Plattgedrückte Geschoße und Patronenhülsen vom damaligen Tieffliegerangriff (Repro-Aufn. Mathilda K.)
Ich bin wohl einer der letzten noch lebenden Augenzeugen, der das Geschehen in jener Zeit noch bewusst miterlebt hat.
April 1945. Einen schöneren Frühlingsmonat hätte man sich gar nicht vorstellen können. Blauer, wolkenloser Himmel. Die Felder waren in der wärmenden Sonne abgetrocknet und konnten schon bestellt werden. Doch das war gar nicht so leicht, denn fast täglich gab es Fliegeralarm und das bedeutete Lebensgefahr. Kein Ort, kein Mensch war mehr vor den Angriffen feindlicher Flieger sicher. In Städten wie in Hof war es weitaus gefährlicher als bei uns auf dem Lande, dort lagen kriegswichtige Ziele wie der große funktionsfähige Bahnhof, Kasernen und Fabriken. Dort mussten die Einwohner bei Alarm die Luftschutzkeller aufsuchen. Der Schulunterricht wurde deshalb ausgesetzt und wir streunten umher, denn bei uns auf dem Lande war das Leben etwas leichter, fast hatte man sich an die ständig drohende Gefahr gewöhnt. Wenn die anglo-amerikanischen Bomberverbände in großer Höhe am blauen Himmel ihre Kondensstreifen hinterließen, wussten wir, dass für uns keine unmittelbare Gefahr bestand, denn sie flogen ostwärts. Ihr Angriff galt den Industriegebieten in Sachsen und dem östlichen Deutschland. Erst vor wenigen Tagen, am 13. Februar, griffen sie mit Hunderten von Flugzeugen die mit schlesischen Flüchtlingen überschwemmte Stadt Dresden an und luden eine unvorstellbar große Menge von Phosphorbrandbomben und anschließend Sprengbomben auf die todgeweihte Stadt ab. Zehntausende Flüchtlinge, die hier Schutz gesucht hatten, kamen mit ebenso vielen Einwohnern der Stadt ums Leben. Dem britischen Befehlshaber Harris war die Situation der wehrlosen Lazarettstadt bekannt. Er wurde später als Kriegsheld von der verstorbenen Queen hoch geehrt und in den Adelsstand erhoben. Das wollen wir nicht vergessen. Schlesische Flüchtlinge, die später in Konradsreuth ansässig wurden, haben das Inferno aus der Nähe miterlebt. Es waren die Familien Diebel, Fikus, Baum, Koschemann, Kruppke und Jaenisch, ebenso auch noch andere.
Wir, meine Freunde und ich, lagen am Wirtsberg an einer Böschung im Gras eines Feldrains auf dem Rücken und schauten in den blauen Himmel. Wir versuchten, die feindlichen Bomber, die sogenannten „Fliegenden Festungen“ zu zählen. Es waren weit über hundert. Sie flogen im „Pulk“, umkreist von leichteren und schnelleren Jagdflugzeugen, die sie vor Angriffen deutscher Jäger (= Jagdflugzeuge) schützen sollten. Aber es gab keine mehr. Unsere Luftwaffe hatte aufgehört zu existieren. Am Sonntag, dem 8. April, in Konradsreuth war Konfirmation, zogen kurz nach dem Mittagessen am blauen Frühlingshimmel wieder Bomberverbände der Engländer und Amerikaner vorüber, gar nicht so hoch wie sonst an den anderen Tagen, so dass man jedes einzelne Flugzeug deutlich erkennen konnte. Schon allein das Motorengeräusch hat die Menschen aufgeregt. Ein tiefes Brummen und Orgeln, wie wenn hundert Dreschmaschinen gleichzeitig gelaufen sind, ließ die Luft vibrieren. Auf einmal hörte man ferne Explosionsgeräusche und grollenden Donner wie bei einem Erdbeben. Man sah schon von Konradsreuth aus, jetzt wird Hof angegriffen. Viele Leute suchten Luftschutzkeller auf, andere gingen wiederum auf die Straße, um nachzuschauen, was los war. Ich bin auf den oberen Dachboden hinaufgerannt und schaute aus dem Giebelfenster Richtung Hof, ob etwas zu erkennen sei. Auf einmal ist vom Schallershof und von Martinsreuth her mit dem leichten Ostwind eine gelbliche Nebelwand aufgezogen und hat sich wie eine breite Walze über das Land gelegt. Aber es war kein Nebel, sondern feiner Kalk- und Ziegelstaub, den man sogar auf der Zunge schmeckte, von den zerstörten Gebäuden im Bahnhofs- und Münsterviertel von Hof.
