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Bürger-Nachrichten
Ausgabe 7/2024
Historisches
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Historisches

Das Gasthaus zum Roten Ochsen (früher Marktplatz 1) in der Zeit vor dem 2. Weltkrieg

Das Ende des 2. Weltkrieges in Konradsreuth

(Fortsetzung der letzten Beiträge, der vorliegende als weiterer Augenzeugenbericht aus eigenen Erlebnissen als Zwölfjähriger, der in Ortsmitte aufgewachsen ist)

Meine Heimat und mein Geburtshaus war zu jener Zeit das heute nicht mehr existierende Gasthaus zum Roten Ochsen, das bis 1983 an Stelle des heutigen Arzthauses am Marktplatz stand und nachweisbar auf das Jahr 1413 zurückgeht, als der damalige Lehensherr von Konradsreuth, Conrad von Lüchau, eine „Schenkstatt“ von seinem Landesherren empfing. Aufgrund seiner zentralen Lage war es auch immer in das lebendige Treiben und das Geschehen des Ortes unmittelbar einbezogen.

So auch im Jahr 1945, als der 2. Weltkrieg zu Ende ging. Mein Vater war wie die meisten wehrfähigen Männer des Ortes zum Kriegsdienst eingezogen und die ganze Last der Verantwortung für Familie und das große Anwesen lag auf den Schultern meiner Mutter Elise Schörner, geb. Kaußler, die mit ihren Hilfskräften das Geschäft aufrecht erhielt. Im Saal des Gasthauses befand sich ein Lager für französische Kriegsgefangene (zur damaligen Zeit ca. 15 bis 20), die bei verschiedenen bäuerlichen Familien und auch Handwerkern die fehlenden Arbeitskräfte ersetzen mußten. Sie führten ein relativ freies Leben und hatten mit der Zeit (seit 1940!) ein nahezu freundschaftliches Verhältnis zu ihren Arbeitgebern entwickelt. Nur zum Schlafen und in ihrer „Freizeit“ mußten sie ins „Lager“ kommen. Im Nebenraum zum Saal war ihr „Wachtposten“ stationiert, ein invalider Soldat, der trotzdem noch diesen Dienst leisten mußte. Er hieß Pasing und stammte von Lichtenfels.

Es folgt nun der Augenzeugenbericht vom Einmarsch der Amis und ihrer Einkehr im „Roten Ochsen“ aus der Sicht eines damals zwölfjährigen Jungen.

Am Sonntag, dem 15 April 1945 war es soweit. Draußen herrschte eine trügerische Stille, Von deutschen „Verteidigern“ war keine Spur zu sehen (im Nachhinein kann man nur von einem großen Glück sprechen), nur die „lahme Ente“, das amerikanische Aufklärungsflugzeug zog unentwegt seine Runden über der Gegend, ein Anzeichen, daß die anrückenden „Befreier“ nicht mehr allzu weit entfernt sind. Die meisten Einwohner von Konradsreuth waren in die Keller geflüchtet, weil sie dachten, es wird geschossen. Im tiefen Schießhauskeller suchten die meisten Bewohner der hinteren „Totengasse“ (heute Fiedhofstraße) Unterschlupf, es mögen wohl mehr als 30 Männer, Frauen und Kinder gewesen sein. Ebenso waren die Felsenkeller an der Leupoldsgrüner Straße und am Schwarzenfurthwg besetzt.

