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Bürger-Nachrichten
Ausgabe 7/2025
Historisches
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Historisches

Geschichten vom Ende des Zweiten Weltkrieges 1945

Es folgt eine Geschichte aus jener turbulenten Zeit vor 80 Jahren, die meine Generation noch im ausgehenden Kindesalter erlebt hat und – Gott sei Dank – unbeschadet überstanden hat. Die große Freiheit, die wir als Buben in vollen Zügen genossen und auch ausnützten, lässt sich nur dadurch erklären, dass die meisten Väter durch den Kriegsdienst abwesend waren, einige waren auch gefallen. Allein fünf von meinen Jahrgangsgenossen mussten dieses Schicksal erleiden.

Die Geschichte lautet: Der Raupenschlepper

Zeit 1945, Endzeit des 2.Weltkrieges, etwa Mai/Juni. Die Amerikaner hatten unsere Region schon unter Kontrolle, doch überall in Wald und Flur war noch zurückgelassenes Kriegsmaterial zu finden. Am Waldrand des Steinbühls, wo von unten der „Waldluststeig“ heraufkommt, hatte die vor der feindlichen Übermacht flüchtende deutsche Wehrmacht, oder besser: ihre übrig gebliebenen Reste, ein Geschütz in Stellung gebracht. Es war eine „Pak“, wie sie in der damals üblichen militärischen Abkürzungssprache genannt wurde, eine Panzer-Abwehr-Kanone. Der Platz war strategisch gut gewählt: Die Münchberger Straße vom oberen Ortsrand bis zum Anfang des Kohlstattberges konnte unter Feuer genommen werden. Aber die dazu gehörige Mannschaft war längst geflüchtet, die langen Kolonnen der amerikanischen Streitkräfte waren ostwärts vorübergezogen. Auf der Straße rollte nur noch der Nachschubverkehr, „Trucks“ und „Jeeps“ in Mengen, die wir uns nie vorstellen konnten, Tag und Nacht. Allmählich dämmerte auch uns, die wir von der Nazipropaganda täglich umgeben gewesen sind, dass ein „Endsieg“ eine verhängnisvolle Lüge gewesen ist. Der Krieg war hier bei uns zu Ende und was übrig war, lag und stand da herum, wo es zuletzt zurückgelassen wurde.

Etwas weiter innen im Wald, für Tiefflieger unsichtbar, war das zur Kanone gehörige Transportfahrzeug, ein „Raupenschlepper“, abgestellt- verlassen, kein Treibstoff mehr. Ein Raupenschlepper war eine geländegängige, starke Zugmaschine mit Kettenantrieb auf den Hinterrädern wie ein Panzer. Auf dem offenen hinteren Teil befanden sich die Sitze der Bedienungsmannschaft, die zum Stellungswechsel schnell aufspringen konnte.

Uns neugierigen Jungen blieb dieser Platz nicht verborgen. Wie von einem Magneten angezogen, versammelten sich dort die Buben, einige auch aus anderen Ortsteilen. „Der Tauber“ (Richard Tauber, Jahrgang 1930, aus der ehemaligen Bäckerei Wendler, Brunnenstraße, stammend) übernahm das Kommando. Er setzte sich ans Steuer, löste die Bremse und alle anderen versuchten,

durch Anschieben das schwere Fahrzeug in Bewegung zu setzen. Mit vereinten Kräften und unter Einsatz von Hebeln – das waren Stangen, die im Wald herumlagen – gelang dies. Der Raupenschlepper setzte sich langsam bergabwärts in Bewegung. Wir, die Anschieber, sprangen auf und füllten das langsam anrollende Fahrzeug. Es mögen wohl um die fünfzehn johlende Jungen gewesen sein, die diese gefährliche Fahrt mitmachten. Zum Glück entwickelte der träge Raupenschlepper keine große Geschwindigkeit, doch es ging steil bergab, er war nicht mehr aufzuhalten. Über den unten querlaufenden Fahrweg zur Waldlust hinweg, mit den Vorderrädern die Böschung zum Schutzteich hinab, blieb er kurz vor dem Eintauchen hängen. Der Tauber, der das Steuer krampfhaft festhielt, hatte keine Bremse mehr gefunden. Schnell sprangen die „Fahrgäste“ ab und verdrückten sich nach Hause. Einigen war es sicherlich etwas mulmig geworden. Das Fahrzeug blieb so hängen, versperrte fast den ganzen Weg, die Verursacher waren alle geflüchtet. Ich weiß nicht mehr, wann es entfernt wurde. Sicher wurde es als zurückgebliebenes Kriegsmaterial von den Amis entsorgt.