In der Woche zwischen dem 8. und 15. April ging es ziemlich turbulent zu. In der Nacht bevölkerten Flüchtlingstrecks die Straße, entgegen kamen die ostwärts fliehenden Reste der deutschen Wehrmacht. Am 11. April donnerten plötzlich zwei Tiefflieger, sogenannte Jabos (= Jagdbomber) über unser Dorf, so tief, dass sie fast den Kirchturm mitgenommen hätten. Sie waren auf der Suche nach den Resten der aufgelöst fliehenden deutschen Armee. Wir Buben haben uns in jenen Tagen trotzdem draußen herumgetrieben, um ja nichts zu versäumen. Wir haben schon gewusst, wie man in Deckung geht, das hatten wir ja beim „Jungvolk“ (= Jugendorganisation der Nazis) gelernt. Plötzlich kam einer der Tiefflieger zurück und schoss auf alles, was sich rührte, nicht bloß auf militärische Objekte. Nach heutiger Einschätzung wohl ein reiner Terrorakt. Man hat ohnehin kaum mehr einen deutschen Soldaten gesehen. Diese zogen sich nur bei Nacht im Schutze der Dunkelheit immer weiter nach Osten zurück, um eine neue Frontlinie aufzubauen. Tagsüber versteckten sie sich in Wäldern und einsamen Gebäuden.
Für unsere Bauern war diese Zeit nicht einfach. Ein paar waren mit ihrem Fuhrwerk unterwegs, weil Zeit zum Säen war. Der Landwirt Max Gemeinhardt fuhr gerade mit seinen zwei Pferden und der Sämaschine den Straßberg (= die heutige Münchberger Straße) hinauf. Auf der Höhe der Schreinerei Wülferth wurde er von dem Tiefflieger mit einem MG (= Maschinengewehr) beschossen. Wahrscheinlich dachte der Pilot, das sei ein Militärfahrzeug – wenn er überhaupt etwas gedacht hat, der Ami! Der Bauer Gemeinhardt konnte sich mit einem Sprung ins Haus vom Wülferths-Schreiner retten, aber eines seiner Pferde wurde erschossen. Das war schlimm! Das andere Pferd war in Panik geraten, wieherte vor Angst und bäumte sich auf, es konnte aber nicht ausreißen, weil es sich im Geschirr verheddert hatte. So schnell wie der Flieger gekommen war, verschwand er auch wieder. Aber das Pferd war tot.
Danach hat es in einigen Haushalten nach längerer Zeit wieder einmal Fleisch zu essen gegeben. Pferdefleisch.
Wir „Gunga“ haben überall die plattgedrückten Geschoße aufgesammelt, die als Querschläger über das Straßenpflaster gespritzt waren. Ich habe sie noch heute daheim aufgehoben als Andenken an diesen Schrecken.
Droben am Schwarzfurthweg, bei meinem Freund Horst Rauh war ein solcher Querschläger durch ein Fenster hindurch in einem Kleiderschrank eingeschlagen. Man mag sich heute gar nicht mehr vorstellen, was alles hätte passieren können.
Die turbulenten letzten Kriegstage: Gegen Ende der Woche kamen keine Tiefflieger mehr, nur noch ein niedrig fliegendes, langsames Aufklärungsflugzeug, das über unserem Dorf seine Kreise zog. Wir sagten zu diesem Flieger wegen seiner Langsamkeit „lahme Ente“. Die Leute wussten, das ist ein Artilleriebeobachter, der jede deutsche Truppenbewegung sofort weitergemeldet hat. Man musste froh sein, dass keiner von den versprengten deutschen Soldaten hinaufgeschossen hat, das wäre ein Leichtes gewesen. Es hat immer noch ein paar fanatische SS-Leute gegeben, die glaubten, den Krieg noch gewinnen zu können. Die Antwort wäre für unser Dorf schrecklich ausgefallen. Gott sei Dank ist von diesen „Scharfmachern“ bei uns herum keiner dabei gewesen. In anderen Orten in unserer Nähe wurden noch Brücken gesprengt und Panzersperren gebaut. Ansonsten war es relativ ruhig, bis auf das Motorengeräusch der Bomberverbände, die nach wie vor jede Nacht ihre todbringende Fracht nach Osten schafften, wo noch Widerstand geleistet wurde.
