 (heute Bernhard bzw.Schnurer, fr. Raich), 1793 besitzt das halbe Haus der Zimmergeselle Andreas Mehringer, das andere halbe Haus hat der Schneidermeister Johann Goller.
Die Häuser Bachstraße 45 (Leupold) und 47 (Wolf) sind erst nach 1930 entstanden und schlossen die große Lücke bis hinaus zur "Festung", wobei dem Anwesen Leupold eine längst verschwundene Hausnummer zugeteilt wurde, die eigentlich bei den umliegenden Einzeln zu suchen ist. Es war die Nummer (157) des ehemaligen Kleinbauernhofes des Nikol Kießling am Weg nach Stiftsgrün, der zumindest im Jahr 1811 noch existierte, heute aber ohne jeglichen Anhaltspunkt verschwunden ist. Die ursprünglichen Häuser von Neudörflein sind natürlich im Laufe der Jahre umgebaut, vergrößert und verändert worden. Es waren am Anfang vorwiegend Holzbauten, manchmal nur auf gemauertem Fundament, oder wie bei den Frackdachhäusern mit gemauertem Untergeschoß und hölzernem Aufbau mit Fachwerk. Nur die Grundstücksgrößen blieben weitgehend unverändert. Was moderne Menschen kaum verstehen werden, daß in diesen kleinen Fronhäusern die einzige "Stube" gleichzeitig Wohn-, Schlaf- und Arbeitsraum war, oft mit einem großen Webstuhl, der seinen Platz forderte.
Worterklärungen: Frackdachhaus = kleines Weberhaus mit einseitig herabgezogenem Stroh- oder Schindeldach, hatte unten meist nur eine Stube und einen kleinen Stall. Trüpfhaus = kleines Anwesen ohne weiteren Grundbesitz, nur soweit die "Trüpf" = Traufe vom Dach ihre Spuren hinterließ. Fron = die Arbeitsleistung des Lehensmannes, als Hand- und Spannfron, Männer- oder Weiberfron (z.B. spinnen). Die Besitzer der "Stuben" hatten neben den Steuern in Geld im allgemeinen zwei Frontage a 12 Stunden abzuleisten, meist landwirtschaftliche Tätigkeiten wie säen, mähen, ernten. Ein Frontag konnte mit 12 Kreuzern abgelöst werden, das entsprach dem Tagesverdienst eines Taglöhners oder einfachen Handwerkers.
Damit eröffnen wir eine Reihe von Rückblicken zur Häusergeschichte unseres Ortes. Allen Lesern und Heimatfreunden wünsche ich frohe Weihnachten und, wie man früher in “Kannerschreith” zu sagen pflegte, “a gsunds neis Goor, besser wie es alta woor!” Ihr Siegfried Schörner