Die Franzosen, die in unserem Saal untergebracht waren, hatten Kriegserfahrung. Sie teilten den Hausbewohnern mit, was an tun muß, wenn der Feind kommt: In den Keller gehen, Lampen (mit Petroleum) und Kerzen mitnehmen, warmes Zeug und Decken bereithalten, auch Essen und Getränke. Als sie auch noch Schaufeln und Pickel hineingeschafft haben, falls das Haus darüber zusammengeschossen wird, ist mir schon ein bißchen mulmig geworden. Alle, die damals im Haus waren, stiegen hinab in den Keller. Das war der große Bierkeller des damaligen Wirtshauses mit einem starken, gemauerten Gewölbe, weil er tief unter dem Haus lag, war es ziemlich kühl darinnen. Das war gut für das Bier, nicht aber für die Menschen. Es gab kein elektrisches Licht mehr, denn der Strom war weg. Eine alte Stalllaterne mit Petroleum betrieben, mußte dafür herhalten. Nach meiner Erinnerung waren es mindestens siebzehn Menschen, Erwachsene und Kinder, die Zuflucht im feuchtkalten Bierkeller suchten: Mein Großvater Georg und meine Großmutter Frieda, meine Tante Helene mit ihrer siebenjährigen Tochter Hannelore, zwei evakuierte Hamburger Frauen mit ihren vier Kindern, auch so zwischen fünf und zehn Jahre alt, der Johann und die Sophie, genannt Soschka; das waren zwei Ukrainer, die als „Fremdarbeiter“ von einem schlesischen Flüchtlingstreck bei uns hängen geblieben waren (im Unterschied zu den Zwangsarbeitern im Nazireich kamen diese freiwillig nach Deutschland; heute würde man „Gastarbeiter“ sagen). Sie waren als Landarbeiter und Haushaltshilfe bei uns tätig; dann noch unser Franzose, der Paul; und der Wachtposten für die französischen Kriegsgefangenen, der Herr Pasing aus Lichtenfels, Und dann kamen noch hinzu meine Mutter, meine sechsjährige Schwester Lilo und ich. Drunten im Keller war es unheimlich, kalt, feucht und finster. Die Kinder weinten, mal leise mal laut vor sich hin. Alle Leute waren nervös und aufgeregt. Da schlich ich mich einfach davon, bloß hinauf, an die frische Luft! Meine gute Mutter, die als Chefin des Wirtshauses das Chaos so gering wie möglich halten mußte, hat es gar nicht bemerkt. So kam es, daß ich direkter Augenzeuge wurde beim Einmarsch der Amerikaner in Konradsreuth.

Ich schaute von der Haustüre hinaus auf den Marktplatz. In einigen Fenstern hingen weiße Fahnen. Zwei unsrer französichen Mitbewohner waren ebenfalls mit einer weißen Fahne unterwegs. Die „lahme Ente“ kreiste immer noch über dem Ort. Von Ferne hörte man Motorengeräusch und das Rasseln von Panzerketten. Keine Seele weit und breit. Und dann ging alles sehr schnell. Von der Leupoldsgrüner Straße herab und vom Schwarzenfurthwg her rollte eine Panzerkolonne. Hinter jedem Panzer schlich in Deckung ein Trupp Amis, die ihr Sturmgewehr schußbereit vor sich hielten. Doch alles blieb ruhig, nur mein Herz hat ganz laut geschlagen, Draußen auf der Straße hat kein Mensch auch nur einen Mucks gemacht. Auf dem Marktplatz machten die Panzer Halt, immer mehr folgten nach, dazwischen immer wieder Jeeps, die ebenfalls mit Soldaten besetzt waren, ein paar Trucks folgten. Plötzlich scherte einer der Panzer aus, fuhr weiter bis zum Pfarrhaus und dort, in der Lücke zwischen Pfarrhaus und dem Aktienhaus drehte er plötzlich den Turm mit der Kanone in Richtung Steinberg, feuerte vier, fünf Schüsse ab, daß wir alle furchtbar erschrocken sind (damals war noch freie Sicht über das unbebaute, baumlose Gelände zwischen dem heutigen Bürgerpark, Peuntstraße und Wiesengrund). Später erfuhren wir, daß das Aufklärungsflugzeug hinter dem Steinberg im Rankenholz ein paar verprengte deutsche Soldaten gesichtet hatte. Da hat der amerikanische Panzeroffzier vorsichtshalber ein paarmal hingehalten. Das waren die einzigen Schüsse, die bei der Einnahme von Konradsreuth gefallen sind. Es gab nirgends mehr Widerstand.