Auf einmal ging wie ein Lauffeuer die Kunde durch das Dorf: „Drunten im Schloß gibt’s Schnaps und drüben beim Thoma im Anker Zigaretten!“ Die ganze Zeit über hatten die Leute nichts Derartiges bekommen und jetzt gab es diese heißbegehrte Mangelware plötzlich haufenweise – ohne „Marken“ (=Bezugsberechtigungsscheine). Mein Großvater sagte: „Komm, wir gehen einmal ins Schloß und schauen, was los ist“. Da standen die Leute schon Schlange. Im Schloßkeller hatte die Firma Gräfenhan von Hof ihre Schnaps- und Likörreserven wegen Kriegsgefahr ausgelagert. Dieses Lager, Hunderte von Flaschen, wurde aufgelöst. Die Leute hatten Angst, wenn es in Feindeshand fiele, könnte Schlimmes passieren – man hatte ja von den Untaten der marodierenden Russen bei ihrem Einmarsch in die östlichen Provinzen gehört – oder gar noch an den 30jährigen Krieg gedacht und sich die schlimmen Greueltaten betrunkener Feinde vorgestellt.
Mein Großvater kaufte, was er tragen konnte und als er keine Hand mehr frei hatte, sagte er zu mir: „Komm Bub, nimm mit, was nur geht!“ Er musste schon dafür bezahlen, aber das war in jener Zeit „wurscht“, das Geld, die „Reichsmark“, war ohnehin nichts mehr wert. Wir schleppten beide eine ganze Batterie voller Flaschen nach Hause. Danach holten wir im „Anker“ in gleicher Weise noch einige Stangen (= längliche Großpackung) Zigaretten, „Sondermischung“ hieß die Marke; sie dienten mehr als Tauschobjekt als zum Rauchen.
Außerdem gab es dort noch Fallschirmstoff, einen leichten Seidenstoff mit Tarnmuster. Später wurden daraus Hemden und Blusen geschneidert. Man muss sich vorstellen: Alle diese Sachen, alkoholische Getränke, Zigaretten, Textilien und noch vieles mehr, waren im Krieg nur mit Schwierigkeiten zu bekommende Mangelware, plötzlich gab es das in Hülle und Fülle, aber nur kurzzeitig.
Daheim wurden die kostbaren Erwerbungen verstaut. Als mein Großvater nicht aufpasste, habe ich mir eine Flasche auf die Seite geschafft. Der Inhalt sah verlockend aus und bestand aus einer gelblich-grün schillernden Flüssigkeit und auf dem Etikett stand „Leuchtkäferlikör“. In einem Versteck hinter den Holzhaufen und der Kreissäge meines Großvaters haben wir davon getrunken, mein Freund Hans Wülferth und ich. Ich weiß heute nicht mehr, wie er heimgekommen ist und was seine Mutter, die Augusta, dazu gesagt hat. Ich jedenfalls musste den ersten Rausch meines Lebens ausbaden.
Woher sie über Nacht kamen, haben wir erst später erfahren – sie waren auf dem Weg von Buchenwald nach Flossenbürg. Das gesamte Pfarrgrundstück war abgesperrt, weil in der Pfarrersscheune über Hundert KZ-Häftlinge übernachten mussten, die da hineingetrieben wurden. Vor lauter Schwäche und Elend konnten sie am nächsten Tag nicht mehr weiter auf ihrem Leidensweg. Sie konnten sich in der warmen Frühlingssonne im Pfarrgarten aufhalten, der rundum eingezäunt und an der hinteren Seite durch das Anwesen der Familie Wülferth abgeschlossen war. Die neue Straße „Am Bürgerpark“ gab es damals noch nicht, an der Stelle war eine Böschung mit dichtem Brennesselgestrüpp, an deren Fuß ein sumpfiger Graben, der Ablauf des alten Dorfteiches verlief. Oben auf der „Totengasse“ (so hieß damals die Friedhofstraße) patrouillierten Wachposten der SS mit Wachhunden hin und her. Die Gefangenen – es sollen serbische Partisanen gewesen sein - schauten aus wie das „bittere Leiden“, kahlgeschoren, nur noch Haut und Knochen. In der warmen Frühlingssonne hatten sie sich ausgezogen und mit nacktem Oberkörper ins Gras gesetzt. Als wir neugierig vorbeistreiften, streckten sie ihre ausgemergelten Hände mit den dürren Fingern zwischen den Staketen des Zaunes hindurch und bettelten um etwas Essbares. Ich sehe heute noch dieses Bild mit den bittenden Händen vor mir, dass ich nie vergessen konnte. Es hat sich in mein Gedächtnis eingebrannt.
