Titel Logo
Bürger-Nachrichten
Ausgabe 6/2024
Historisches
Zurück zur vorigen Seite
Zurück zur ersten Seite der aktuellen Ausgabe

Historisches

Das Ende des 2. Weltkrieges in Konradsreuth

(Fortsetzung des letzten Beitrages mit einem anderen Zeitzeugenbericht)

Der heutige Artikel setzt „die Zeit als die Amis kamen“ fort. Das war am 15. April 1945. Wie ein Spuk war alles verschwunden, was an das „3.Reich“ erinnerte: Keine Hakenkreuzfahnen mehr, kein „Würdenträger“ der Nazis mehr, sogar die sogenannte „Adolf-Hitler-Eiche“ vor dem Kirchhof an der Ecke rechts zur Straße war gefällt worden. Zunächst war eine Ausgangssperre verhängt worden, bis auf je zwei Stunden vor- und nachmittags. Es herrschte ja immer noch Krieg weiter im Osten und im Norden Deutschlands. Erst mit der Kapitulation am 8.Mai war endgültig Schluss.

Unser Ort wurde von den „Siegern“ besetzt. Das bedeutete zunächst, die amerikanischen Truppen beschlagnahmten die meisten Häuser, deren Bewohner sie verlassen mussten. Sie fanden Unterschlupf bei den wenigen, die bleiben durften, vorwiegend in bäuerlichen Anwesen, die Vieh zu versorgen hatten. Meine Familie im „Gasthaus zum Roten Ochsen“ am Marktplatz (heute Arztpraxis) konnte bleiben. Das Haus quoll ohnehin über von fremden, vertriebenen, evakuierten und durchreisenden Personen, die meine Mutter mit ihren Hilfskräften versorgen musste, einschließlich der französischen Kriegsgefangenen, die dort seit 1940 eine Unterkunft im früheren Tanzsaal belegt hatten. Nach ihrer Heimreise wurde daraus nahtlos ein Lager für Flüchtlinge und Heimatvertriebene.

Die Amibesatzung errichtete eine „Ortskommandantur“ der Militärregierung. Wenn ich mich recht erinnere, belegte der ranghöchste Offizier das „Kaußlershaus“ in der heutigen Friedhofstraße, damals ein Neubau. Jedenfalls liefen dort Dutzende von Feldtelefonleitungen zusammen, denn die Amis hatten nichts Besseres zu tun, ihre Leitungen aus schwarzem, klebrig isoliertem Draht über alle Straßen und Wege hinweg zu verlegen. Mir ist heute noch schleierhaft, wie sie das Drahtgewirr wieder auflösten. Vieles blieb wohl liegen, die Deutschen konnten es schon gebrauchen.

Alle „Nazi- Einrichtungen“ wurden außer Betrieb gesetzt und ihre Würdenträger entmachtet. Der Bürgermeister Frohn verschwand von der Bildfläche. Die bisherige Ortspolizei wurde aufgelöst. Von der Militärregierung wurde ein politisch unbelasteter Bürgermeister (Franz Lochner) eingesetzt und die Ortspolizei durch politisch unbelastete Bürger ersetzt. Diese hatten es nicht leicht, sozusagen aus dem Stand heraus in turbulenter Zeit diese Aufgabe zu übernehmen. Meine eigenen Erinnerungen setzen wieder da ein, als zwei schockierende Nachrichten durch das Dorf geisterten: Karl Schlegel, der bisherige Postenführer der Ortspolizei, hat Selbstmord begangen, aus Angst vor Rache polnischer und russischer Gefangener, die im Ort als Arbeitskräfte eingesetzt waren und die er nicht gut behandelt hatte, und die zweite: den „Schoma-Odl“ (der Bauer Adam Gemeinhardt, Stiftsgrün) haben plündernde Polen bei einem nächtlichen Einbruch umgebracht.

Als unmittelbare Geschichtsquelle folgt nun der Bericht des von der Militärregierung ernannten, politisch unbelasteten Hilfspolizisten Georg Höllring, Schuhmacher und Kleinlandwirt (Hausnummer79, heute Schützenweg 1)

(Die wörtliche Abschrift folgt in kursiver Schrift):

Gendarmerieposten Konradsreuth Konradsreuth, 15.6.45

Kreis Hof

Betrifft: Mord und schwerer Einbruchdiebstahl bei Bauer Adam Gemeinhardt in Stiftsgrün Gemeinde Föhrenreuth.