Die Amis auf dem Marktplatz sind immer mehr geworden. Man merkte, daß sich die Lage entspannt hatte. Zu den Panzern und Jeeps stießen noch einige Sanitäts- und Versorgungsfahrzeuge hinzu. Auf einmal steuerten ein paar Soldaten auf unsere Haustür zu und wollten herein. Sie hatten gespannt, daß es ein Wirtshaus war. Sie dachten wohl, sie müßten endlich einmal Mittagspause machen. Immer mehr strömten zur Gaststube herein. Meine Mutter und die anderen Leute waren inzwischen vom Keller heraufgekommen, froh, daß nichts passiert war. Die Amis hatten großen Durst und verlangten Bier. Meine Mutter schickte mich an den Zapfhahn und ich mußte immerzu einschenken. Obwohl das damals nur Dünnbier war, hat es ihnen anscheinend doch geschmeckt. Was mir als erstes aufgefallen ist: Die Amis sind geschlichen, als hätten sie „Dabben“ an den Füßen. Die deutschen Soldaten hingegen trugen Stiefel, die sogenannten Knobelbecher, mit genagelten Sohlen. Das krachte, wenn sie aufgetreten sind. Als zweites: Sie hockten auf Stühlen ud Bänken herum und legten ihre Füße auf den Tisch. Das hätte bei uns der ungehobeltste Kerl nicht gewagt. Ein paar Neger waren auch darunter. Das war damals kein Schimpfwort, wie heute die Integrationsaktivisten denken, sondern eine ganz normale Bezeichnug für Farbige. Aus der Nähe hatte ich überhaupt noch keinen gesehen. Das waren freundliche Burschen, die immer gegrinst haben, daß man ihre weißen Zähne blitzen sah. Einer schenkte mir ein Päckchen Kaugummi. Das war etwas! Auch andere Kinder im Haus bekamen welchen und man merkte, daß sie gar nicht so sind, wie sie bisher von der Nazipropaganda geschildert worden waren. Wenn sie ihre „Amizigaretten“ geraucht haben, machten sie ein paar Züge und warfen die langen Kippen weg. Manche Leute haben sie damals weitergeraucht oder gesammelt, den Tabak herausgenommen und in der Pfeife geraucht. Für Raucher hat es ja damals nur Notzuteilungen gegeben.

Plötzlich war das Bier alle! Das Faß war leer und aus dem Hahn kam nur noch stoßweise weißer Bierschaum. In unserem Wirtshaus hat es damals schon einen modernen Kelleranstich gegeben. Wenn das Faß leer war, mußte man hinunter in den Keller, um ein neues anzustechen. Das war gar nicht so einfach, denn der Strom war weg und es gab kein elektrisches Licht. „Beer is out!“ rief ich, denn ich hatte in der Schule schon seit zwei Jahren Englischunterricht und konnte ein paar Worte oder Sätze sagen. Das war gar nicht schlecht in jener Zeit, wie ich später noch merkte. Aber bis die Amis das begriffen hatten! Einer wollte es gar nicht glauben. Ich sagte, er soll halt mit hinunter in den Keller gehen, das heißt, ich sagte „cellar“ und deutete mit meinem Finger nach unten, schließlich hat er begriffen, was ich meinte. Ich stieg die steile Kellertreppe hinab und mit einer brennenden Kerze in der Hand in den stockfinsteren Kellergang hinein, der Ami hinter mir her. Plötzlich höre ich, wie es hinter mir „klack“ macht. Hat doch der Ami vor lauter Angst vor einem zwölfjährigen deutschen Buben seine Pistole gezogen und entsichert! Ich hatte aber auch „Schiß“ und mußte andrerseits fast lachen. Mit der notdürftigen Kerzenbeleuchtung habe ich ein neues Faß angezapft und die Amis waren wieder zufrieden.

So hat für mich die Nachkriegszeit angefangen.