Meine Großmutter hatte gerade einen großen Dämpftopf mit Kartoffeln als Schweinefutter gekocht, sie dampften noch und die oberen waren appetitlich aufgeplatzt. Mein Freund Hans und ich füllten uns die Hosentaschen voll solcher Kartoffeln und reichten sie von der Totengasse aus durch den Zaun. Wer von den Gefangenen etwas erwischt hat, der war froh. Doch es dauerte nicht lange, kam solch ein Wachposten und hat uns verscheucht. Die sollen verseucht sein, Ansteckungsgefahr, sagte er. Aber wir hatten noch viele Kartoffeln. Diese warfen wir von der hinteren Seite des Pfarrgartens, wo kein Zaun und keine Wachposten waren, von Wülferths flachem Schupfendach aus einzeln in den Pfarrgarten, dass die Gefangenen sie aufsammeln konnten. Die Wachposten konnten uns nicht mehr sehen – aber das war halt nur ein Tropfen auf einen heißen Stein.
In der folgenden Nacht wurden die Gefangenen wieder weitergetrieben auf ihrem Leidensweg von Buchenwald nach Flossenbürg, wie man später erfahren hat. Gesehen habe ich es nicht, aber in der Nacht vorher sollen schon zwei oder drei Häftlinge in der Pfarrscheune verstorben sein. Noch schlimmer erging es ihnen auf ihrem Leidensmarsch in dieser Nacht. Drüben in einem kleinen Wäldchen bei der Hollareuth, wo der Hohlweg zur Glänzlamühle hinuntergeht, wurden etwa zehn Häftlinge einfach niedergeschossen, weil sie nicht mehr weiterlaufen konnten.
Das erfuhren die Konradsreuther aber erst einige Tage später, als die Amis schon da waren und die in einer alten Sandgrube verscharrten Leichen entdeckt wurden. Die alten Nazis von Konradsreuth mussten sie unter Bewachung durch die Amis wieder ausgraben. Das war bestimmt keine schöne Arbeit.
Das Folgende müsste wohl auch in der Woche passiert sein, wo alles drunter und drüber gegangen ist. Die Kreisleitung der Nazis in Hof (der Kreisleiter hieß Benno Kuhr und stammte aus Schwarzenbach/S.) und der Kampfkommandant für unser Gebiet haben weitergegeben, was der „Führer“[1] befohlen hatte, nämlich: „Es wird weitergekämpft bis zum Endsieg“. Damit das Volk das auch begriffen hat, wurden im Dorf Spruchbänder aufgehängt. Ich sehe sie noch heute vor mir: „Der Endsieg ist unser“ und „Sieg oder bolschewistisches Chaos“. Das letztere wurde an dem Haus mitten am Marktplatz befestigt, in dem sich früher die Bäckerei Tröger befand (heute Pizzeria Tre Soldi). Wenn ich aus unserer Haustür schaute, las ich das ein paarmal am Tag, weil es genau gegenüber lag. Deswegen habe ich mir das so gut gemerkt.
Doch der Kampfkommandant hatte leicht sagen. Außer ein paar Invaliden, alte Männer und junge Burschen von der HJ (= Hitlerjugend) hatte er keine Truppen mehr. Wer halbwegs laufen konnte, musste zum „Volkssturm“. Deshalb bekam der Kommandant den Spitznamen „Heldenklau“. Aber laut durfte man das nicht sagen, das war lebensgefährlich. Wehrdienstverweigerung wurde mit dem Tode bestraft.