An den Herrn Oberstaatsanwalt beim Landgericht in Hof

Am 15. Juni nachts 1 Uhr kam die Bauersfrau Anna Margareta Gemeinhardt von Stiftsgrün zu meiner Wohnung in Konradsreuth und teilte mir mit, dass in ihrem Anwesen in Stiftsgrün Polen eingebrochen sind und mehrere Schüsse in ihrem Hause abgaben.

Nach Wecken zweier mir zugeteilten Hilfspolizisten, der Herren Volter und Goller begab ich mich auf den Weg nach Stiftsgrün. Volter wurde in Konradsreuth aufgestellt, so dass ich nur mit Goller dort ankam und folgenden Tatbestand feststellen konnte.

Beim Betreten des Hauses lag die Leiche des Bauern Adam Gemeinhardt auf dem Steinboden im Hausflur in einer Blutlache. Neben dem Toten, der nur mit Hose und Hemd bekleidet war, lag eine Schrillerpfeife, die von den Tätern wahrscheinlich zur Alarmierung benützt wurde und zwei Räucherstangen an dem das gestohlene Rauchfleisch gehangen hatte. Ferner lehnte eine Heugabel an der Wand die am Stiel Blutspuren zeigte.

Im ersten Stock des Hauses waren sämtliche Türen und Schränke aufgesprengt und alles durchwühlt, eine Türe war von mehreren Schüssen durchlöchert. Es wurden acht Patronenhülsen die zu einer Maschinenpistole passten und eine Hülse zu einer kleinen Pistole gefunden.

Die Ehefrau Margarete Gemeinhardt, geb. am 18.2.1902 in Leupoldsgrün geb. Wolfrum gab auf Befragen folgendes an:

Etwas vor 1 Uhr nachts hörte ich Hundegebell, ich zog mich sofort an, während dessen fielen einige Schüsse, ich flüchtete auf den Dachboden, ließ mich an einem Betttuch zum Stallboden herunter und sprang von da aus in den Garten und gelangte dann ins Freie, von dort lief ich nach Konradsreuth um Hilfe zu holen. Als ich mit der Polizei wieder zu meinem Anwesen zurückkam, lag mein Mann, der Parterre zu schlafen pflegte, im Hausflur und war tot. Über die weiteren Geschehnisse im Haus kann ich keine Angaben machen, da ich während dieser Zeit fort war.

Der im Hause wohnende Flüchtling Wilhelm Knoll aus Schlesien machte folgende Aussage:

Ich hörte eine Schießerei im Hause und wollte daraufhin aufstehen, da kamen schon einige Männer die Treppe herauf und schossen in das neben mir gelegene Zimmer, gleich darauf kamen auch einige Männer in mein Zimmer, hielten mir eine Pistole entgegen und zwangen mich, im Bett zu bleiben. Ein Mann davon hatte ein Tuch über seinen Mund und Nase gebunden. Sie frugen mich auf polnisch, wo hat der Bauer seinen Speck? Während ich so in meinem Bett in Schach gehalten wurde, durchstöberten die anderen sämtliche Räume. Als die Verbrecher abgezogen waren ging ich herunter in den Hausflur und sah dort die Leiche des Bauern. Dieser muss tot gewesen sein, da wir alle im Haus keinen Schrei hörten.

Die Volksdeutsche, Helma Bartko aus Ungarn, die ebenfalls im Hause wohnte berichtet folgendes:

Ich und meine beiden Töchter Esther und Erika hörten ein Gepolter an der Haustüre und gleich darauf eine Schießerei im Hause. Wir standen auf, kleideten uns an und stellten uns an die Wand, in der sich die Türe befand, in diesem Augenblick kamen einige Männer zur Türe herein und schossen in das Bett, wo wir gelegen hatten. Wir sahen richtig den Feuerschein beim Abschuss der Waffen, wären wir noch im Bett gewesen, wären wir bestimmt nicht mehr am Leben. Nach Abzug dieser Leute gingen wir nach unten und sahen dort den Bauern leblos in einer Blutlache im Hausflur liegen, zu einem Handgemenge kann es nicht gekommen sein, da wir keine weiteren Schreie hörten.

gez.Höllring
Wachtm. der Gendarmerie

(Soweit das Protokoll des Hilfspolizisten Höllring als ein weiteres Zeitzeugnis aus der Zeit des Umsturzes 1945. Die Reihe wird fortgesetzt)