In Konradsreuth mussten die letzten paar alten Männer, die daheimbleiben konnten, zum Volkssturm. Ihre erste Aufgabe war der Bau von Panzersperren, damit die Amis das Dorf nicht gar so leicht einnehmen konnten. Von heute aus betrachtet, eine sehr naive Strategie. Aber es war auch ihr Glück, dass sie deshalb nicht abgezogen wurden und irgendwo anders zum Einsatz kamen. Die strategisch wichtigen Einfallswege waren der Schwarzenfurthweg und die alte Leupoldsgrüner Straße von der Autobahn her und der Dorfausgang unten beim alten Rathaus, in dem sich damals ein Teil der Schule und die Gemeindekanzlei befanden. Nach der Einmündung der Bachstraße, zwischen den Häusern von Lehrer Fischer (heute Eugen von Sobbe) und des Schneidermeisters Hans Roßner wurde dort der Platz für das Verteidigungsbauwerk bestimmt. Die ganze Plagerei war nicht ungefährlich, denn Tieffliegerwaren ständig unterwegs. Droben, in der Schwarzenfurthhuhla war es einfach, Die Volkssturmmänner haben kurzerhand die hohen Eschenbäume, die auf der steilen Böschung zwischen Pöhlmann und Gärtnerei Eckardt wuchsen, umgesägt und die dicken Stämme quer über die Huhla fallen lassen, vier oder fünf Stück nebeneinander samt dem dicken Astwerk. So bildeten sie einen sogenannten Verhau. Drunten an der Hofer Straße war es bedeutend schwieriger. Zuerst musste das Pflaster aufgerissen werden. Dann gruben sie zwei Reihen ungefähr einen Meter tiefe Löcher, in die etwa zwei Meter hohe dicke Fichtenstämme eingelassen wurden. Die Gasse zwischen den beiden Reihen wurde mit langen Fichtenstämmen ausgelegt, die quer über die Straße von einer Grundstücksgrenze zur anderen reichten, und zwar von Lehrer Fischers Granitmauer her zu Roßners eisernen Gartenzaun. Die größeren Lücken zwischen den Stämmen mussten mit Pflastersteinen und Feldsteinen ausgefüllt werden. Auf diese Weise hatten die Konradsreuther Verteidiger etwas zu tun und mussten nicht irgendwo anders hin zum Kampfeinsatz, wie es anderen erging, von denen auch viele nicht mehr wiederkamen.
Wenn die Amis dieses Bauwerk gesehen hätten, sie hätten sich kaputtgelacht. Sie wären doch einfach mit ihren Panzern durch die beiden Vorgärten gefahren, die hätte keiner aufgehalten. Doch Gott sei Dank ist es nicht dazu gekommen. Erstens mussten sich die wenigen deutschen Truppenteile, die noch unterwegs waren, ausreißen können, wenn sie sich meistens in der Nacht ostwärts ins Sudetenland oder nach Sachsen absetzten. Zweitens kamen die Bauern nicht mehr auf ihre Felder. Das war ebenfalls kriegswichtig, wie es damals hieß. Denn die mussten ja die Ernährung sicherstellen. Also musste der Volkssturm wieder antreten und in den nächsten Tagen darauf die Panzersperren wieder einreißen, und der Konradsreuther Bevölkerung sind sinnlose Kampfhandlungen erspart geblieben. Die schönen harten Eschenstämme oben im Schwarzfurthhohlweg wurden zu Hackstöcken zusammengesägt. Mein Großvater hatte noch lange Zeit zwei davon in Gebrauch. Die ebenso schönen und wertvollen Fichtenstämme von der unteren Panzersperre wurden zu Brennholz verarbeitet, genau wie die Äste, die herumlagen. Die Leute konnten damals alles gebrauchen.
Am Sonnabend, dem 14.April war es ziemlich ruhig im Ort. Vom Militär, der einst so stolzen deutschen Wehrmacht, hat man nichts mehr gesehen. Die „lahme Ente“ ist immerzu über der Landschaft gekreist und ich glaube, das ganze Dorf war besoffen von der unverhofften Schnapszuteilung. Doch es gab immer noch ein paar Unverbesserliche, die den Krieg gewinnen wollten. Auf Befehl der Kreisleitung wurde der Volkssturm erneut aufgerufen, sich zu sammeln. Auf dem Marktplatz sind die paar alten Männer und Invaliden, die schon die Panzersperren gebaut und wieder eingerissen hatten, zusammengekommen. Einer von ihnen war der Kommandant, denn im ersten Weltkrieg war er einmal Sergeant (= Unteroffizier) gewesen, „Adl“ hieß er. Dieser befahl: „In Dreierreihe angetreten!“. Dann hat er geplärrt: „Kameraden, wir müssen kämpfen!“ - und pflautsch! hat es ihn der Länge nach hingehauen. Das war die heilsame Wirkung des Schnapses, der im ganzen Dorf plötzlich vorhanden war und die letzten Helden glücklicherweise vor dem Kämpfen bewahrt hat.
Ihr könnt mir glauben, ich habe das alles aus nächster Nähe miterlebt. Das spielte sich direkt vor unserer Haustür ab, wir wohnten ja mitten im Dorf und ich hatte meine Nase immer vornedran.
(Fortsetzung folgt)
(1)Selbstverliehene Bezeichnung für den Reichskanzler des Deutschen Reiches Adolf Hitler